Von Malte Hemmerich, 19.03.2017

Von Stimm- und Haarfetischisten

Starkult begleitet die klassische Musik seit ihrer Kommerzialisierung. Malte Hemmerich berichtet von absurden Internet-Ausprägungen und Gefahren des Personenhypes.

Geburt eines Stars: der junge Glenn Gould

Ja, auch ich bin dem Personenkult verfallen. Bis in die späten Teenagerjahre schmückten Plakate diverser Bands mein Zimmer. Und über meinem Klavier prangt auch heute noch ein großes, gerahmtes Poster der kanadischen Pianistenlegende Glenn Gould. Gould, das war meine Zugangskarte in die Musikwelt Johann Sebastian Bach, verbunden mit den abstrusen Geschichten des Genies Gould übte das einfach eine Faszination aus. Auch Musik funktioniert wie so vieles über Bezugspersonen, besonders bei den ersten Erfahrungen mit einem unbekannten Gegenstand. Heute kann ich beispielsweise die Mozarteinspielungen meines Klavierhelden ablehnen, sogar darüber lachen. Blinder Starkult ist mir relativ fremd, zum Glück muss ich als Journalist doch möglichst objektiv an Interpretationen herangehen.

Schon lange begleitet der Hang zur Erhöhung der Interpreten die klassische Musikwelt. Ob es nun Frauen waren, die bei den Konzerten Franz Liszts in Ohnmacht fielen oder ihm danach reihenweise ins Bett, oder der Schallplattensammler, der auch heute noch keine Interpretation der Beethovensinfonien über die seines Idols Karajan stellt. Nun gut, könnte man meinen, das sind eben persönliche Vorlieben und Entscheidungen.
Doch warum diese Starverehrungen absurd bis gefährlich werden können, besonders wenn sie mit den oberflächlichen sozialen Medien einhergehen, sollen zwei aktuelle Beispiele zeigen: Immer sind es insbesondere Dirigenten und Sänger, die geradezu vergöttert werden. Inzwischen sammeln sich in kruden Facebookgruppen Menschen, um sich allein von der Stimme von Jonas Kaufmann zu Kunst und Poetik inspirieren zu lassen. Da zeigen sich dann muntere Bildnisse, Bleistift- und Tuschezeichnungen, über die man mitunter auch diskutiert.

Die Musik wird in dieser, wie auch in diversen anderen Kaufmann-Facebook-Communites, wenn dann in Form von YouTube-Videos und mit einer trockenen Herz-Interaktion abgekanzelt, die „wunderschön“ und sicher fachlich versierten „mal wieder besser als alle anderen“-Kommentare mal ausgenommen. Weiter kann die Personenfixierungsschraube nicht drehen? Doch, und zwar, wenn man sich der Sekte anschließt, die Maestro Dudamels Haare bewundert. Bleibt zu hoffen, dass sich hier schon eine gewisse ironische Brechung des Starkults eingeschlichen hat.

„Der Starkult ist der Tod der Kunst.“

Thomas Hampson

Dies alles kann man als harmlose Fanspielerei abtun, doch eine gewisse Gefahr dieser Entwicklung ist offensichtlich: Die Blindheit vieler Erstklassikhörer, abseits der Wege ihres Stars in die Musik zu schauen und Neugier an der Sache selbst zu finden, ist genauso erschreckend wie die Verklärung aller „Kunstwerke“, die dieser Klassikkünstler produziert. Seien es David Garrets unverschämte „Eigenkompositionen“ oder Jonas Kaufmanns italienisches Schnulzenalbum. Aus der Hardcore-Fanbasis wird hier keine Kritik kommen. Und dieser bedingungslose Personenkult wird von der Industrie aufgegriffen, es kommt zum Kreislauf.
Sängerstar Thomas Hampson hat das 2011 in einem Interview zusammengefasst: „Dass die Leute in Hampson-Konzerte kommen, freut mich. Aber das reicht nicht. Die Veranstalter, die anspruchsvolle Programme machen, denen es um Inhalte geht, sterben aus. Der Starkult ist der Tod der Kunst. Danach kommen Beliebigkeit und Langeweile.“
Und wer dem immer mehr um sich greifenden Personenkult noch rapider entgegen treten will, kann sich auf den Bestsellerautor Stephen King berufen, auf dessen Grabstein später stehen soll: „Nur die Geschichte zählt, nicht der, der sie erzählt.“ Auch wenn es hier im Hinblick auf Interpretation klassischer Musik sicher großes Streitpotenzial gäbe.


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