Von Sophie Emilie Beha, 07.03.2019

Küchenkomposition

Komponisten leiden oft unter Stress: Sie müssen neue Meisterwerke produzieren, dabei Deadlines einhalten und mit nörgelnden Verlegern streiten. Zum Ausgleich haben sich manche von ihnen in die Küche geflüchtet. Wir haben unsere Top-5-Koch-Komponisten zusammengestellt.

Gioachino Rossini: Haute Cuisine pur

So viel Prestige, Reichtum und künstlerischen Einfluss wie Gioachino Rossini besaß wahrscheinlich kein anderer Komponist in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Seine Zeitgenossen sahen in ihm den größten italienischen Komponisten seiner Zeit. Rossini schrieb 42 Opern und war ein Meister im Schnellkomponieren: „Il barbiere di Siviglia" entstand in nur 13 Tagen. Mit 38 Jahren beschloss er, mit dem Komponieren aufzuhören und sich seiner anderen großen Leidenschaft zu widmen, dem Kochen. In einer noblen Villa vor Paris veranstaltete er Dinnerpartys und philosophierte über Musik und Essen.

„Der volle Magen ist die Triangel des Vergnügens oder die Kesselpauke der Freude. Essen, Lieben, Singen, Verdauen sind die vier Akte der Komischen Oper, die Leben heißt.“

Gioachino Rossini

Er schuf Gerichte wie „Coda di Aragosta il Turco in Italia" (Langustenschwänze mit Raki, Sultaninen, Stangensellerie und Zimt, benannt nach seiner Oper „Il turco in Italia", „Der Türke in Italien"), „Charlotte aux pommes Guillaume Tell" (eine Apfel-Charlotte – inspiriert von Wilhelm Tell, der in Rossinis Oper einen Apfel vom Kopf seines Sohnes schießen muss) oder „Tournedos Rossini" (Rinderfilets mit gebratener Gänseleber und schwarzen Trüffeln auf Madeira-Soße).

Der Name der „Tournedos Rossini" ist angeblich darauf zurückzuführen, dass sein Diener den Gästen den Rücken zukehren musste („tourner le dos“), um die letzten Handgriffe zu verbergen. Rossini hat das Rezept gemeinsam mit dem Chefkoch Marie-Antoine Carême kreiert.

Tournedos Rossini

John Cage: Musiker und Mykologe

Er war ein Freigeist. Cage begeisterte sich nicht nur für Musik, sondern auch für Architektur, Malerei, Lyrik, Tanz und Zen-Buddhismus, um nur einige seiner Leidenschaften aufzuzählen. Ganz besonders hatte es ihm allerdings die Mykologie angetan, die Wissenschaft von Pilzen. Cages lebenslange Pilzobsession begann während der Weltwirtschaftskrise: Ohne genügend Geld für Lebensmittel begann er, Pilze zu sammeln, die er anschließend in der Bibliothek bestimmte und zu Hause genüsslich verspeiste. Für ihn glich das Aufstöbern eines Pilzes unter Gras oder Mulch einem leisen Geräusch, das normalerweise von lauteren überdeckt wird. „Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass man viel über Musik lernen kann, wenn man sich dem Pilz widmet“, schrieb Cage in seinem Essay „Music Lovers Field Companion". Dort vergleicht er auch die Erfahrung einer Aufführung seines Stücks „4‘33‘‘" mit dem Pilzesammeln im Wald. Der erste Satz in „4‘33‘‘" würde demnach den Versuch ausdrücken, „einen Pilz zu identifizieren, der jedoch erfolgreich unidentifizierbar blieb“.

1959 begann Cage sogar an der „New School" in New York City Pilzbestimmung zu lehren. Mit seiner Klasse, in der auch die Fluxus-Künstler Alison Knowles und Dick Higgins waren, unternahm er Waldexpeditionen und veranstaltete anschließend riesige Abendessen. Bei einer Europareise nahm Cage an der italienischen Gameshow „Lascia o Raddoppia?" teil und sollte bei der 5-Millionen-Lire-Frage 24 Namen von Champignons nennen, woraufhin Cage antwortete „ich kann sie alphabetisch auflisten“, und den Hauptpreis gewann. In den 1960er Jahren belieferte er regelmäßig mit seiner Ernte New Yorker Restaurants wie das „Four Seasons" und veröffentlichte Pilzgerichte in der amerikanischen Vogue. „Oft gehe ich in den Wald und denke, nach all den Jahren, sollten mich die Pilze langweilen“, schrieb er in sein Tagebuch. „Aber wenn ich nur einen Pilz in gutem Zustand finde, verliere ich wieder den Verstand.“ Es wurde sogar ein Pilz nach ihm benannt, der „Cortinarius cagei", auf deutsch: „Zweifarbiger Wasserkopf".

