#akkordarbeit

Klängen auf den Grund gehen, der Musik näher kommen. Die niusic-Themenreihe wirft einen Blick durch die Brille der Interpret:innen und sucht im Kleinen neue Perspektiven auf das große Ganze.

Von Sophie Emilie Beha, 06.07.2020

Weg mit dem Stigma!

Diffamierung, Dornröschenschlaf, Aufführungsverbot, Nazis: Das Violinkonzert in d-Moll von Robert Schumann hatte einen sehr steinigen Weg. Im Gespräch mit der Geigerin Antje Weithaas.

Das Interview führen wir über Zoom. Vom ersten Augenblick an merkt man Antje Weithaas ihre Begeisterung für das Violinkonzert an. Sie antwortet entschlossen, zugewandt und manchmal mit einem herzlichen Lachen.

niusic: Warum sprechen wir heute über Schumann?

Antje Weithaas: Erstens finde ich, dass Schumann nach wie vor nicht genug verstanden und gewürdigt wird. Den Platz, den er verdient hat, nimmt er leider im Konzertleben nicht immer ein. Und dann möchte ich natürlich eine Lanze für dieses wunderschöne Violinkonzert brechen. Es gibt so viele krude Theorien über dieses Stück, dass es immer nötig ist, darüber zu sprechen.

#akkordarbeit

Klängen auf den Grund gehen, der Musik näher kommen. Die niusic-Themenreihe wirft einen Blick durch die Brille der Interpret:innen und sucht im Kleinen neue Perspektiven auf das große Ganze.

niusic: Sie haben es ja schon angesprochen, das Violinkonzert von Schumann hatte es nicht leicht. Zunächst waren es Clara Schumann und der Geiger Joseph Joachim, für den Schumann das Konzert geschrieben hatte, die das Werk nicht publizieren wollten.

Weithaas: Genau, obwohl Joachim das Werk anfangs ja sehr geschätzt hat. Nach Schumanns Tod kamen dann aber die ersten Zweifel und Clara und Joachim verboten die Veröffentlichung. Vielleicht war da auch zu viel gut gemeinte Pietät gegenüber seinem Freund im Spiel. Das schadet dem Konzert leider bis heute.

niusic: Können Sie dieses Handeln nachvollziehen?

Weithaas: Bei Joachim kann ich das nicht verstehen, da er ein so offener und neugieriger Musiker war. Bei Clara schon eher. Ihr war das Spätwerk von Robert irgendwie fremd. Sie wollte ihn wahrscheinlich schützen, aber hat damit letztendlich das Gegenteil erreicht. Eine der wenigen Fehlentscheidungen, die Clara und Joseph Joachim getroffen haben. Das muss man schon sagen. Meiner Meinung nach hat dieses Stück so viel Kraft und so viel typisch späten Schumann. Es fällt mir schwer nachzuvollziehen, welche Gedanken den beiden da durch den Kopf gegangen sind.

Über das Violinkonzert

niusic: Einen Monat, nachdem er das Violinkonzert komponiert hatte, ist Schumann in die Nervenheilanstalt nach Endenich gegangen. Ich glaube, man wollte dem Werk nicht den „Wahnsinns-Stempel“ aufdrücken.

Weithaas: Das verstehe ich nicht, denn dann müsste man das auch bei der d-Moll-Sonate und anderen Werken aus dieser Zeit machen. Kein Mensch tut das. Und warum gerade beim Violinkonzert? Ich kann da wirklich überhaupt nichts hören, was in irgendeiner Weise eine psychische Erkrankung erahnen lässt. Gar nicht. Für mich ist das ein typischer später Schumann. Unverkennbar in seiner Harmonik 125 , Instrumentation, Emotionalität. Es ist eine Sinfonie mit Solovioline, wie schon bei Beethoven und Mendelssohn vor ihm und Brahms nach ihm. Mit all dem Reichtum und der kontrapunktischen Durchdringung. Jede Note ist wahnsinnig wichtig und genau richtig da, wo sie ist.

  1. Single sein kann ganz schön langweilig werden. Aufregend wird es in der Musik oft erst dann, wenn zu einer einfachen Melodie eine zweite dazukommt. Wenn beide zusammen spielen, entwickeln sie eine musikalische Beziehung zueinander – die Harmonik. Die Spielregeln der Harmonik werden in der Harmonielehre erforscht und festgeschrieben. (AJ)



Kein Stück von Schumann ist geigerisch!

Der zweite Satz gehört für mich zu den schönsten zweiten Sätzen, die überhaupt jemals für Violine geschrieben wurden. Jedes Mal beim Spielen oder Hören denke ich, das gibt’s doch gar nicht! Diese verhangenen Synkopen der Celli, diese unglaublich anrührende Melodie – darin liegt so eine Tiefe. Dann die schockierenden Abgründe, die Schumann ausmachen. Und wie er danach den Übergang vom zweiten zum dritten Satz gestaltet, fantastisch. Wie sich dieses Polacca-Thema 226 des dritten Satzes aus dem zweiten Satz quasi herausschält – das ist genial!

niusic: Dabei eckt gerade der dritte Satz bei vielen an. Joseph Joachim hielt ihn für sehr ungeigerisch.

