#stayarthome
In Zeiten von Ausgangssperren und Kontaktverboten müssen Künstlerinnen und Künstler neue Wege finden, die Menschen zu erreichen. Die niusic-Themenreihe zur Corona-Pandemie.
In Zeiten von Ausgangssperren und Kontaktverboten müssen Künstlerinnen und Künstler neue Wege finden, die Menschen zu erreichen. Die niusic-Themenreihe zur Corona-Pandemie.
niusic: Der Lockdown besteht nun schon seit einigen Wochen. Was hat sich in dieser Zeit für dich verändert?
Pablo Barragán: Am Anfang war es keine große Veränderung. Wenn ich nicht gerade auf Tour bin, arbeite ich auch von zuhause aus. Nach einer Woche oder zehn Tagen wäre ich schon gerne wieder verreist oder hätte Freund:innen getroffen, aber das ging nicht. Als dann nach zwei Wochen das erste Konzert abgesagt wurde, dann das nächste und das danach, war das schon ein komisches Gefühl. Mein Kalender sieht jetzt natürlich katastrophal aus! Alles ist bis Ende August abgesagt. Bei ein paar Sachen ist noch nicht klar, ob sie vielleicht nur verschoben werden.
In Zeiten von Ausgangssperren und Kontaktverboten müssen Künstlerinnen und Künstler neue Wege finden, die Menschen zu erreichen. Die niusic-Themenreihe zur Corona-Pandemie.
niusic: Dennoch versprühst du auf deinen Social-Media-Kanälen einen ungeheuren Optimismus! Wie schaffst du es, so positiv zu bleiben?
Pablo: Ich kenne nichts anderes. In Andalusien, der Region, aus der ich stamme, leben die Menschen mit noch weniger. Ich habe schon bei meinen Großeltern gesehen, wie man mit ganz wenig sehr glücklich sein und das Beste daraus machen kann. Es ist eine Lebenseinstellung, die aber nichts mit Naivität zu tun hat.
niusic: Nicht nur deine Konzerte, auch deine Meisterklassen mussten abgesagt werden. Dafür stellst du nun Übungen und Tutorials unter dem Hashtag #keepplaying ins Netz.
Pablo: Das war eine Initiative meines Klarinettenbauers. Viele Student:innen sind momentan zu Hause, sie brauchen Motivation und ein paar Tipps. Also haben wir ein paar Videos gemacht. Ich habe nur einmal in eines davon reingeguckt und gedacht: ach Gott! Als Student:in würde ich das nicht sehen wollen! Ich finde es ein bisschen komisch und ehrlich gesagt mag ich es nicht, anderen zu sagen, wie sie etwas zu tun haben.
niusic: Online-Kurse haben während der Corona-Krise sowieso Konjunktur. Wie fühlt es sich an, sich einem Publikum preiszugeben, das selbst aber weitestgehend unsichtbar bleibt?
Pablo: Ich bekomme trotzdem Feedback! Die Leute schreiben mir dann, dass sie ein bestimmtes Stück spielen wollen oder ein Problem haben, ob ich ihnen vielleicht einen Tipp geben könnte. Wie würde ich diese Technik, diese Passage spielen? Ich bin da aber ein bisschen vorsichtig, denn es gibt viele Lehrer:innen, die selber online unterrichten. Ich will nicht, dass sie denken, ich würde das gratis auf Social Media tun.
Pablo Barragán
niusic: Du stellst aber auch Videos mit ganzen Arrangements ins Netz. Für wen machst du die?
Pablo: Ich denke viel an die jungen Leute, die gesund sind, jetzt aber zu Hause bleiben sollen. Wäre ich an ihrer Stelle und alles, was ich bekomme, ist Negativität, dann würde ich in die sozialen Netzwerke gehen. Wenn ich dann sehe, dass meine Lieblingsgeigerin jetzt gerade etwas gespielt hat, dann ist das eine Nachricht, über die ich mich freuen würde. Musik muss zusammenhalten. Deshalb habe ich versucht, mit Freund:innen und Kolleg:innen etwas zu machen, das eine positive Botschaft sendet. Zum Beispiel mit Frank Dupree, den ich vorher persönlich gar nicht kannte.
niusic: Ihr musiziert also auch weiterhin „gemeinsam“. Wie stellt ihr das an?
Pablo: Wir haben neue Techniken entwickelt: Zuerst nimmt einer von uns seinen Teil auf Video auf, zum Beispiel Frank den Klavierpart. Dann schickt er es mir, ich höre es mir an und spiele gleichzeitig dazu. Dann schneiden wir unsere Videos nebeneinander.
niusic: Was wollt ihr euren Zuschauer:innen damit sagen?
Pablo: Der Gedanke dahinter ist nicht, dass alles perfekt sein muss. Wir wollen auch nicht mit irgendetwas angeben. Die Idee ist, dass wir weiterhin zusammen Musik machen können, auch wenn jeder bei sich zu Hause ist. Das ist auch eine Botschaft an die jungen Leute: Ihr könnt weiterhin etwas mit euren Freund:innen unternehmen!
niusic: Die Krise wird ja oft auch als „Chance“ für die Gesellschaft bezeichnet. Kannst du das nachvollziehen? Schließlich geht es dabei ja auch um Menschenleben.
Pablo: Es ist eine Chance für die Kreativität, weil jetzt alles stillsteht und wir viel Zeit haben. Man muss aber vorsichtig sein und sich bewusst machen, dass nicht alle gesund sind und nicht alle diese Situation finanziell überstehen können.
niusic: Entstehen in dieser Zeit neue Formen des Musizierens – alternativ zur Konzertsituation?
Pablo: Es gibt jetzt all diese Initiativen, bei denen Musik auf Balkonen gespielt wird oder im Garten. Wir wurden einmal gebeten, in einem Hof Musik zu spielen. Das haben wir getan und alle Fenster haben sich geöffnet! Ganze Familien mit Großvater und Großmutter waren da! Normalerweise würde man so etwas zu hören kriegen wie „Bitte nicht so laut!“ oder „Kannst du nicht dein Fenster zumachen?“.
niusic: Du hast den Vorteil, dass du dein Instrument mit nach draußen nehmen kannst.
Pablo: Ja, darüber bin ich sehr glücklich, mit einer Harfe wäre das ein bisschen schwieriger. Und es ist toll, dass das Wetter in Berlin so gut ist!
niusic: Was du erzählst, klingt, als brächten die Menschen der Musik eine andere Art von Wertschätzung entgegen als vorher.
Pablo: Die Leute reagieren sensibler. Es ist, als hättest du zwei Tage lang kein Wasser getrunken und dann darfst du ein paar Tropfen kosten. Es ist wunderbar. Die Energie ist nicht die gleiche wie im Konzertsaal, aber dennoch ganz besonders.
Pablo Barragán
niusic: Die Konzertsäle sollen aber, im Gegensatz zu den Geschäften, erstmal noch nicht wieder öffnen.
Pablo: Ich freue mich trotzdem total darauf, wenn es soweit ist! Ich freue mich auch darauf, mit anderen Kolleg:innen zusammen zu proben. Wir bleiben positiv und hoffnungsvoll. Die Erde wird sich weiterdrehen. Und es gibt junge, gesunde Leute, die man trotz allem weiterbringen muss.
Zur Person: Pablo Barragán