Von Jonas Zerweck, 10.01.2019

Die Klaviatur der Bargespräche

In Hotelbars kommen sich Musiker und Publikum so nahe wie sonst nie, wenn sie gemeinsam in ihre kleine Welt eintauchen. Eine Barpianistin über die Verbindung zu ihrem besonderen Publikum.

In Hotelbars treffen die unterschiedlichsten Menschen aufeinander. Touristen aus aller Welt, Geschäftsleute, Politiker, Sportmannschaften und manchmal Künstler auf Tour. Während die einen über den abgeschlossenen Deal grübeln und ihre Martini-Gläser schwenken, erinnern sich die anderen vielleicht bei einem Wein an einen spannenden Urlaubstag. Eine aber sitzt am Flügel und spielt. Dabei erfühlt sie die Stimmung, beobachtet die Gäste und sorgt für den akustischen Rahmen. Wie viele live spielende Musiker in Hotelbars hält sie sich im Hintergrund und liefert eine funktionale Musik, die die klare Aufgabe verfolgt, eine fröhliche, gelöste Stimmung zu schaffen ohne zu stören. Der Balanceakt ist, gleichzeitig damit auch unterhalten zu können.
Die studierte Pianistin Sibylle Briner organisierte bis vor Kurzem über viele Jahre die Live-Abende für das Waldorf-Astoria in Berlin. Dort und in vielen anderen Hotels ist sie zudem auch regelmäßig solo oder im Duo aufgetreten, im Waldorf-Astoria saß sie praktisch jede Woche am Flügel. In einem kleinen Berliner Café erzählt sie von solchen Abenden, an denen sie mit dem Publikum auf eigene Weise kommuniziert.

„Gäste sind meist zufrieden, wenn sie Stücke erkennen.“

niusic: Nach welchen Kriterien wählen Sie Musik aus, die Sie spielen?

Sibylle Briner: Mein Ziel ist eine abwechslungsreiche Mischung aus dem zu finden, was das Hotel von mir als Dienstleisterin erwartet – die ich ja in der Situation automatisch bin – und dem, was ich als Künstlerin gerne spiele. Das Hotel erwartet, dass die Gäste zufrieden sind, und die sind es meistens, wenn sie Stücke erkennen. Das bedeutet, ich spiele Bekanntes, verbinde es aber mit eigenen Improvisationen. Genau das macht die Spannung aus. Dadurch bekommen auch die bekannten Stücke eine persönliche Note und werden dadurch unverwechselbar und interessant.
Insgesamt sollte es eine fröhliche Musik sein, die die Leute in Stimmung versetzt. Nicht zu viel Schweres und Trauriges, wobei eine Ballade auch mal passen kann. Meist sind es Stücke aus dem Jazz, der Popmusik oder auch Lounge-Musik.

niusic: Klingt sehr danach, dass die Intuition wichtig ist, um für den jeweiligen Moment die richtige Mischung zu finden.

Briner: Genau, vorher planen ist schwer. Von Seiten des Hotels gibt es zwar immer wieder jemanden, der eine bestimmte Musik vorgeben möchte. Ich habe aber festgestellt, dass diejenigen sich oft gar nichts Konkretes vorstellen können. Manchmal macht es deshalb auch Sinn, einfach mal Neues dazuzumischen. Hinterher sind die Reaktionen dann meistens sehr viel besser.

niusic: Was bewirkt Barmusik bei Gästen?

Briner: Sie wirkt sehr positiv, weil sie zunächst mal eine eigene Atmosphäre erzeugt, und ist interessant für die Gäste, weil sie wie im Konzert jemandem beim Spielen zuschauen können. Dabei haben sie aber die Wahl, ob sie der Musik lauschen oder sich unterhalten möchten. Insgesamt lässt sich deshalb mit Livemusik recht einfach das Interesse an einer Bar steigern.
Wenn regelmäßig Live-Abende stattfinden, führt das außerdem dazu, dass Gäste als Stammkunden wieder kommen. Die freuen sich, ein bestimmtes Duo immer wieder zu sehen. Es gibt meist auch Gäste, die sich einen Wein bestellen, sich einfach hinsetzen und zuhören. Und ich werde oft auch nach kommenden Terminen gefragt. Überhaupt ist die Nähe zu den Künstlern der große Unterschied zur regulären Konzertsituation. In einem Jazzclub herrscht für gewöhnlich eine gewisse Distanz, aber an den Abenden in den Hotels sprechen mich immer wieder Gäste an, und es findet eine Art Kommunikation statt.

