#stayarthome

In Zeiten von Ausgangssperren und Kontaktverboten müssen Künstlerinnen und Künstler neue Wege finden, die Menschen zu erreichen. Die niusic-Themenreihe zur Corona-Pandemie.

Von Jesper Klein, 10.05.2020

Einfach schwimmen

Simon Höfele fühlt sich vom Coronavirus ins kalte Wasser geworfen. Im Gespräch erzählt er, wie er schafft, nicht unterzugehen, was er bei Instagram treibt und warum jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist, um neues Repertoire zu lernen.

niusic: Simon, alle Konzerte sind abgesagt, wie erlebst du diese ungewöhnliche Situation?

Simon Höfele: Es ist ungewohnt, plötzlich so viel Zeit zu haben. In der Gesellschaft, in der wir leben, hat normalerweise ja niemand Zeit. Diese Entschleunigung ist eigentlich ganz schön, auch wenn es natürlich keine entspannte Ferienzeit ist. Jede:r sitzt zu Hause und bangt um seine Existenz.

niusic: Wie muss man sich die finanzielle Situation bei dir vorstellen?

Simon: Für mich als Privatperson ist es weniger schlimm, ich habe keine Familie, die ich ernähren muss, und eine kleine, günstige Wohnung. Wenn ich mir dreimal am Tag etwas zu Essen leisten kann und die Musik habe, bin ich eigentlich happy. Aber klar: Bei den abgesagten Konzerten geht es finanziell um große Summen. Wenn ich alles zusammenrechnen würde, würde mich das nur frustrieren. Und aus dem Grund will ich das auch gar nicht machen. Davon abgesehen gibt es natürlich noch die psychische Belastung. Zu Hause rumsitzen tut niemandem gut. Wir als Musiker leben den Moment auf der Bühne, der nun ersatzlos wegfällt. Da muss man schauen, dass man die Energie in Anderes steckt, um nicht zu Hause den Lagerkoller zu bekommen.

#stayarthome

In Zeiten von Ausgangssperren und Kontaktverboten müssen Künstlerinnen und Künstler neue Wege finden, die Menschen zu erreichen. Die niusic-Themenreihe zur Corona-Pandemie.

niusic: Und was ist das Andere, in das du deine Energie steckst?

Simon: So richtig habe ich das noch nicht herausgefunden. Ich bin sehr gut im Prokrastinieren, Netflix habe ich bald durchgeguckt. Und ich fotografiere viel, das geht jetzt natürlich nur bedingt. Ich krame in den Archiven meiner Fotos und versuche, viele Videos für Instagram zu machen. Und ich schlafe leider zu lang.

niusic: Ist das für dich als Künstler eine Chance, um Repertoire zu lernen, für das du sonst keine Zeit hast?

Simon: Im Gegenteil, ich brauche den Stress und die Deadlines. Jetzt sitzt man zu Hause und fragt sich: Für was übe ich eigentlich? Ich finde, das ist eine sehr ungesunde unterbewusste Einstellung – und das kann man nicht einfach ausblenden. Ich schaue zwar in meinen Kalender, was ich normalerweise vorbereitet hätte, aber natürlich weiß man, dass alles abgesagt ist. Und sonst habe ich nicht das Problem, dass ich Repertoire nicht schnell genug lerne.

niusic: Planung ist ja ungemein schwierig, für den Sommer und womöglich noch für den Herbst. Wie gehst du damit um und wie verhalten sich die Veranstalter?

Simon: Manche Veranstalter wollen sich die Möglichkeit bis zur letzten Sekunde offenhalten, da herrscht der blanke Optimismus. Und auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die schon Monate im Voraus alles canceln. Ich kann beides verstehen. Ich versuche, dem mit größtmöglichem Pragmatismus zu begegnen und fast schon lethargisch zu denken: Es ist, wie es ist.

Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, um Künstler:innen zu kritisieren, die ihre Kunst kostenlos ins Netz stellen.

Simon Höfele

niusic: Die große Phase des Streamings hat begonnen. Du gibst Hauskonzerte und bist bei Instagram aktiv. Warum das Ganze?

