Von Jesper Klein, 14.06.2018

Stets gut gekleidet

Auf ihrer neuen CD „Cross-Dressing Bach“ statten Enrico Gatti und Rinaldo Alessandrini die Musik Johann Sebastian Bachs mit neuen musikalischen Gewändern aus – durch verschiedene Besetzungen und Fassungen. Ganz im Sinne des Komponisten.

Wenn Musiker entscheiden, ein Werk nicht in der üblichen Besetzung zu spielen, ist der Klassik-Liebhaber erst einmal skeptisch. Aus der Luft gegriffen ist das nicht: Schließlich versuchen Verfechter der historisch informierten Aufführungspraxis 122 seit Jahrzehnten, sich durch aufwändige Erforschung der Entstehungsumstände dem Klang eines Werkes zu Lebzeiten seines Komponisten anzunähern. Noch mehr daneben als bei modernen Instrumenten greift man, salopp gesagt, gleich bei den ganz falschen. Und es gibt – unabhängig von der Frage, wie man Alte Musik nun am besten aufführt – ja genügend Negativbeispiele für miese Klassik-Bearbeitungen.

Wenn wir es in dieser Frage halten wollen wie Bach selbst, müssten wir viel pragmatischer denken. Bach übertrug seine Musik munter von einem Instrument zum anderen, je nachdem, wie es eben gerade passte. So wurden Violinkonzerte flugs zu Cembalokonzerten, obwohl beide Instrumente ja einer ganz unterschiedlichen kompositorischen Behandlung bedürfen. Wenn diese verschiedenen Fassungen tatsächlich überliefert sind, oft können sie nur vermutet werden, beißen sich Wissenschaftler regelmäßig die Zähne daran aus, welche Version nun die ursprüngliche oder „richtigere“ ist. Dabei hätte Bach über diese Frage wahrscheinlich nur den Kopf geschüttelt.

  1. Darf man Bach auf dem Klavier spielen, obwohl es das Instrument im Barock noch nicht gab? Geht Haydn nur bei Kerzenschein? Der Streit um eine historisch korrekte Aufführungsweise oder -praxis begann schon bei Mendelssohn-Bartholdy, und noch heute wird geforscht, probiert und diskutiert, wie man auf historischen Instrumenten oder zumindest „historisch informiert“ spielt. (AJ)

Frischer Wind

Wenn Enrico Gatti (Violine) und Rinaldo Alessandrini (Cembalo) sich nun also diesen alternativen Fassungen widmen und die Idee durch kluge eigene Arrangements weiterdenken, ist das höchst erfrischend. Es bringt Musik auf den Klassikmarkt, die das gänzlich bekannte Bach-Repertoire um Varianten belebt, ohne dabei Raubbau am Werk des Komponisten zu betreiben. Der Titel „Cross-Dressing Bach“ ist zwar wackelig gewählt, da es hier nicht um das Spiel mit Geschlechterrollen geht, wie die Bedeutung nahelegt, sondern um neue Gewänder an sich. Das tut der Sache aber keinen Abbruch.

Denn die Mischung, die Gatti und Alessandrini bieten, ist stimmig und zeigt den Reichtum der Instrumentierung, obwohl den Musikern nur zwei Instrumente zur Verfügung stehen: Das Herzstück sind zweifellos die zwei für Violine und Cembalo bearbeiteten Gambensonaten (BWV 1028 und 1029), die den Rahmen des Programms aufspannen. Den zweiten Satz aus BWV 1028 gestaltet das Duo federleicht, im folgenden Andante erzählt die Violine beseelt über schlichten Cembalo-Trillern. 93 Dazwischen präsentieren sich die Künstler teilweise solistisch mit ein paar buntscheckigen Bearbeitungen: die Partita BWV 1013 für Violine arrangiert (ursprünglich Traversflöte), die d-Moll-Sonate BWV 964 für Solo-Cembalo (ursprünglich Violine) und das geschickt für zwei Instrumente aufgeteilte Trio 255 BWV 583 (ursprünglich Orgel). Mit der Fuge 47 BWV 1026 stellen die Musiker abschließend die Frage: War das Stück eigentlich Teil einer umfangreicheren Komposition?

  1. Was für eine barocke Rollenverteilung! Der Dux schreitet ins Stück, er übernimmt die Führung, bis der Comes sein Thema aufnimmt und sich mit der vorgestellten Melodie unter ihn schichtet, während der Dux fortfährt. Beide können nicht ohne einander und nähren sich vom anderen. (CW)

  2. Diese lange Haltenote. Wie langweilig! Schnell ein kleines Trillerzeichen gesetzt und es kann auf verschiedenste Weise losverziert werden, als ob es kein Morgen gäbe. Bitte immer die Grenze zwischen kunstvoller Ausgestaltung und Zirkusnummer einhalten! (MH)

  3. Drei Musiker spielen zusammen, schon sind sie ein Trio. Ob Klaviertrio mit Klavier, Geige und Cello – die wohl bekannteste Trio-Formation – oder drei Alphörner: Der Begriff Trio ist da recht flexibel. Neben der Besetzung benennt er auch die Werke an sich: Ein Klaviertrio spielt ein Klaviertrio. Verwirrend? Nicht wirklich. (AV)

Der gut einstündige Ausflug in die Welt der Bach-Varianten gewinnt dank der ausführlichen Einordnung im Booklet an Tiefe, es ist aber keine Pflichtlektüre. Schließlich geben Gatti und Alessandrini auch mit ihren stimmigen Interpretationen ein schönes Beispiel, wie man im Schaffen eines eigentlich bekannten Komponisten neue Glanzlichter ausfindig machen kann. Bei Gatti und Alessandrini ist Bach stets gut gekleidet.


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Johann Sebastian Bach

Cross-Dressing Bach

Enrico Gatti, Rinaldo Alessandrini

Glossa/Note 1

© Pixabay
© Cover: Rosa Tendero


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