John Cages Pilz Dogsup (veganes Ketchup aus Pilzen)

Giuseppe Verdi: Quanto Risotto

Risotto ist ein Reisgericht, in der Mailänder Musikszene des 19. Jahrhunderts hatte dieser Begriff aber auch noch eine andere Bedeutung. Die „Allgemeine Musikalische Zeitung" berichtet am 20. November 1822 über die Opernsaison in Mailand und dabei neben Rossinis gefloppter „Matilde di Shabran" auch von Saverio Mercadantes „Adele ed Emerico": „Der Componist wurde am ersten Abend dreymal von seinen zahlreichen Freunden und von den Risottisten hervorgerufen." Da man offenbar schon davon ausging, dass die deutsche Leserschaft mit den „Risottisten“ nicht vertraut war, merkte der Correspondent in einer Fußnote an: „Will man also den Beyfall im Theater erkaufen, so bezahlt man gewissen Leuten nebst dem freyen Eingangsbillete auch einen Risotto, welches so viel sagen will, als ein gutes Glas Wein. Erhält nun der Componist, Sänger u.s.w. vielen, aber unverdienten Beyfall, so sagen gewöhnlich die hieran keinen Antheil nehmenden Zuhörer: quanto risotto! oder zeigen dieses mit besondern, den Italienern ganz eigenen Geberden an."

„Will man also den Beyfall im Theater erkaufen, so bezahlt man gewissen Leuten einen Risotto."

Allgemeine Musikalische Zeitung

Ob Giuseppe Verdi selbst Risottisten, die Mailänder Claqueure, angestellt hat, ist unklar. Fest steht aber, dass er eine ausgeprägte Vorliebe für das Reisgericht hegte. Da er von zwei Generationen von Gasthausbesitzern und Lebensmittelhändlern in Norditalien abstammte, schwebte in seinem Haus bestimmt ständig einer feiner Duft von Parmaschinken, Olivenöl und frisch gemachter Pasta. Als seine Reise nach St. Petersburg im November 1861 anstand, schrieb seine Frau Giuseppina Strepponi an den Privatsekretär der Schauspielerin Adelaide Ristori, die auch gerade in Russland war: „Wir brauchen richtig perfekte Tagliatelle und Maccheroni, um Verdi bei guter Laune zu halten." Außerdem würde Verdi mit seinem „wirklich göttlichen“ Risotto ganz sicher die Kochkünste der Ristori in den Schatten stellen. Das Rezept war natürlich streng geheim, erst als Camille du Locle, Direktor der Pariser Oper, darum bat, schickte Strepponi es ihm im Auftrag Verdis.

Giuseppe Verdis Risotto

Niccolò Paganini: Teufelskoch?

Sein Geigenspiel war so spektakulär, dass einige Hörer versuchten, es mit dem Übernatürlichen zu erklären. Franz Liszt behauptete: „Sie haben sogar geflüstert, dass er seine Seele an das Böse verkauft hat und seine vierte Geigensaite aus dem Darm seiner Frau gemacht ist, den er selbst ausgeschnitten hat.“ Neben seinem virtuosen Spiel war Paganini bekannt für seinen unersättlichen Appetit. Kein Wunder, denn, wenn der kleine Paganini nicht von früh bis spät geübt hatte, wurde er ohne Abendessen ins Bett geschickt. Auf seinen Reisen nach Paris, London, Wien, Prag, Berlin und Warschau genoss er deren abwechslungsreiche Küche. Nach zwei Kieferoperationen 1828, bei denen ihm alle Zähne entfernt wurden, wünschte er sich in einem Brief an einen Freund für die schnellere Genesung eine Frau, die für ihn kocht. Obwohl ihm in der Küche keine Teufelskünste nachgesagt wurden, ließ er sich nicht davon abhalten, sein Ravioli-Rezept mit so viel Kalbfleisch, Wurst und Butter zu beladen wie nur möglich.

Niccolò Paganinis Ravioli

Leoš Janáček: Hauptsache Drinks

Er gehört neben Wagner, Verdi und Mozart zu den meistgespieltesten Opernkomponisten unserer Zeit. Leoš Janáček thematisierte in seinen Opern die Unterdrückung der Frau ebenso wie tschechische Sagen und Legenden. Als glühender Nationalist interessierte er sich nicht nur für Volksmusik, sondern auch für Sprachmelodien, da er der Meinung war, dass sich die mährischen Volksweisen aus der Sprache entwickelt hatten. Später verliebte er sich in eine 37-Jahre jüngere Frau, der er über 700 Liebesbriefe schrieb. Zwei Jahre, nachdem er Kamila Stösslová kennengelernt hatte, schrieb er ihr aus seinem Heimatort Hukvaldy: „Die Essenssituation hier ist schwierig, aber nicht allzu schlimm. Meine Schwester und ich haben fünf Liter Milch pro Tag. Ich hoffe, dass die Brauerei, die älteste in Mähren, mir etwas von dem echten Zeug geben wird.“ Es ist unschwer zu bemerken, Janáček war vor allem ein Fan von flüssiger Nahrung. Und Bier nicht nur ein Getränk, sondern auch oberste Zutat, wenn Janáček kochte.

Leoš Janáčeks Biersuppe


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