„Es ist das schönste Gefühl, wenn man Leute glücklich machen kann.“

niusic: Wie genau sieht die aus?

Briner: Auf der einen Seite werde ich angesprochen, nach Songs gefragt, in den Pausen entstehen auch mal kleine Gespräche oder ich werde gebeten, etwas lauter oder leiser zu spielen. Andersherum gehe ich aber natürlich auch auf die Stimmung ein. Wenn die Bar etwa sehr voll ist und viel Tumult herrscht, spiele ich Stücke, die mehr Stimmung machen, und wenn getanzt wird, eben Stücke, zu denen das möglich ist. Diese Nähe und die Möglichkeit, auf eine gewisse Weise zu interagieren, ist sowohl für mich als Künstlerin schön wie auch für den Gast.

niusic: Das erfordert aber eine große Repertoirekenntnis, viel Spontaneität ...
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Briner: ... und auch Flexibilität. Das stimmt. Ich habe immer Titel im Programm, die ich auf jeden Fall spielen will, aber eben auch viele, die ich der Situation anpasse. Letztlich macht Barmusik für mich genau das aus: dass ich nicht wie im Konzert mein Programm abspule, sondern auf die Gäste eingehe und auf Situationen reagiere. Am Ende ist es das schönste Gefühl, wenn man Wünsche erfüllen und die Leute glücklich machen kann.

niusic: Ich kann mir vorstellen, dass sich auch der jeweilige Barraum auf die Musik auswirkt.

Briner: Er prägt natürlich die Stimmung insgesamt, und auf die gehe ich wiederum ein. Im Waldorf-Astoria etwa ist die Langbar relativ klein und sehr gemütlich. Man fühlt sich dort ein bisschen unter sich. Das gibt schon einen fröhlichen, irgendwie auch intimen Rahmen. Wenn sich die Bar in der Hotelhalle befindet, wird es für den Künstler manchmal etwas schwieriger, weil sich alles viel mehr verläuft. Für den Zuhörenden spielt das aber letztendlich keine Rolle. Sehr konkret wirkt sich der Raum natürlich auch aus, wenn es um die Lautstärke geht. Die hängt aber wiederum auch von mehr ab, etwa der Gästeanzahl, der Stimmung und der Uhrzeit.

„Ich soll eher selten leiser spielen.“

niusic: Wie laut spielen Sie?

Briner: So laut, dass sich die Leute angenehm unterhalten können. Es gibt da keine klare Regel. Ich nehme Rücksicht auf die Gäste und manchmal bitten mich einzelne, lauter oder leiser zu spielen. Menschen sind sehr individuell, also hängt es auch immer von denen ab, die da sind. Da ist die Sensibilität des Musikers gefragt.
Schwierig wird es, wenn sich die Gäste unter sich nicht einig sind. Wenn ein Gast beispielsweise ein Hörgerät trägt und ihm alles zu laut ist. Zehn Minuten später aber der andere Tisch zu mir kommt und sagt: Wir hätten gerne mehr Partystimmung.

niusic: Wie gehen Sie dann damit um?

Briner: Ich nehme das nicht persönlich (lacht) und versuche, es allen recht zu machen – auch wenn das nicht immer möglich ist. Es passiert insgesamt aber eher selten, dass ich leiser spielen soll. Und wenn doch mal eine heikle Situation entsteht, die nicht wirklich zu lösen ist, dann muss ich da einfach drüberstehen.

Wer gerne die besondere Atmosphäre in schönen Hotelbars zur Livemusik erleben möchte, wird meist bei hochklassigen Hotels fündig. In Deutschland, ganz im Gegensatz zu anderen Ländern wie Schweden, England oder Amerika, ist es unüblich beim Ausgehen Hotelbars zu besuchen, doch viele Bars eignen sich sehr dafür. Um die Lieblingsbar zu finden, sollte man einfach ausprobieren. In den großen Städten wie Frankfurt, Hamburg, München, Köln und Berlin treten öfters Musiker in Hotelbars auf. In Berlin beispielsweise bieten neben dem Waldorf-Astoria und dem Hilton auch die Hotels The Stue, Westin-Grand, Ritz Carlton und Regent Livemusik an. Gute Chancen hat man meist zwischen Mittwoch und Sonntag.

© Horst P.M. Osinski


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