Von Marie König, 05.09.2017

Komponiert mir ein Ich!

Beim Audio-Branding werden Marken in Klang übersetzt. Agenturen entwerfen Jingles, Audiologos und Werbemelodien – unter der Prämisse, Firmen eine akustische Identität zu verleihen. Doch lässt sich Musik so präzise zurecht schneidern? Eine Reportage.

„Ich sehe uns als Weltverbesserer“, sagt Alexander Wodrich und lehnt sich entspannt in seinem Stuhl zurück. Blaue Augen, Polohemd, ein paar graue Strähnen in der Kurzhaarfrisur. Der Chef der Agentur „why do birds“ in Berlin-Mitte ist der Inbegriff eines jovialen Start-Up-Gründers. Mit seiner Firma schafft er akustische Marken-Erlebnisse für die Deutsche Bahn, Hyundai, Siemens und die FIFA. Er schneidert Klang-Mäntel, die Firmen einhüllen, bestehend aus Warteschleifengedudel, Hintergrundmusik in den Verkaufsräumen und dem Sound, der bei der Einfahrt eines Zuges über den Bahnsteig gongt. Zieht sich ein Unternehmen diesen Mantel an, so die Theorie, entsteht ein umfassendes, schlüssiges Bild einer Marke, mit dem sich der Kunde identifizieren kann. Adieu, hässliches Plastikjäckchen, hier kommt die Haute Couture!

„Alle sagen, sie hätten gern sowas wie die Telekom. Dabei ist die Kraft des Logos zum Großteil auf das riesige Mediabudget zurückzuführen."

Alexander Wodrich

Dass es sich lohnt, für eine auditive Markengestaltung Geld auszugeben, dringt nach und nach zu den Chefetagen durch. Doch mit der Komposition allein ist es nicht getan: Um wirklich auf sich aufmerksam zu machen, braucht es ein potentes Budget. Der Telekom-Jingle existiert fast 20 Jahre, und seitdem wird er mehrere tausend Mal pro Tag durch Radio und Fernsehen gejagt – das ist klassische Konditionierung.
Wenn Musik und Marketing sich begegnen, geschehen abenteuerliche Dinge. Exceltabellen verleiben sich Noten ein, der Computer wird ausgeknipst und gegen Klangreisen ausgetauscht, genaueste Kalkulationen treffen auf die Unberechenbarkeit von Musik. Doch wie nah können sich diese beiden Sphären kommen?

Emotionalisierung durch Musik

Wie drollig! Hochrangige Manager legen sich auf den Boden, tauschen den Anzug gegen eine imaginäre Badehose und versetzen sich akustisch an den Strand. Für die Entwicklung einer akustischen Identität veranstaltet „why do birds“ Workshops mit ihren Kunden, die sich bereitwillig auf Wahrnehmungsübungen einlassen: „Ich habe einen Surfer gesehen, der über eine Welle springt, und da, jetzt dreht er sich ...“ Aus ersten Assoziationen entstehen gemeinsame Klangvorstellungen, bestehende Firmenklänge werden analysiert, die Points of Contact mit dem Kunden evaluiert. Begriffe wie „Fortschritt“ mausern sich zu musik-näheren Begriffen wie laut, synkopisch 183 oder zart.
Mit den Ergebnissen aus dem Workshop gehen die Mitarbeiter von „why do birds“ an ihren runden Tisch, der eigentlich oval ist und in einem freundlichen Raum mit Flügeltüren steht. Die Komponisten, Produzenten, Projektmanager und Sound-Direktoren sprechen lange über den Klang, wälzen Ideen für Sounds, Instrumente und Rhythmen, und mit einem Mal entsteht Musik.

  1. Was ist im Walzer undenkbar und macht andererseits die Dvořáksche Musik erst richtig interessant? Richtig, die Synkope. Wenn plötzlich ein Akzent nicht im normalen Takt, sondern gegen das gleichmäßige Metrum gesetzt wird, kann das Zuhörer und Musiker gleichermaßen aufrütteln. Ein einfaches, aber äußerst wirksames musikalisches Mittel. (MH)



Wie genau dieser Kompositionsprozess abläuft und wie man herausfindet, was nun „confident" klingt, kann auch Günther Rötter nicht erklären, der selbst Funktionale Musik 273 komponiert und als Professor an der Universität Dortmund darüber forscht. „Ich könnte den Klang machen, aber ich kann eigentlich nicht drüber sprechen." In der Branche des Audio-Branding wird viel von Emotionen gesprochen, die irgendwie in einen Klang übersetzt werden – aber wie geht das vor sich? „Die Agenturen betonen natürlich die Wissenschaftlichkeit ihres Vorgehens. Aber wenn sie gut sein wollen, müssen sie ihrer Intuition folgen.“ Man könne schließlich auch nicht wissen, warum ein Pop-Song ein Hit wird. Der Vergleich liegt nahe – nur, dass ein Pop-Song per se nicht den Anspruch hat, Leute zum Kauf eines anderen Produktes zu bewegen.
Alexander Wodrich wird ganz fuchsig, wenn man eine Verbindungslinie zwischen Audio-Logo und höheren Verkaufszahlen zieht. Doch läuft es nicht darauf hinaus – eine Marke so zu präsentieren, dass sie akustisch erfahrbar, als Freund empfunden und in das eigene Leben integriert wird, also: bessere Verkaufszahlen erzielt?

  1. Am Flughafen, in Werbejingles, in der Therapie: Wenn Musik eingesetzt wird, um einen außermusikalischen Zweck zu erfüllen, spricht man von Funktionaler Musik. (MK)

„Du kannst dich entscheiden, ein tolles, schwarzes, tiefausgeschnittenes Kleid anzuziehen – und daraus schließen, dass die Leute dich alle viel toller finden. Ich weiß nicht, ob das funktioniert. Es ist eher so, dass man durch die Kleidung seine Persönlichkeit findet, und nichts Unpassendes obendrüber stülpt.“

Alexander Wodrich

Auf High Heels rumzueiern, obwohl man nicht darauf laufen kann, ist zugegebenermaßen keine gute Idee. Es eiert aber auch der Vergleich zwischen Musik und Kleidung – denn die Augen kann man schließen und die Ohren nicht. Ein Klang, der sich unbemerkt in unsere Ohren schleicht, hat vermutlich einen anderen Einfluss als ein offensichtlich getragenes Kleid. Aber was noch interessanter ist: Während sich die meisten Menschen über die Farbe eines bestimmten Kleides einig sind, bleibt die durch Musik ausgelöste Emotion streitbar. Grundsätzlich könne man nur sehen, ob die Musik eine Erregung bewirkt oder nicht, meint Rötter.

In unzähligen Studien über werbemäßig eingesetzte Musik tummeln sich die Widersprüchlichkeiten. Mal können exakt fünf Gefühle durch Musik ausgelöst werden, mal unterscheiden sich die Gefühle der Probanden komplett. Äußere Parameter wie die individuelle Erfahrung, Erinnerungen und die momentane Stimmung beeinflussen unsere Musikempfindung extrem. All diese Unwägbarkeiten dürften den Agenturen bekannt sein; dennoch versichern sie, mit ihren Klängen bestimmte Erfolge erzielen zu können. Vielleicht ist das ein Trick guten Marketings: Überzeugend etwas verkaufen zu können, was niemals eindeutig ist, sich jedem Beweis entzieht. Wie beruhigend, dass dieses Mysterium Musik auch von den gewitztesten Marketing-Köpfen noch nicht ganz entschlüsselt werden kann.

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