Weithaas: Natürlich ist das nicht geigerisch, aber kein Stück von Schumann ist geigerisch! Wenn man sich die großen Komponisten anschaut, haben sie nie für das Instrument geschrieben. Sie haben immer das Instrument benutzt, um ihre Ideen hörbar zu machen. Ich finde, es ist unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, das möglich zu machen – egal wie schwer es ist. Das ist unser Job.

  1. Aus Polen stammender, gemächlich stolzer Tanz im Dreiertakt, mit typisch „aufstampfendem“ Rhythmus. Über viele Epochen hinweg wurden Polonaisen komponiert, wobei zu den immer virtuoseren Instrumentalstücken letztendlich niemand mehr tanzte. In Frankreich galten sie im 18. Jahrhundert als besonders chic. Die wohl bekannteste Polonaise stammt trotzdem von einem echten Polen: Frédéric Chopin (KB)

niusic: Bleiben wir noch einmal bei dem dritten Satz, hier schreibt Schumann ja ein ungewöhnlich langsames Tempo (Viertel = 63) vor …

Weithaas: … die leidige Tempo-Frage: Das vorgegebene Tempo ist ganz schwer in einer freudigen Atmosphäre umzusetzen. Ich habe mich letztendlich auch dafür entschieden, es einen Millimeter schneller zu machen. Sozusagen im langsamstmöglichen Polacca-Tempo, damit auch alle figurativen Geschichten noch sprechen und wahrgenommen werden können, es nichts Stampfendes bekommt und immer noch elegant und flexibel klingt. Normalerweise bin ich total überzeugt von Schumanns Tempi, aber hier musste ich ein paar Gramm draufgeben, um diesen dritten Satz lebendiger gestalten zu können.



niusic: Vielleicht war es ja gerade das, die fehlende Virtuosität und Brillanz, weswegen das Publikum vielleicht enttäuscht war.

Weithaas: Das kann schon sein. Es ist natürlich kein Rausschmeißer-Satz, um das ein bisschen banal zu sagen. Aber es ist ein Satz, der absolut stimmig ist. Nach den ersten beiden Sätzen mit all ihrer schmerzlichen, dramatischen, poetischen Emotionalität, quasi von Moll nach Dur – vom Dunkel ins Licht – ist es für mich völlig nachvollziehbar und richtig, dass dieser Satz keine enthemmte Freude haben kann. Es ist nach wie vor so, dass der Großteil des Publikums mit Schumann nicht so viel anfangen kann. Ich bin überzeugt, dass wir Interpret:innen einen Anteil daran haben. Er braucht so eine eigene Art des Spielens, das genaue Lesen seiner Partitur, seine Tempoangaben, Dynamik 42 ... Wirklich überzeugend und authentisch klingt es nur damit. Schumann wirkt nur dann, wenn man ihn so spielt, wie er es wollte.

  1. In dieser Schublade schlummert sehr viel: Die Lehre der Dynamik hat alles unter ihrer Kontrolle, was mit Lautstärke zu tun hat. Egal ob fließende Veränderungen, einheitliche Stufen oder abrupte Veränderungen der Lautstärke. Ein bisschen Italienisch schadet da nie, jedenfalls bei alter Musik. Viva il volume! (CW)

Über Antje Weithaas

Ich wage mich jetzt echt weit hinaus, aber man kann diese Stücke auch kaputtmachen.

niusic: Kann man das pauschal nicht von allen Komponist:innen behaupten?

Weithaas: Das stimmt. Aber Mozart kann man auch schlecht spielen und die Musik wirkt trotzdem. Oder auch Beethoven – irgendwo gibt es immer eine Wirkung. Schumann und Mendelssohn sind für mich zwei Beispiele, bei denen es anders ist: Wenn man es da nicht schafft, die ganz persönliche Sprache des Komponisten zu erkennen und rüberzubringen, kann man diese Stücke kaputtmachen. Ich wage mich jetzt echt weit hinaus, aber wenn man bei Schumann nicht dieses Pendeln zwischen der Helligkeit und den Abgründen – Eusebius und Florestan – dieses synkopische Hängen, diese anrührende Poesie seiner lyrischen Passagen in seiner Schlichtheit nachempfindet, dann wirkt diese Musik für mich nicht.

niusic: Wie interpretiert man diese Musik denn dann so, dass man sie nicht kaputt macht?

Weithaas: Oh Gott, schon wieder so eine Frage. (lacht) Das hat viel zu tun mit Instinkt, aber Vorsicht: Instinkt wird auch von Erfahrung und Wissen geprägt. Das ist wahnsinnig wichtig. Man muss als Interpretin die Musik vom jungen bis zum späten Schumann kennen und versuchen, seine Persönlichkeit mit all seiner inneren Zerrissenheit zu verstehen. Man muss seine gesamte Entwicklung kapiert haben. Und dann ist es natürlich wichtig, sich emotional darauf einzulassen, auf diese Abgründe und Abbrüche. Stellenweise wechselt der Charakter innerhalb von einem halben Takt von ‚himmelhoch jauchzend‘ zu ‚zu Tode betrübt‘. Das muss man innerlich nachempfinden und sich darauf einlassen. Das ist emotional extrem herausfordernd, aber im guten Sinn. Ich fühle mich sehr wohl in diesem Spektrum der Extreme. Für andere ist es vielleicht anstrengend, aber für mich ist es wirklich das, was mir absolut aus der Seele spricht.

Hero: © Giorgia Bertazzi
Kachel: © Marco Borggreve


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