Von Sophie Emilie Beha, 29.10.2019

Die Macht des Wissens

Das Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik hat eine neue Studie veröffentlicht: Vor allem junge Leute lassen sich in ihrer Urteilskraft von Namen beeinflussen.

Wissen ist Macht, und Macht wird bekanntlich manchmal zum Verhängnis. Dass das allerdings auch ganz harmlos beim Musikhören passieren kann, ist vielleicht nicht jedem bewusst. Das Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik in Frankfurt am Main hat in einer neuen Studie den sogenannten Prestige-Effekt untersucht. Dabei wurden die 170 Studienteilnehmer in zwei Gruppen aufgeteilt und beiden eine Sinfonia von Josef Mysliveček (1737–1781) vorgespielt. Das wusste aber nur die Hälfte der Probanden, die andere Hälfte bekam die Falschinformation, dass das Gehörte aus der Ouvertüre der Oper „Ascanio in Alba“ von Wolfgang Amadeus Mozart stamme.

Der „ästhetische Autopilot"

Nach dem Hören sollten die Teilnehmer bewerten, wie gut sie die Musik fanden. Dabei kam es zu keinem signifikanten Unterschied, die Sinfonia gefiel der Mozart-Gruppe insgesamt nicht besser als der Mysliveček-Gruppe. Betrachtet man allerdings die Altersgruppen, dann schon: Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zwischen 20 und 35 Jahren gefiel das Stück besser, wenn es Mozart zugeschrieben wurde. Wie kann das sein? Schuld daran sei der „ästhetische Autopilot“, den vor allem die jüngeren Teilnehmer einschalten würden, erklärt Michaela Kaufmann, Co-Autorin der Studie, das Ergebnis. Das Etikett „Wenn das Stück von Mozart ist, dann muss es gut sein“ wird über das eigene, subjektive Empfinden geklebt. Ältere Teilnehmer wirken immun, weil sie ihr Urteil oft auf ein breiteres Spektrum an musikalischen Erfahrungen und Vorwissen stützen können.

Wie eigenständig ist eine Komposition?

Auch wenn die Studie keinen signifikanten Prestige-Effekt für die Gesamtgruppe nachweisen konnte, sensibilisiert sie doch für wichtige Fragen: Wie eigenständig ist ein Werk? Ist es immer unmittelbar an seinen Schöpfer gebunden? Was sind Kriterien für gute Musik? Etwa nur der Komponist? Natürlich nicht. Lassen wir uns vielleicht trotzdem manchmal davon in die Irre leiten? Vermutlich schon. Das ließe sich auch auf andere Sparten der Kunst übertragen: Gefallen dem Museumsbesucher die abstrakten Bilder von Gerhard Richter auch, wenn kein Namensschild daneben hängt? Wie sehr lassen wir uns von dem Etikett blenden? Woran machen wir unsere Beurteilung fest? Und wie frei können wir solche Entscheidungen treffen? Auf diese Fragen gibt es keine universellen Antworten. Fest steht allerdings: Erfahrung kann vor Einfluss schützen. Wer also viel hört und sieht, lernt dadurch nicht nur Mozarts und Myslivečeks kennen, sondern macht sich gleichzeitig resistenter gegenüber äußeren Einflüssen.


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