Von Sophie Emilie Beha, 14.03.2019

Glücksspender

Zahlreiche Treugeber bringen ihre teuren Instrumente zur Deutschen Stiftung Musikleben. Die wiederum verleiht sie an Nachwuchskünstler. Was treibt die Spender an? Eindrücke vom Vergabewettbewerb in Hamburg.

Wir sitzen in der Schatzkammer. Ein winziger Raum, vollgestopft mit wertvollen Instrumenten, im Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Es ist kaum Platz für zwei Stühle. In einem der Kästen und Koffer liegt die Geige von Eva Schmidt, gebaut 1905 von Stefano Scarampella in Mantua. Schmidt weiß nicht genau in welchem – vor fünf Jahren hat sie ihre Geige in die Deutsche Stiftung Musikleben gegeben. Die Stiftung verleiht jedes Jahr hochkarätige Streichinstrumente an junge Nachwuchskünstler*innen aus Deutschland. Möglich gemacht wird das durch Menschen wie Eva Schmidt, denn die Hälfte der Instrumente aus dem Fonds der Stiftung stammt aus privater Hand.

Wie findet ein Instrument, an das viel Emotionalität geknüpft ist, den Weg in eine Stiftung?

Wer welches Instrument bekommt, entscheidet ein Wettbewerb, die Stifter haben keinerlei Mitbestimmungsrecht. Dass die Scarampella-Geige ihren Platz in der Stiftung gefunden hat, war Schmidt ein „Herzensbedürfnis“, erzählt sie. Am liebsten würde sie die Geige für immer in der Stiftung lassen. Ursprünglich gehörte sie ihrem Vater, Konzertmeister bei den Bremer Philharmonikern. Nachdem er starb, spielte sie Schmidts Mann bis zu seinem Tod im Jahr 2013. Wie findet ein Instrument, an das so viel persönliche Geschichte und Emotionalität geknüpft sind, den Weg in eine Stiftung? Schmidt geht es um die, die sie noch nicht kennt. Die, die sich ihre Geige beim Wettbewerb erspielen und dann täglich auf ihr üben: „Ich bin diejenige, die ganz versessen darauf ist, die jungen Musiker zu hören.“ Für unser Gespräch musste Eva Schmidt ihren Hörmarathon unterbrechen, seit zweieinhalb Tagen sitzt sie im Spiegelsaal des Museums und hört sich jeden einzelnen der 60 zugelassenen Bewerber an. Das macht sonst keiner. Als letztes spielt Alican Süner, an den die Scarampella-Geige 2018 verliehen wurde. Statt um eine Leihverlängerung spielt er um ein neues Instrument. Schmidt weiß, dass das Instrument zu seinem Spieler passen muss. Dass manche nach einem Klangideal streben, das das jetzige Instrument nicht erfüllen kann. Trotzdem macht es sie traurig, wenn ihre Geige von den Musiker*innen zurückgegeben wird, sie ist ihr immer noch sehr wichtig.

Der Deutsche Musikinstrumentenfonds

„Als ich den Celloklang hörte, da war mir klar, dass ich diesen Mann heiraten wollte. Das alles hängt emotional an diesem Cello.“

Gundula Pumplün

Wie fühlt sich Loslassen an? Gundula Pumplün hat Angst vor der Übergabe. Seit mehreren Jahren kommt sie zum Wettbewerb nach Hamburg, jetzt hat sie sich dazu entschieden, das Cello ihres verstorbenen Mannes in den Fonds zu geben. „Das wird eine emotionale Herausforderung“. Pumplüns Verbindung zu dem Instrument ist eine besonders enge: „Als ich diesen malzig-sonoren Celloklang hörte und wie er spielte, da war mir klar, dass ich diesen Mann heiraten wollte. Das alles hängt emotional an diesem Cello.“ Auch noch dreieinhalb Jahre nach dem Tod ihres Mannes meidet sie Cellomusik. Doch es ist schön für sie, wenn sie weiß, dass ein anderer mit diesem Instrument „Menschen in der Seele berühren und erfreuen“ kann. Trotzdem ist sie auch froh, wenn der Tag vorüber ist. Pumplün hofft, dass ihre Finger bei der Übergabe nicht zu sehr zittern. Und dass sie die unbekannte Person, der sie das Instrument überreichen wird, auf Anhieb sympathisch findet. Danach würde sie es gerne in einem Konzert hören wollen.

