Von Malte Hemmerich, 05.06.2018

Respekt und Fantasie

Der Cellist Jan Vogler fährt erfolgreich auf vielen Schienen des Betriebs. Wie er die Karten-Einnahmen der Dresdner Musikfestspiele verdoppelt hat und worin er das Positive von Trumps Präsidentschaft sieht, erzählt er im Interview.

niusic: Herr Vogler, seit gut zehn Jahren sind Sie Intendant hier bei den Dresdner Festspielen. Ein Gedankenspiel: Angenommen, Sie wären der Gründungsintendant gewesen, was hätten Sie grundlegend anders angelegt?

Jan Vogler: Das ist eine schwierige Frage, aber eine gute. Ich versuche, ehrlich zu sein: Die Ausrichtung der Festspiele war von Anfang an grandios. Die Motivation dagegen war unlauter. Eben Propaganda der DDR-Regierung, um zu zeigen, wie toll man doch ist. Aber der Ort war perfekt gewählt, es gab viele Spielstätten und ein breites Angebot voll klingender Namen. Die New Yorker Philharmoniker, Abbado, alle waren hier, ich bin damals als junger Mensch selbst von Berlin nach Dresden gepilgert.

niusic: Mittlerweile sind Sie hier Chef. In erster Linie aber weltweit konzertierender Cellist. Als solcher ist man doch so nah an der Substanz der Kunst, nervt dagegen das bürokratische Intendantengeschäft nicht immer öfter?

Vogler: Den wichtigsten Punkt haben Sie genannt: „Nah dran“ Das ist nämlich auch eine Gefahr für jeden Künstler. Man verengt seine Sicht, hält Details für wichtig, die für eine gute Interpretation gar nicht entscheidend sind. Die Draufsicht ist so wichtig. Schon in Moritzburg habe ich als Intendant Projekte mit Musikern, alten und ganz jungen, initiiert, die einmalig waren, die Organisation ist irgendwann eingespielt. Dann kam die Anfrage aus Dresden ...

niusic: ... nochmal eine Nummer größer ...

Vogler: Richtig, und meine Sorge war sofort: Das wird jetzt zu viel. Aber dann wurde mir klar, das ist die Chance, nicht nur zu meckern, sondern wirklich im Musikbetrieb etwas zu verändern. Und ich mag es eben, Leute zusammenzubringen, verstehe mittlerweile Kollegen so zu führen, dass eine produktive Team-Atmosphäre entsteht. Und zur Belastung: Bach beispielsweise hatte schließlich auch Tausende Jobs.

Hauptspielstätte ist der Kulturpalast

niusic: Auf was sind Sie bei den Festspielen Dresden am meisten stolz?

Vogler: Auf ganz trockene Zahlen. Neben der künstlerischen Seite ist ein Festival ein Unternehmen. Wir haben die Einnahmen durch Kartenverkäufe von unter 400.000 Euro im Jahr 2009 auf rund 1,5 Millionen Euro steigern können. Heißt: mehr Geld, welches jetzt der Musik zur Verfügung steht. Wir müssen daher als städtische Einrichtung weniger mit Kindergärten und Schulen um städtisches Geld kämpfen. Das ist immer unangenehm. Da sind mir Karten-Einnahmen und Sponsoren lieber.

niusic: Warum immer noch ein jährliches Motto, engt das nicht ein?

Vogler: Mahler sagt: Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Weitergabe des Feuers. Ich habe die Motto-Tradition ernst genommen und gehe in letzter Zeit weg von musikalischen Mottos, hin zu gesellschaftlichen wie „Spiegel“ in diesem Jahr. Den kann sich Dresden ganz gut mal vorhalten. Daneben helfen uns die Mottos natürlich auch, zu sortieren. Und erinnern uns an die Aufgabe, die wir in der Gesellschaft haben.

niusic: Sie wünschen sich auch mehr Toleranz, wenn Künstler politische Meinung äußern. Auch wenn sich Christian Thielemann freundlich zu Pegida meldet?

Vogler: Ja, natürlich. Ich finde, es fehlt generell an Respekt für andere Meinungen. Man ist dann schnell dagegen, und so entsteht keine Diskussion. Nehmen Sie meinen Vorgänger Hartmut Haenchen: Wir sind keine Freunde, und ich habe viele seiner Sachen hier in Dresden umgeworfen und anders gemacht. Doch wir respektieren einander und würden nie auf die Idee kommen, in der Presse eine Schlammschlacht anzuzetteln. Aber so etwas wird seltener, glaube ich.

niusic: Heute ist es fast schon komisch, wenn ein Künstler im Interview sagt, er sei nicht politisch. Ist das denn in Ordnung?

