Von Jesper Klein, 29.09.2017

Quo vadis, Konzerteinführung?

Während der Probenphase der Jungen Deutschen Philharmonie wird nicht nur musiziert, sondern auch moderiert. Bei einem Coaching sollen die Nachwuchsmusiker lernen, selbst Konzerteinführungen zu halten. Ein vielversprechendes Konzept.

Üblicherweise sind Konzerteinführungen ein Akt der Langeweile. Trotzdem gehört es zum guten Ton der Klassikbranche, dass Konzertveranstalter diesen Service regelmäßig anbieten. Und so wird dem Teil des Publikums, der früh genug am Veranstaltungsort eingetroffen ist, das Programm erklärt. Schnell sind die historischen Daten und Fakten präsentiert, womöglich folgt eine trockene Werkanalyse, bei der stets die Frage in der Luft hängt, welcher der Anwesenden dem Gebotenen überhaupt folgen kann. Angereichert wird der Vortrag meist mit ein paar humoristischen Anekdoten und Zitaten. Doch braucht es dieses kulturpädagogische Vorspiel vor dem eigentlichen Akt?

„Warum kann die Subdominantparallele sexy sein? Das müssen wir erklären!“

Daniel Finkernagel

Die Idee, Konzertprogramme zu erläutern, ist wahrlich nicht neu. Zunächst ging sie von den Komponisten selbst aus, die ihre Werke dem Publikum näherbringen wollten. Besonders für Programmmusik 78 boten sich Erläuterungen zum Kontext des Werkes an. Auch innovative Kompositionstechniken, wie etwa Arnold Schönbergs Dodekaphonie 123 , bedurften der Erläuterung. Das ist durchaus nachvollziehbar. Doch wer soll die Aufgabe in der heutigen Klassikwelt übernehmen, wenn doch die meisten Komponisten schon längst verstorben sind? Glaubt man Daniel Finkernagel, Coach und Moderator, ist die Antwort einfach: die Musiker selbst natürlich! Und so proben sieben Mitglieder der Jungen Deutschen Philharmonie in der Thüringer Landesmusikakademie nicht allein das Musizieren, sondern gemeinsam mit Finkernagel auch das Moderieren.

  1. Wie hat man im 19. Jahrhundert darüber gestritten, ob Musik ein „Programm“ haben, also etwa eine Geschichte erzählen oder eine Landschaft lautmalerisch nachbilden dürfe. Komponisten wie Berlioz, Liszt und Strauss haben es einfach ausprobiert. Ob ein Hexensabbath, eine Hunnenschlacht oder Till Eulenspiegel: Wie in der Filmmusik bereichern sich in ihren Programmmusiken wilde Stories und klangsatte Musik gegenseitig. (AV)

  2. Zwölftonmusik entstand durch den Traum von der Gleichberechtigung aller Töne. Komponiert wird sie mit allen zwölf Tönen der chromatischen Tonleiter. Erst wenn jeder Ton einmal gespielt wurde, darf sich ein anderer wiederholen. So entstehen klirrende Dissonanzen und scheinbar planlos herumspringende Melodien, die noch heute die Ohren verwirren. Wer hat‘s erfunden? Ein Österreicher. (AJ)

Über das reine Orchesterspiel hinauszublicken, das gehört zum Konzept des selbsternannten „Zukunftsorchesters“ dazu. Die besten Studierenden der deutschsprachigen Musikhochschulen kommen bei der Jungen Deutschen Philharmonie zusammen, sie sind zwischen 18 und 28 Jahren alt. Die Probespiele sind hart umkämpft, die Dirigenten und Solisten namhaft. Zahlreiche ehemalige Mitglieder spielen nun in bedeutenden Orchestern. Renommierte Ensembles, wie die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen oder das Ensemble Modern, gingen aus der Jungen Deutschen Philharmonie hervor. Während der intensiven Probenphase in Sondershausen werden neben dem Moderationsworkshop auch Projekttage zu den Themen Bühnenpräsenz und Mentaltraining angeboten.

Viele Orchestermitglieder schätzen diese Möglichkeiten einer breiten Ausbildung, die die Junge Deutsche Philharmonie ihnen bietet. „Wir brauchen auch Dinge außerhalb der Musik“, sagt Florian Chamot, 25 Jahre alt. Der Trompeter gehört zu denjenigen, die Moderationserfahrung mitbringen. Aber warum müssen nun unbedingt Orchestermitglieder die Konzerteinführung halten? Die Idee, die Finkernagel den jungen Musikern vermitteln will, klingt vielversprechend: Nur wer selbst ein Teil des Orchesters ist, kann über seine Erfahrungen mit der Musik das Publikum begeistern, neugierig machen auf den Abend. Leidenschaft ist der Schlüssel zur gelungenen Musikvermittlung.

Zusammen mit Finkernagel arbeiten die Musiker heraus, was sie am Programm der anstehenden Herbsttournee besonders fasziniert. Was macht etwa Kaija Saariahos „Laterna magica“ aus? Sind es die penetranten Störungen, die die magische Atmosphäre immer wieder durchsetzen? Oder ist es die bedrohlich-surreale Klangkulisse, die teilweise wie von einem fernen Stern anmutet? Die Stimmen, die sich in den Orchesterklang mischen?



