Von Sophie Emilie Beha, 08.08.2019

Mienenspielplatz

Maßlose Übertreibung! Das Ensemble Ouranos interpretiert György Ligetis Bagatelle für Bläserquintett Nr. 1 mit überdrehter Mimik. Bloßer Klamauk oder mit tieferem Sinn? Ein Netzfundstück von Sophie Emilie Beha.

Auf den ersten Blick nichts Besonderes, das Video für das neue Album. Ein edler Saal, roter Teppichboden, holzvertäfelte Wände, Kronleuchter. Die fünf Musiker des Ensemble Ouranos treten in Konzertkleidung auf und nehmen in der Bildmitte Platz. Sie setzen ihre Instrumente an die Lippen, gemeinsames Einatmen und dann: Verwirrung.



Gespielt, oder vielmehr geschauspielt, wird György Ligetis erste Bagatelle für Bläserquintett, die in kürzester Zeit unterschiedlichste musikalische Ausdrücke zeigt. Die Instrumente verschwinden mit dem ersten Ton, und übrig bleibt überzeichnete Mimik. Schnelle Kameraschnitte befeuern den etwas aufmüpfigen Charakter des Stücks, die Musiker klimpern mit den Wimpern, lassen ihre Augenbrauen tanzen und wackeln skurril mit dem Kopf. Das ist lustig und bringt ein wenig beachtetes Thema der klassischen Musikszene durch komplette Übertreibung auf den Punkt: Mimik und Gestik können die Aussage von Musik verdeutlichen – natürlich und unnatürlich. Ein witziges Musikstück kann mit wohldosiertem Gesichtsmuskelzucken noch witziger wirken. Bei vielen Künstlern schwebt aber genau das zwischen Authentizität und Künstlichkeit. Bei manchen, wie Lang Lang, Keith Jarrett oder Khatia Buniatishvili, erinnert es an Show.

Wir wollten natürlich, dass das Video spaßig ist, aber wir wollten auch zeigen, dass es bei klassischer Musik vor allem um die Interpretation geht, nicht nur um die Art der Darstellung. Als Interpreten ist es unsere Arbeit, die Musik zum Leben zu erwecken und nicht stumpfsinnig darzustellen. Dafür sind für mich die seltsamen Gesichter eine visuelle Möglichkeit.

Rafael Angster, Fagottist im Ensemble Ouranos

Das Video macht sich über die Verkünstelung lustig und verdreht die Aufmerksamkeit. Wenn Mathilde Calderini während den spitzen Flötentönen kokettierende Blicke verteilt, der Fagottist Rafael Angster so aussieht, als müsse er mit aller Kraft ein gewaltiges Niesen unterdrücken und Hornist Nicolas Ramez mit zunehmend lockerer Krawatte seine Mundwinkel zucken lässt, ist das sehr vereinnahmend. Mimik kann eine sinnvolle inhaltliche Verstärkung der Musik sein, aber auch genauso gut von den Klängen ablenken. In diesem Video erzählt das Mienenspiel eine ganz eigene Geschichte, es wirkt so, als bräuchte das Quintett überhaupt keine Flöte, Klarinette, Fagott, Oboe oder Horn. Erst als beim letzten Ton wieder die Totale samt aristokratischem Inventar und Instrumenten sichtbar wird, ruft diese Szene in Erinnerung, worauf es eigentlich ankommt: nicht die Gesichtsakrobatik, sondern die Spielkunst. Es kann dafür sensibilisieren, wie Musik manchmal transportiert wird und dass es bei manchen Auftritten vielleicht besser wäre, die Augen zu schließen, den Mimiktanz auszublenden und einfach nur zuzuhören.

Ensemble Ouranos © Edouard Bressy


    NIUSletter

    Bleibt auf dem Laufenden und erhaltet alle drei Wochen unseren NIUSletter.