Von Silja Vinzens, 15.02.2021

Für immer im Jazz-Olymp

Songs wie „Spain“ haben ihn berühmt gemacht. Auf dem Klavier hat er sich ständig neu erfunden, immer wieder neue Pfade erkundet. Jetzt ist Chick Corea seinen letzten Weg angetreten. Am 9. Februar verstarb der Pianist. Er hinterlässt ein Lebenswerk voller Leichtigkeit.

Pure Energie, unverhohlene Spielfreude: Diese beiden Eigenschaften verkörperte Chick Corea auf unnachahmliche Weise. Oder anders gesagt: Schwermut ist in seiner Musik ein Fremdwort. Selbst den tragendsten Stücken vermochte er Leichtigkeit zu geben. Die Mühelosigkeit, mit der er die Klaviatur beherrschte, die unerschöpfliche Kreativität, mit der er Eigen- wie auch Fremdkompositionen immer wieder neue Wendungen gab, ließ ihn schnell in die oberste Riege der Jazzkultur aufsteigen. 

Armando Anthony „Chick“ Corea wurde am 12. Juni 1941 in Massachusetts geboren. Am Klavier saß er bereits mit vier Jahren – unter Anleitung seines Vaters, der selbst Bandleader und Trompeter war. Das Interesse für Klassik und Jazz ging bei dem kleinen Chick von Anfang an Hand in Hand. Zu seinen Vorbildern gehörten Beethoven und Mozart genauso wie der Begründer des modernen Jazzklaviers Earl „Bud“ Powell. Mit gerade einmal 27 Jahren war Chick Corea bereits im Jazz-Olymp angekommen: Er sprang für Herbie Hancock in der Band von Miles Davis ein.

„Die Melodie beginnt zu schweben, das Werk gleitet dahin wie das Segelflugzeug in die Weite des Himmels.“

Am 9. Februar 2021 ist Chick Corea im Alter von 79 Jahren an den Folgen einer schweren und seltenen Krebserkrankung verstorben. Was von ihm bleibt, ist seine ganz eigene Stimme, die er dem Klavier, dem Jazz und der Musikwelt gegeben hat. Ein gutes Beispiel dafür hat er erst 2020 in seinem Album „Plays“ eingespielt: Chopins Prelude in e-Moll, Opus 28, Nr. 4. Wenn er dieses Stück interpretiert, bekommt das vergleichsweise eher kleinere Werk aus der Feder des großen Romantikers eine unglaubliche Weite. Dort, wo manch ein:e rein klassische:r Pianist:in schwer in die Tasten greift, um der führenden Stimme in der rechten Hand die Basslinie aus der linken zu geben, fügt Chick Corea einen nach vorne drängenden schnelleren Puls hinzu. Die Melodie beginnt zu schweben, das Werk gleitet dahin wie das Segelflugzeug in die Weite des Himmels. Vorbei ziehen immer wieder einzelne Ausschnitte, für die sich Corea Zeit lässt, mit denen er in neue musikalische Räume entführt.



Mit seinem vielleicht berühmtesten Werk „Spain“ wurde Chick Corea noch zu Lebzeiten zu so etwas wie einer lebenden Legende. Vom Chor über Streichquartett dürften in den vergangenen Jahrzehnten so einige an dem Jazz-Fusion-Stück mit dem teils nicht ganz unkomplizierten Samba-Rhythmus gescheitert sein. Aber auch wahre Könner:innen zollten dem mit einem Grammy ausgezeichneten und für zwei weitere nominierten Song auf ihre Weise Respekt. Musikgrößen wie Paco de Lucía, Al Di Meola and John McLaughlin oder auch Stevie Wonder nahmen „Spain“ in ihrer ganz eigenen Version und musikalischen Sprache auf. 

Wie ein Miniatur-Applaus für sich selbst sah das aus. Als wollten sie sagen: „Da war Energie drin!“

Ohne Zweifel seien seine jahrelangen Freundschaften mit Musikerkolleg:innen das, von dem er am meisten zehre, sagte Corea einmal. Diese Aussage war in seinen Konzerten nicht nur hör-, sondern auch stets sichtbar. Wie etwa am 28. Juni 2015 bei seinem Gastspiel im Münchner Gasteig. Gemeinsam mit dem mindestens genauso einzigartigen Bobby McFerrin stand er da auf der Bühne. Auch „Spain“ stand auf dem Programm. Minutenlang bauten die beiden ein sphärisches Intro auf, um dann in das bewegte Thema überzugehen, sich gegenseitig aufzuwiegeln. Nach jedem Stück streckten die beiden sich jeweils eine Hand entgegen und ließen die Finger schnell aufeinander auf- und abwippen. Wie ein Miniatur-Applaus für sich selbst sah das aus. Als wollten sie sagen: „Da war Energie drin!“

Was bleibt von der Energie des großen Chick Coreas übrig, jetzt, wo er künftig nicht mehr die Bühnen dieser Welt mit seinen vielen Freund:innen und berühmten Kolleg:innen teilen oder auch ganz allein mit seinem Klavierspiel das Publikum verzaubern kann? Es sind die Zuhörer:innen geradezu warm umhüllende Stücke wie „Christal Silence“ vom gleichnamigen Album aus 1972, die eine wahrlich kristallklare, ruhige, aber nicht stille Antwort auf diese Frage geben. Was Chick Corea der Welt hinterlässt, ist ein musikalisches Füllhorn, das es weit über seinen Tod hinaus vermag, Menschen zum Strahlen zu bringen, zu bewegen und das hoffentlich bis in die Ewigkeit eine Inspiration für alle Nachwuchs-Musiker:innen sein wird. 

Fotos: Christine Bush (CAMI Music LLC)


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