Simon: Ich kann verstehen, wenn man sich Sorge um den Wert der Musik macht (Anm. d. Red.: Vgl. unsere Kolumne „Kultur von der Wursttheke“), aber man muss auf der anderen Seite auch sehen, dass zurzeit ja nichts anderes möglich ist. Und als Künstler:in muss man sich einfach irgendwie mitteilen können. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, um Künstler:innen zu kritisieren, die ihre Kunst kostenlos ins Netz stellen. Es geht gerade nicht um kostenlos oder nicht-kostenlos, sondern um das Gefühl der Zusammengehörigkeit und um die Empathie, die man dadurch vermittelt. Egal ob große Veranstalter oder kleine Künstler:innen – alle versuchen durch das gemeinsame Musikmachen Solidarität zu zeigen. Ob das live über Instagram gut klingt oder gut gemacht ist, ist erstmal egal. Natürlich sind Streams kein Ersatz für das Konzert. Ich habe ohnehin nie verstanden, wie man sich eine Opern-Übertragung im Fernsehen anschauen kann. Obwohl ich Oper sehr liebe, würde ich im Fernsehen wegschalten.

niusic: Steckt in dieser Streaming-Flut auch die Angst, in Vergessenheit zu geraten?

Simon: Es spielt sicher auch die Angst mit rein, dass man jetzt besonders Gas geben muss. Man ist in das kalte Wasser geworfen und muss schwimmen und schauen, dass man nicht untergeht. Mein Instagram-Output ist deutlich gestiegen. Bei meinen Instagram-Livestreams spiele ich aber weniger selbst, ich mache eher so etwas wie Koch-Livestreams zusammen mit anderen Musikern. Das ist sehr unterhaltsam. Ich glaube aber nicht, dass man nach der Pandemie weg vom Fenster ist, wenn man nicht in den sozialen Netzwerken aktiv ist.

Neues wagen und Stardards setzen

Simon Höfele spielte zusammen mit bedeutenden Orchestern wie dem Royal Concertgebouw Orchestra und dem BBC Symphony Orchestra. Er war Rising Star der European Concert Hall Organisation und BBC Radio 3 New Generation Artist (2017–2019). Auf seiner jüngsten, bei Berlin Classics erschienen CD „Standards“ widmet er sich dem klassischem Repertoire seines Instruments – mit den Trompetenkonzerten von Joseph Haydn und Johann Nepomuk Hummel.

niusic: Gibt es etwas das dir besonders fehlt?

Simon: Meine Espresso-Maschine! Die konnte ich nicht reparieren lassen. Aber okay, es gibt Schlimmeres. Man weiß gar nicht zu schätzen, was für einen Luxus man hat. Wenn ich heute Abend ein Konzert spielen müsste – ich würde mich richtig freuen! Aus diesem Gefühl heraus macht man ja auch die Livestreams. Musiker:in ist man nicht von 9 bis 17 Uhr, sondern Tag und Nacht. Es gibt so viele Nächte, in denen ich nicht einschlafen kann, weil ich so viel Musik im Kopf habe und mich das nicht in Ruhe lässt.

niusic: Du hast die Initiative „Kunstverlust“ ins Leben gerufen. Ist es in diesen Zeiten noch notwendiger, sich für das Kulturleben einzusetzen?

Simon: „Kunstverlust“ ist eine Initiative für den Erhalt von Kunst und Kultur, für die Wertschätzung künstlerischer Arbeit und gegen kulturelle Sparmaßnahmen. Die Initiative haben wir damals gegründet, als die Fusionierung der SWR-Orchester und Sparmaßnahmen für die Musikhochschulen in Baden-Württemberg ein Thema waren. Wenn die ganze Welt in einer großen Krise steckt, ist es wichtig, an solchen Dingen festzuhalten, um nicht zu verzweifeln.



© Marco Borggreve


    NIUSletter

    Bleibt auf dem Laufenden und erhaltet alle drei Wochen unseren NIUSletter.