Von Jesper Klein, 11.10.2018

Das große Schwarze

Das „Haus der Musik“ in Innsbruck musste im Vorfeld viel Kritik einstecken. Jetzt, nachdem es eröffnet wurde, überwiegen die Vorzüge. Welches Potential steckt in einem Gebäude, das für die Musik geschaffen wurde? Ein Hausbesuch.

Was hat sie nicht alles aushalten müssen, die größte Kulturbaustelle Österreichs! Zu groß, zu teuer, zu dominant, zu schwarz und obendrein hässlich sei das neugebaute „Haus der Musik“ in Innsbruck, das am Wochenende eröffnet wurde. Vom „Pleiten-Pech-und-Pannen-Bau“ war die Rede und vom „schwarzen Monster“. Und wenn man für einen Agentenfilm noch das Hauptquartier eines Bösewichts suche, so liest man in einer Kommentarspalte im Internet, könne man doch den schwarzen Klotz in der Innsbrucker Innenstadt nehmen. Wie gemein.

Wirkt massiver, als sie ist: die Keramikfassade

Um ehrlich zu sein: Das alles ist reichlich übertrieben. Erstens fügt sich das Gebäude trotz des Kontrasts zur historischen Umgebung gut in das Stadtbild ein. Zweitens ist das Schwarz, wie schon der Architekt Erich Strolz beteuerte, eigentlich gar nicht schwarz. Die glasurüberzogene Keramikfassade schimmert je nach Licht und Wetter mal rötlich, mal bräunlich, mal violett – das sieht ziemlich gut aus! Und drittens sollte die Optik ja auch nicht das einzige Kriterium der Beurteilung sein. Wenn viel Geld für kulturelle Großprojekte in die Hand genommen wird, sind die kritischen Stimmen naturgemäß laut – das ist nicht neu. Ähnlich wie bei der Elbphilharmonie scheint jedoch trotz der üppigen Baukosten von 62 Millionen Euro auch bei der Innsbrucker Bevölkerung die Stimmung inzwischen ins Positive umgeschlagen zu sein. Ob die Optik einem nun zusagt oder nicht: Am Ende ist es doch ohnehin die entscheidende Frage, welches Potential im Inneren dieses Gebäudes steckt, in dem die Musik zusammenkommen soll.

Im „Haus der Musik“

Die Bewohner des Hauses

Neun Institutionen sind im „Haus der Musik“ untergebracht. Das Tiroler Symphonieorchester und das Tiroler Landestheater werden die Bühnen bespielen, auch die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik ziehen ein. Zudem finden das Institut für Musikwissenschaft der Uni Innsbruck, eine Abteilung des Salzburger Mozarteums und das Tiroler Landeskonservatorium ein neues Zuhause. Auch die Volksmusik ist vertreten: mit dem Blasmusikverband Tirol, dem Tiroler Sängerbund und dem Tiroler Volksmusikverein. Im oberen Stockwerk befindet sich eine Musikbibliothek.

Was ist möglich im „Haus der Musik“? Wenn man die Vertreter der Politik so reden hört, lautet die Antwort: alles. Beim zweieinhalbstündigen Festakt zur Eröffnung wird mit Superlativen nur so um sich geworfen, alles ist fulminant. Aber wer verstünde nicht, dass die Euphorie nun groß ist, nach so viel Mühe, Häme und Spott? Sparten- und generationenübergreifend soll das Haus sein. Begegnung, Vernetzung und Austausch ermöglichen. Weltmusik und Jazz integrieren. Musik und Film zusammenbringen. Klassische Konzertformate aufbrechen. Tanz eine Bühne geben. Sich gegenüber Literatur und bildender Kunst nicht verschließen. Puh! Auch wenn es zunächst keinen Grund zur Annahme gibt, dass das alles nicht funktionieren könnte, ist es dennoch gut, dass mit Wolfgang Laubichler ein ruhiger Direktor das Haus leiten wird, der in Zwischentönen auch mal anklingen lässt, dass das alles vielleicht doch nicht immer so einfach und reibungslos funktionieren wird, wie es sich alle wünschen. Dass die Institutionen zusammenarbeiten wollen, steht außer Frage.