„Wir sind kein Programmheft auf zwei Beinen.“

Daniel Finkernagel

Und so werden die Musiker zu Archäologen, die im Notentext nach dem Besonderen graben, um das Publikum daran teilhaben zu lassen. Klar ist, dass es hierbei nicht darum gehen kann, Kompliziertes auf das Allereinfachste herunterzubrechen, wie es in der Klassik oft in reflexhafter Panik versucht wird, um die wenigen Zuschauer nicht auch noch durch Überforderung zu vergraulen. Schlussendlich muss es das Ziel sein, mit klassischer Musik möglichst viele Menschen zu erreichen, möglichst auch diejenigen in den Bann der Musik zu ziehen, die sich nur zufällig in den Konzertsaal verlaufen. „Wenn man es schafft, beim Publikum eine Hinhörhaltung zu erzeugen, dann hat man gewonnen“, fasst Finkernagel das Konzept zusammen. Funktioniert das auch in der Praxis?

Assoziationen statt Hard Facts

Ortswechsel: Konzerthaus Berlin, zehn Tage später. Punkt 19 Uhr beginnt die Einführung im Musikclub, Caféhaus-Ambiente mit Plüsch und viel Holz. Johanna (Geige) begrüßt die etwa 20 Gäste von der Bühne aus – mit Mikro, aber ohne Rednerpult. Als Musikerin ist sie Scheinwerferlicht gewohnt, das freie Sprechen allerdings nicht unbedingt. Das macht aber nichts, das Publikum hat sie schnell auf ihrer Seite. Denn dieses wird gleich selbst gefordert, sich auf Johannas Assoziationswelt einzulassen. Die nähert sich erst einmal dem Begriff „unauslöschlich“ (dem Titel von Nielsens Sinfonie) über eine philosophische Anekdote: ein Maler, der seine mühsam gemalten Bilder zuletzt mit schwarz und blau überstreicht. Man weiß, was war und doch sieht man es nicht. Wie das auf Nielsen zu übertragen ist, muss man sich selbst überlegen. Solche Bilder funktionieren gut, um Gedankenspiralen in Gang zu setzen, die das Werk auf einer anderen Ebene umkreisen als die gängigen Infos zu Entstehungsumständen und strukturellem Aufbau einer Komposition.
Assoziationen statt hard facts: Darauf setzt Johanna auch bei Kaija Saariahos „Laterna magica“. Dass es in dieser Orchesterkomposition um wechselnde Lichtimpressionen geht, wird später im Konzert noch mit einer eindrucksvollen Licht-Installation verdeutlicht. Johanna will aber darauf hinaus, wie man Licht in Klang übersetzen kann. Sie hat dafür zwei Musikerinnen mitgebracht, die auf dem Cello und der Geige besondere Spieleffekte vorführen: ponticello (das Streichen ganz nah am Steg, was metallisch scharf klingt) und sul tasto (auf dem Griffbrett, was den Ton leise und brüchig macht). Welche Lichtstimmungen diese Effekte vermitteln, will Johanna bewusst der Fantasie der Zuhörer überlassen und nicht in Worte fassen. Gute Entscheidung. Und auch das Publikum muss ran und lässt sich überraschenderweise bereitwillig darauf ein, gemeinsam mit Johanna „das ewige Licht“ zu flüstern und sich damit eine weitere Besonderheit von Saariahos Werk sinnlich zu vergegenwärtigen, denn die (flüsternde) Stimme ist hier exzessiv eingesetzt. Zu Prokofjews Klavierkonzert erfährt man abschließend doch ein paar Infos zur Entstehung – und dass Johanna das Stück „einfach wunderbar“ findet. Nach einer knappen Viertelstunde ist die Einführung vorbei. Ein bisschen kurz, manchen Aspekten hätte mehr Zeit gut getan: etwa den Erklärungen an und mit den Instrumenten selbst, die Assoziationsschrauben hätte man noch weiter drehen können, ein paar allzu pauschale Aussagen etwas präzisieren. Doch um Interesse zu wecken für das Programm und ein paar erste (emotionale) Anker auszuwerfen, hat diese Viertelstunde ausgereicht. Für mehr Infos gibt es das Programmheft – und die verbleibenden 45 Minuten bis zum Konzertbeginn.

Anna Vogt

Doch was ist die Konsequenz des Ganzen, müssen nun alle Orchestermusiker Konzerteinführungen halten können? Nein, sie müssen es nicht. Schließlich ist der moderierende Musiker nur eine Möglichkeit, ein allzu oft verstaubtes Format mit Leben und Persönlichkeit zu füllen. Zugegeben: Der Brückenschlag zwischen Orchester und Publikum schafft eine verlockende Nähe und kann die Kluft, die zwischen Musikern und Publikum in der Klassik nicht zu leugnen ist, vielleicht überwinden. Doch warum sollen nicht auch Veranstalter oder Musikwissenschaftler begeistern können? Auch sie haben schließlich ein persönliches Verhältnis zur Musik und können das Publikum daran teilhaben lassen, gerne auch auf neuen Wegen. Sie müssen es nur tun.

© Achim Reissner


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