Von Anna Vogt, 13.03.2018

Klatschbefehl

Wenn Macher von Oper, Theater oder Konzert nicht allein auf die Qualität ihrer Künstler vertrauen wollen, dann können sie sich professionelle Klatscher und Zugabe-Schreier kaufen. Klingt absurd? Ist aber ein altes Geschäftsmodell, das heute wieder boomt.

Buuuuuh! Buuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuh! Wenn der Schlussvorhang im Theater oder der Oper fällt, hat die Stunde des Publikums geschlagen. Angestauter Frust und Häme entladen sich ebenso wie Begeisterung und Anerkennung in einem Inferno aus dem Publikumsraum. Auch wenn für die Karriere eines Regisseurs heute wohlplatzierte Skandale und die Polarisierung des Publikums manchmal förderlicher sein können als zu viel Anerkennung: Für Sänger, Schauspieler und Musiker gilt das eher nicht. Ob sie beim Publikum ankommen, es begeistern oder eben nicht, entscheidet über ihre Karrieren. Der Applaus dient als Barometer für den Publikumserfolg, vor allem bei Premieren. Und wo Erfolg und damit auch das kommerzielle Geschäft der Kulturmacher so direkt abhängen von der Gunst des Publikums – da lässt er sich doch hervorragend manipulieren.

Wo der Erfolg vom Publikum abhängt, da lässt er sich hervorragend manipulieren.

Das dachte sich auch ein gewisser Monsieur Sauton schon um 1820 in Paris und gründete seine „Assurance de succès dramatique“. Diese „Sicherstellung des dramatischen Erfolgs“ konnte jeder Theatermacher oder Künstler in Anspruch nehmen – gegen Bezahlung. In Frankreich verbreitete sich dieses neue Berufsbild der bezahlten „Klatscher“ („Claqueure“) rasend schnell. Die Nachfrage nach einer Erfolgs-Versicherung war ganz offensichtlich groß in dieser wilden Blütezeit der Kultur. Erst 100 Jahre später, im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts, kam der Beruf des „Claque“ wieder aus der Mode. Bis dahin aber hatte er sich überraschend ausdifferenziert. Es gab verschiedene Spezialleistungen, die man buchen konnte, um für ein besonders gutes Publikumsergebnis zu sorgen: Der Heizer („Chauffeur“) lobte das Stück tagsüber laut, indem er vor den Plakaten herumlungerte. Der Kitzler („Chatouilleur“) sprach – ganz unauffällig – vor Beginn und in den Pausen über die hervorragende Vorstellung. Der Kenner („Connaisseur“) musste sogar während der Vorstellung seine Begeisterung kundtun, dagegen hatte der Lacher („Rieur“) seine Nebenleute im Publikum mit „spontanem“ Lachen anzustecken. Der Heuler („Pleureur“) wiederum begleitete sentimentale Szenen mit ergriffenem Schluchzen, der Aufsehenmacher („Tapageur“) musste, wann immer möglich, heftig applaudieren. Und der Zugabe-Rufer („Bisseur“) schrie beim Schlussapplaus begeistert da capo.

So organisierten die Claquere als lautstarke Animateure den Erfolg des Abends, zeigten den anderen an, wann zu klatschen war, wann zu weinen, wann zu lachen. Der Herdentrieb, dem der Mensch so gern folgt, war die gut funktionierende Basis dieses Geschäftsmodells. Dieses Prinzip gilt bis heute. Und macht Claquere auch im 21. Jahrhundert für Veranstalter, Manager und Politiker interessant – um Image zu kaufen, vermeintlichen Erfolg.

Die neuen Claqueure – von „Crying Ladies“ bis „Rent-A-Fan“

Bei politischen Veranstaltungen herrscht heute das Jubeln und Klatschen auf Kommando, als kollektiver Automatismus, auch wenn hier kein Geld fließt, sondern Partei-Solidarität eingefordert wird. Im Fernsehen wird bei Talk- und Spielshows das Publikum von eigens spezialisierten „Anheizern“ zu zeitlich genau platzierten Jubelstürmen animiert. In Asien können wohlhabende Familien sich „Crying Ladies“ für die Beerdigung ihrer Liebsten buchen, in repressiven Staaten ist Jubel oder Weinen des Volks – auf Befehl – sowieso eine Konstante und liefert passende Bilder für die Staats-Propaganda. Auch die Bewerbung von Inhalten bei Facebook ist eine moderne Form der Erfolgsmanipulation. Schließlich lässt sich so die Popularität eines Produkts, einer Firma oder eines Musikers künstlich anheben.

Dennoch hat wohl niemand die Idee der Claqueure aus dem 19. Jahrhundert so eins zu eins übernommen wie Klaus Bernhard mit seiner Firma „Rent-A-Fan“. Bei ihm kann man passgenau für jede Gelegenheit bezahlte Statisten mit konkreten Aufgaben buchen – sie stehen betreten am Grab bei einer Beerdigung, können aber auch auf Knopfdruck frenetischen Applaus bei einem Konzert liefern. Aus einer Datenbank mit 13.000 registrierten Claqueuren stellt er für jedes Event die passende Gruppe zusammen. Engagiert wird er von Managern oder Plattenlabels, wie er ganz offen in einem Interview in der Welt erzählt. Tabu sind für ihn allerdings politische Veranstaltungen: Die öffentliche Meinungsbildung will er nicht mit verkauftem Klatschen beeinflussen. Ästhetische aber schon? Das Problem mit diesem Geschäftsmodell: Um als Spiegel der Gesellschaft funktionieren zu können, um Innovation und Weiterentwicklung zu garantieren, ist Kultur angewiesen auf unverfälschte Reaktionen, auf „echte“ Meinungen, auf Aufrichtigkeit. Die Claqueure aber verkörpern das Gegenteil.

© pixabay


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