Die feierliche Eröffnung

Der Ansturm am Eröffnungswochenende ist riesig. Fast könnte man meinen, es gäbe einen neuen Harry-Potter-Band oder ein neues iPhone: Die Menschen stehen Schlange, fragen, wann sie endlich in das Haus dürfen. Dass man sich in Tirol so für die neue Institution interessiert, ist ein gutes Zeichen für das Musikleben. Es bleibt zu hoffen, dass die Offenheit des Hauses über das euphorische Eröffnungswochenende hinaus auch im Tagesbetrieb erhalten bleibt. Wer es trotz des Menschenauflaufs hinein geschafft hat, merkt: Das Innere des Hauses ist – zugegeben – weniger spektakulär als das Äußere. Weiß und schwarz sind die dominierenden Farben. Eine große Treppe ist der Ausgangspunkt. Im Keller finden sich die Bühnen des Landestheaters, in den oberen Stockwerken Büro- und Seminarräume, ganz oben die Bibliothek. Wer dort aus dem Fenster schaut, hat einen herrlichen Ausblick über die Stadt und die umliegenden Berge. Man merkt aber auch, dass der Architekt Erich Strolz recht viel auf recht wenig Raum unterbringen musste. Die drei großen Bäume auf dem Vorplatz, das war eine der Vorgaben, sollten erhalten bleiben. Im großen Saal führt das zu einem tollen Blick: Durch die Glasfront hinter der Bühne kann das Publikum auf die Hofburg und die alte Eiche schauen.

Es wird interessant zu sehen sein, inwieweit Kunst- und Volksmusik an diesem Ort tatsächlich zusammenkommen. Die Förderung von Musik hat in Tirol eine lange Tradition. Schon der landesübliche Empfang auf dem Vorplatz, zu dem die Schützenvereine aufmarschieren, macht klar: In Tirol ticken die Uhren etwas anders. Auch für die Jugend spielt die Musik durch ihre Vereinskultur eine große Rolle. Das Tiroler Landesblasorchester versammelt zahlreiche Nachwuchsmusiker auf der Bühne. Wer nicht mit diesem Traditionsbewusstsein aufgewachsen ist, mag bei schunkeltauglicher Blaskapelle vielleicht die Augen verdrehen. Wenn dann aber das Landesblasorchester bei der Matinee am Sonntagmorgen eine Bearbeitung von Nikolai Rimski-Korsakows anspruchsvoller „Scheherazade“ spielt, merkt man auch, dass die Grenzen von Kunstmusik und Volksmusik durchaus aufgebrochen werden können.

Ein Vorbild für andere Städte?

Das Konzept eines Hauses, das auf Musikvermittlung und -begegnung auf Basis lokaler Traditionen setzt, hat kaum das Zeug zum Exportschlager. Keine Frage – für Innsbruck ist dieses Haus eine Bereicherung, weil die Umstände passen: In bester Lage der Innenstadt wurde durch den Abriss der in die Jahre gekommenen Kammerspiele eine Liegenschaft frei, das Symphonieorchester brauchte dringend neue Probenräume, das Landestheater hat seine Hauptspielstätte nebenan, die übrigen Institutionen benötigen für Büroräume nicht viel Platz. Die entstehenden Synergien können das Musikleben bereichern, es gibt keine Verlierer. Inwiefern das Haus auch über die Grenzen Tirols hinaus wirken kann, das ist wiederum eine ganz andere Frage. Dass sich in Deutschland kaum vergleichbare Institutionen finden (am ehesten das Musikforum Ruhr oder der Münchner Gasteig), mag daran liegen, dass es seine Schwierigkeiten mit sich bringt, die verschiedenen Interessen der Kulturinstitutionen in einem Haus unterzubringen. Wenn sich aber in absehbarer Zukunft doch eine Möglichkeit für ein ähnliches Projekt ergibt, sollten die Verantwortlichen nach Innsbruck fahren und schauen, was sich dort entwickelt hat. Man kann es momentan nur vermuten, aber: Sie könnten eine wunderbar funktionierende Musikstätte vorfinden.

© Günther Egger
© Rupert Larl


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