Vogler: Ja, wenn man sich nicht äußern möchte. Musik muss ja nicht politisch sein. Sie darf es aber. Sie sollte allerdings weder Hass säen noch demokratische Grundwerte zerstören. Das wäre zutiefst gegen den Ursprung von Kunst, Musik und Kreativität – Thema ECHO ...

niusic: ... den Sie nicht zurückgegeben haben.

Vogler: Nö, das finde ich auch selbstverliebt. Es geht ja nicht um mich. Die drei Dinger stehen irgendwo rum. Ich habe ja gesagt, er hat für mich seinen Wert verloren.

„Langeweile ist in der Kunst nie okay, besonders bei klassischer Musik und ihrer Präsentation. Und wenn man keine Ideen hat, sollte man kein Künstler sein.“

Jan Vogler

niusic: Jetzt gibt es den ECHO und die große Gala nicht mehr. Wie führt man nun an Klassik heran? Über Prominente, etwa wenn Sie mit Bill Murray touren?

Vogler: Auf jeden Fall ist das ein Weg. Sonst laufen wir Gefahr, nur noch für die Leute zu spielen, die mit klassischer Musik schon vertraut sind. Viele Institutionen denken, wenn sie einen routinierten und technisch perfekten Interpreten für Beethoven 4 wählen, dann läuft das. Es ist aber viel wichtiger, dass ein Künstler auch die Größe des Werks und die Freude daran in jeder Aufführung neu vermitteln kann.
Wir sind einfach zu genügsam, wenn wir nur einen kleinen Teil der Gesellschaft erreichen. Ich bin ambitioniert, möchte alle erreichen. Wenn nach einem Konzert mit Murray junge Leute mit Tränen in den Augen kommen, weil sie Schubert und Bach so toll fanden, und es vorher nicht kannten, dann bin ich glücklich.

niusic: Wie bei David Garrett? Klingt nach anbiedern ...

Vogler: Da kann man drüber streiten. Und nein, anbiedern ist schlecht. Unsere Kunst ist anspruchsvoll. Auch bei Murray und mir, mit Bernstein, Bach und Co, sehen wir die Anspannung in den Gesichtern der Leute, wenn sie nicht die leicht-lustige Kost bekommen, die sie vielleicht erwarten. Doch wenn sie merken, dass wir sie ernst nehmen und selbst Spaß auf der Bühne haben – dann wird es lockerer. Aber der Anspruch bleibt da. Wer dann immer noch überfordert ist, dem kann ich nicht helfen. So ist es eben. Die Schwelle ist da, aber man kann drüber helfen.

niusic: Nackte Musik funktioniert aber nicht mehr, es muss was drumherum passieren?

Vogler: Naja, Fantasielosigkeit funktioniert im Leben nie. Wenn Sie sich verlieben, müssen sie auch einen Brief auf Baumrinde schreiben oder sich eben etwas einfallen lassen. Langeweile ist in der Kunst nie okay, besonders bei klassischer Musik und ihrer Präsentation. Und wenn man keine Ideen hat, sollte man kein Künstler sein. Das Publikum kann sich auch leicht vor TV oder Laptop fläzen. Die nehmen etwas auf sich, um ins Konzert zu gehen, deshalb müssen wir auch etwas bieten.

niusic: Die heile Kunstwelt zum Beispiel. Aber merken Sie in New York sowie in Dresden eine gesellschaftliche Veränderung aufgrund von Trump, AfD und Co?

Vogler: Sie müssen damit leben, dass ich ein sehr positiver Mensch bin. Meine Familie findet das schon fast krank, und meinem Festivalteam hilft es ab und zu. Also: Ich sehe gute Veränderungen. Meine Kinder demonstrieren in den USA gegen die Waffenlobby, sind gezwungen, sich zu positionieren. Das war vor fünf Jahren anders. Meine Hoffnung ist, auch hier in Sachsen, dass Probleme angegangen werden, weil sie öffentlich ausgebrochen sind. Abgesehen davon muss jede Generation, das sagen viele kluge Leute, ihre Erfahrungen selbst machen. Kleine Krisen erleben und daraus ein eigenes Bedürfnis für friedliches Zusammenleben entwickeln und dafür kämpfen. Das ist besser als deprimiert den Kopf in den Sand zu stecken.

© Jim Rakete
© Malte Hemmerich


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