Die Streicher fröstelt es. Zitternd begleiten sie Pamina, die den Verlust der Liebe beklagt: Tamino scheint nichts mehr von ihr wissen zu wollen. Mojca Erdmann interpretiert die Arie 102 vor einer weißen Wand, mit eisprinzessinnenhaftem Blick steht sie im Nirgendwo.
Nach den ersten Akkorden erweitert sich die Perspektive, und wir blicken auf einige Rosenhäufchen auf dem Boden. Während auf den Werbefotos zur CD „Mozart’s Garden“ prächtige Bouquets prangen, hat es beim Video wohl nur für den auseinandergerupften Rest vom Floristen gereicht. Immerhin gab es noch Rosen in Grammophon-Gelb.
Wie sprechen, nur schöner: In der Oper unterhalten sich die Menschen singend. Während sie im Rezitativ versuchen, möglichst viel Handlung zu erzählen, dürfen Papageno, Carmen und Co. in der Arie ihren Gefühlen Luft machen. Herausgelöst aus der ursprünglichen Geschichte wurden diese Schmuckstücke manchmal berühmter als die Oper selbst. (AJ) ↩
Doch es bleibt keine Zeit für weitreichende Gedanken zur Deko, denn – huch! Was passiert in Sekunde 34? Rabiat werden wir nach Dur katapultiert, wo es mit einer Nahaufnahme von manikürten Fingernägeln weitergeht. Da hat der Tonmeister erbarmungslos zwei Takte rausgeschnitten und sich die Modulation 66 gespart! Erdmann, davon unbeeindruckt, schmachtet Rosenköpfe zerdrückend weiter. Kaum ist der erste Schnitt-Schock verkraftet, kommt auch schon der nächste, und dieses Mal werden wir um ganze vierzehn Takte betrogen, und dann, hoppla, nochmal um drei. Was nicht in ein knackiges Werbevideo passt, wird passend gemacht. Währenddessen legt sich die Sopranistin auf ein Blütenbett und wird in morbider Slow Motion beim Tote-Frau-Spielen gefilmt, schließlich lautet die letzte Zeile „So wird Ruh im Tode seyn“. Am Ende dieser zwei Minuten fühlt man sich selbst wie ein abgepflücktes Rosenblättchen, vom brutalen Marketingstiefel im Sand zermalmt. Es ist nicht auszuhalten!
Zwischen dem Schlussmachen mit einem Partner und dem neuen Partner liegt die Zeit der Modulation. Von der einen Tonart in die nächste. Es gibt drei Arten, damit fertig zu werden: diatonische, chromatische oder enharmonische Modulation. Hoppst man direkt in die nächste Musikbeziehung, nennt man das Rückung. (CW) ↩
Die nächsten YouTube-Vorschläge sind jedoch nicht minder grauenvoll. Mojca Erdmann scheint hier denselben kaltschnäuzigen Werbemenschen engagiert zu haben, der ihr auch 2013 geraten hatte, mit den Priestern beim Eurovision Song Contest teilzunehmen. Man weiß gar nicht, was man schrecklicher finden soll: das geschmacklose Mash-up, die verstümmelte Mozart-Arie, oder die Tatsache, dass jemand, der so schön singt, sich hier mit so wenig Gespür für die Materie präsentieren lässt.
© Felix Broede/DG