Monika Blankenburg und Marcel Johannes Kits

Damit ihr Klang bewahrt wird, ist es wichtig, Streichinstrumente regelmäßig zu spielen. Das Holz muss schwingen, im Tresor würden sie ihre Klangqualität verlieren. Die Deutsche Stiftung Musikleben gibt den Spendern aber nicht nur die Sicherheit, dass das Instrument gepflegt und gespielt wird, sondern auch die Möglichkeit, einen Zugang zur jungen Generation zu finden. „Die netten Menschen kennenzulernen, das ist Belohnung genug für mich“, sagt Monika Blankenburg. Sie stellt dem Deutschen Musikinstrumentenfonds mehr als zehn Instrumente zu Verfügung und ist Mitglied im Beirat. Neben ihr sitzt Marcel Johannes Kits, er erspielte sich 2016 eines der Spitzeninstrumente des Fonds: ein Cello von Francesco Ruggeri, gebaut 1674 in Cremona. Für Kits war das die „größte Überraschung und der wichtigste Moment“ seines Lebens. Als er mit diesem Cello und dem Estonian National Orchestra in der Elbphilharmonie spielte, war Monika Blankenburg dabei. Als er den Internationalen George Enescu Wettbewerb in Bukarest gewann, verfolgte sie ihn im Livestream. Er schreibt ihr, wenn er Konzerte spielt, sie kommt. „Wir sind auf die Ferne befreundet“, sagt Blankenburg und legt ihre Hand kurz auf Kits Unterarm. Mit ihren Leihgaben möchte sie jungen Künstlern in ihrer Entwicklung helfen. „Es gibt nichts Schöneres im Leben, als zu sehen wie jemand mit solchen Instrumenten wächst.“ Manchmal hat sie Glück, und es entstehen Freundschaften wie beispielsweise mit der jungen Koreanerin, der Blankenburg durch die Stiftung vor einigen Jahren eine Geige lieh. Blankenburg war auf ihrer Hochzeit und spielt ab und zu mit ihr im Trio. Die beiden treffen sich mindestens alle 14 Tage.

Nach dem Gespräch bleibt Blankenburg vor einer Fotowand stehen, auf ihr sieht man Alumni, Stipendiaten, Stifter – alle, die dazugehören. Es erinnert an ein Familienalbum. Lange betrachtet Blankenburg die Wand und seufzt, sie zeigt mit dem Finger auf einige Gesichter, Mitgründer der Stiftung, ihren Ehemann. „Alle tot, wie traurig.“ Die Stiftung geht weiter, dieses Jahr sind 225 Instrumente im Fonds, so viele wie noch nie. Von 35 Bewerben haben 31 ein neues Instrument bekommen.

Gundula Pumplün und Samuel Weilacher

Beim Preisträgerkonzert wird die Förderung hörbar. Marcel Johannes Kits und andere Spitzenkünstler der Stiftung zeigen die breite Farbpalette und Klangfülle der Instrumente. Die Übergabe selbst soll so schnell wie möglich stattfinden. Ein letztes Mal bekommen die Treugeber ihr Instrument für etwa eine Minute in die Hand, dann ein Händeschütteln, Lächeln in die Kamera, fertig. Trotzdem herrscht eine freudige Atmosphäre. Viele sind mit ihrer Familie gekommen, Eva Schmidt mit ihrer Schwester, Gundula Pumplün mit einer Freundin. Als Pumplün das Cello überreicht, sieht man ihre Hände nicht zittern, sie schaut Samuel Weilacher aufmerksam ins Gesicht, der es besonders vorsichtig in die Hand nimmt. Es ist ihr Geburtstag. „Der schönste, den ich je hatte“, erzählt Pumplün zwei Wochen später. Sie sei unheimlich beeindruckt gewesen vom Können der jungen Musiker, insbesondere von Marcel Johannes Kits, und ist froh, dass ihr Cello nun bei Samuel Weilacher ist. „Da werden seine klanglichen Möglichkeiten besser ausgeschöpft als früher. Das ist für mich völlig stimmig.“

„Die Stiftung bietet den Treugebern greifbar eigentlich nichts, außer das wohltuende Gefühl, etwas Sinnvolles getan zu haben“, meint Irene Schulte-Hillen, Präsidentin der Deutschen Stiftung Musikleben. Obwohl an den Instrumenten häufig Lebensgeschichten und emotionale Beziehungen hängen, sie oft Familienerbstücke sind, geben die Spender sie gerne weiter. Weil sie anderen damit helfen können und weil genau das Freude macht. So können sich Generationen begegnen, die sonst wenig Berührungspunkte haben. Wie Geigenkoffer und Schatzkammer.

Foto von Blankenburg und Kits © Jürgen Joost
© DSM/David Ausserhofer


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