Von Thilo Braun, 02.06.2017

Voulez-vous Chopin avec moi?

„Ein großartiges Instrument" nannte Artur Rubinstein das Klavier. Es sei gerade groß genug, um es nicht mitnehmen zu können. „Anstatt zu üben, kann ich lesen, essen, trinken und anderen Aktivitäten nachgehen.“ Welche anderen Aktivitäten das waren, schildert ausführlich seine Biografie.

Klingt es nicht unverschämt charmant, wie Artur Rubinstein Chopins erste Nocturne spielt? Wie er einen umgarnt, in Sehnsuchtsmelodien nach vorne drängt, plötzlich innehält und die süßesten Versprechen ins Ohr säuselt. Diese Nocturne will nicht einschläfern, sie will verführen.



Mit Chopin, verriet Rubinstein einmal im Interview, sei er bei den Frauen am weitesten gekommen. Details kann man nachlesen in seiner Biografie „Erinnerungen. Die frühen Jahre“, ein Wälzer von knapp sechshundert Seiten, von denen wohl zwei Drittel Liebeleien beschreiben. Sogar das Klavierspiel vernachlässigt er, um den Gelüsten nachzugehen. Artur Rubinstein:

„Als junger Mensch war ich faul. Ich hatte Talent, aber es gab vieles in meinem Leben, was mir wichtiger war als Üben. Gutes Essen, gute Zigarren, große Weine, schöne Frauen.“

Anstrengungen am Klavier unternimmt er vor allem, um Damen zu bezirzen. Bereits als Teenager im Hause Rosentower, bei seiner Berliner Gastfamilie. Zu Besuch ist eine Lady aus Boston, Miss Drew, der er das Versprechen abringt, ihm allabendlich einen Gutenachtkuss zu schenken. Ihre Besuche dehnen sich aus, die Küsse ebenfalls, schließlich bereitet die Hausherrin dem Treiben ein Ende. Miss Drews muss abreisen. Ohne sie fühlt sich der arme Artur nicht mehr wohl, sein Klavierlehrer vermittelt eine neue Bleibe bei Ehepaar Winter.

„Ich legte ihr schüchtern meine Hand auf die festen, runden Brüste, und sie erlaubte es."

Artur Rubinstein

Als jedoch Frau Winter eines Abends „im dünnen Morgenrock“ am Bett kniet, ergreift er auch hier, wortwörtlich, die Initiative: „Ich legte ihr schüchtern meine Hand auf die festen, runden Brüste, und sie erlaubte es. Dann küßten wir uns. So begann meine erste richtige Liebesbeziehung.“
Dann beginnen die wilden Jahre. Nach dem Umzug nach Paris im Jahre 1904 musiziert und vögelt sich der Siebzehnjährige quer durch die Pariser Salons. Er lässt sich von Operndiven verführen, trägt teure Kleider, trinkt Champagner wie Wasser. In einem Edelbordell müssen einmal die Manschettenknöpfe als Bezahlung herhalten – der Liebeshunger ist größer als das Einkommen. Ein anderes Mal verführt er eine Gräfin, während deren Gatte daneben im Sessel döst. Als Liebestrank dient ihm (was sonst) eine Nocturne von Chopin: „Als ich die Koda mit den im Pianissimo hingehauchten Seufzern spielte, beugte die Gräfin sich plötzlich vor und küßte mich, leidenschaftlich auf den Mund.“

Übermütig purzelnde Arpeggien

Dass er sich lieber amüsierte, statt an der Spieltechnik zu feilen, hört man seinen Aufnahmen durchaus an. Manch ein Lauf gerät willkürlich, mit Rhythmik und Dynamik nimmt er es ebenfalls nicht allzu genau. Und dennoch: Sie packen einen immer wieder. Es herrscht das pure Leben darin, übermütig purzeln Arpeggien, in schönster Belcanto-Manier singen die Melodien. Solch eine musizierte Lebenslust wäre wohl kaum möglich ohne entsprechende Erfahrungen in der realen Welt.



Leidtragende war wohl am ehesten Ehefrau Nela. Rubinstein leistete sich zahlreiche Seitensprünge, den ersten bereits in der Hochzeitsnacht. Noch als Neunzigjähriger verlässt er seine Frau, um mit der fast sechzig Jahre jüngeren Konzertmanagerin Annabelle Whitestone durchzubrennen. „Ich habe einen schlechten Charakter", soll Rubinstein den Musikern des Juilliard-Quartetts gebeichtet haben. „Aber wenn es um Musik geht, Musik – ja, da bin ich ganz rein.“


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