Von Jesper Klein, 14.09.2019

Bagatelldelikte

Der Musikpreis Opus Klassik wird in diesem Jahr in neuen Kategorien verliehen. Im „Videoclip des Jahres“ spielt Starpianist Lang Lang Beethovens „Für Elise“. Ist das die versprochene Neuerfindung?

Vor knapp eineinhalb Jahren sorgten Antisemitismus-Vorwürfe gegen die Deutschrapper Fahrid Bang und Kollegah für das Aus des Musikpreises „Echo“. Bei seinem Nachfolger, dem „Opus Klassik“, versprach man mehr als einen Neuanstrich. Nach der Übergangslösung im vergangenen Jahr wurden nun die Preisträger für 2019 bekannt gegeben – es ist der erste Jahrgang, bei dem man auf die angekündigten Neuerungen gespannt sein durfte.

Für die Hauptkategorien gilt weiterhin: bloß keine Überraschungen! Joyce DiDonato wird als Sängerin des Jahres ausgezeichnet, Christian Gerhaher als Sänger, Igor Levit, Sol Gabetta und Andreas Ottensamer als Instrumentalisten, Paavo Järvi als Dirigent. Nichts gegen diese hervorragenden Künstler, es ist nur genau das, was zu erwarten war. Favoritensiege sozusagen. Das ist nicht weiter schlimm, zumal ja genauso vielversprechende Nachwuchskünstler ausgezeichnet werden – Emőke Baráth, Nadine Sierra, Christoph Sietzen und Konstantin Reinfeld. Erfreulich ist auch, dass mit dem „Bestseller des Jahres“ (ebenfalls keine Überraschung: Jonas Kaufmann) nur ein Preis nach Verkaufszahlen vergeben wird. Selbst wenn der Echo Klassik, im Gegensatz zum Pop-Echo, ohnehin ein reiner Jury-Preis war.

Schreibmaschine und Fischfabrik

Was ist nun neu? Zum Beispiel die „Kategorie Videoclip des Jahres“. Über die Kriterien heißt es: „Ausgezeichnet wird eine Videoproduktion, die sich durch besondere Qualität, außergewöhnliche Ästhetik und/oder emotionale Kraft und mediale Reichweite auszeichnet“. Unter den Nominierten ist unter anderem der innovative Virtual-Reality-Kurzfilm „360° Figaro“. Zudem tippt der Cembalist Justin Taylor György Ligetis Minimal Music „Continuum“ in die Schreibmaschine und Víkingur Ólafsson hat es für Bachs Präludien und Fugen sogar in die Fischfabrik verschlagen. Im ausgezeichneten Video spielt aber ein alter Bekannter die Hauptrolle: Lang Lang.

Nach längerer Auszeit hatte der Starpianist mit seinem bei der Deutschen Grammophon erschienenen Album „Piano Book“ einen besonders persönlichen Zugang versprochen. Ein Album als Blick in die eigene Jugend. Mit Kinderstücken. Lang Lang ließ hierfür kaum einen Klassiker der romantisch dahinsäuselnden Klavierliteratur aus – Yann Tiersens „Valse d’Amélie“ ist ebenso dabei wie Claude Debussys „Claire de lune“. Und eben Beethovens „Für Elise“. Unter dem Album-Trailer kommentiert ein Nutzer: „Er könnte doch seine Popularität ausnutzen und die nicht so bekannten Stücke verkaufen, damit die Menschheit mehr als nur die üblichen Kommerzklassikstücke kennt.“ Tja, wenn es so einfach wäre!



Ein bisschen ist es, als würde man einem Sternekoch dazu gratulieren, gerade die beste Nudel aller Zeiten gekocht zu haben.

Die Marketingmaschine war jedenfalls in vollem Gange und das besagte Video wurde immerhin mehr als 283.000 Mal bei YouTube geklickt. Darin wird Lang Langs Studioperformance mit denen von Amateuren verschnitten, die bei sich zu Hause oder in der Bar einfach drauflosspielten, ehe sie sich auf einmal am Flügel in der puristischen Studiokulisse wiederfinden. Das erinnert an Baumarkt-Werbung, die einem verklickern will, dass man alles schaffen kann, wenn man es nur will. Klavierspielen als etwas Universelles, Einfaches, zumindest Erlernbares. Das hat die Jury wohl fasziniert. So genau weiß man es nicht, eine Begründung sucht man vergeblich.

Doch ist dieses Video wirklich der „Videoclip des Jahres“? Der besondere Qualität, außergewöhnliche Ästhetik, emotionale Kraft und mediale Reichweite verbindet? Natürlich zielt diese Inszenierung, die man einem Musikvideo nicht vorwerfen kann, auf die emotionale Wirkung ab. Geht es nach der Mehrzahl der YouTube-Kommentare hat Lang Lang hier eine bezaubernde, wenn nicht gar die beste Für-Elise-Interpretation ever ganz samtig in die Tasten gestreichelt. Ein bisschen ist es, als würde man einem Sternekoch dazu gratulieren, gerade die beste Nudel aller Zeiten gekocht zu haben. Aber okay.

Posen und Gefühle

Lang Lang gibt sich jedenfalls alle Mühe, die Gefühle, die ihn beim Spielen durchfließen, in bekannter Manier in seinen Gesichtsausdrücken und Posen zu verbildlichen. Schließlich ist Lang Lang auch für seinen Hang zur Zirkusattitüde bekannt. Doch wird einem die bildgewordene Überhöhung einer Bagatelle (im wahrsten musikalischen Sinne) zum Sinnbild von Gefühlsduseligkeit nicht genau so schnell über wie der zu Tode genudelte Klavierschüler-Gassenhauser selbst? Wirklich neu, wirklich innovativ, wirklich kreativ ist diese Wahl in Anbetracht der Alternativen nicht. Vielmehr steht sie sinnbildlich für eine Klassik-Ästhetik, wie sie gerade im Fernsehen (große Preisverleihungs-Gala am 13. Oktober im ZDF) oft anzutreffen ist.

Daneben wird ein grundlegendes Strukturproblem der Preisvergabe-Kultur deutlich: Der „Verein zur Förderung der Klassischen Musik e.V.“, er vergibt den Opus Klassik, versammelt die Labels und Verlage, die schlussendlich auch Trophäen erhalten können. In der diesjährigen Jury sitzt etwa eine Marketing-Verantwortliche der Deutschen Grammophon. Über die Auszeichnung wird man sich dort bestimmt freuen.

© Gregor Hohenberg / Deutsche Grammophon


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