Von Malte Hemmerich, 05.08.2016

Klavierdenker

Rachmaninow 2.0! Nicht genug, dass das Wunderkind Daniil Trifonov das Repertoire des großen Russen auf preisgekrönten Aufnahmen interpretiert und in Konzerten gefeiert wird, jetzt komponiert er auch noch Klavierkonzerte. Warum er das macht und was er im nächsten Jahr vorhat, erzählt er niusic im Interview in Verbier, vor der Europapremiere seines 1.Klavierkonzerts. Dabei ist es nicht immer leicht, den scheuen Pianisten zum Reden zu bringen.

niusic: Du hast ein E-Piano in deiner Künstlerumkleide?

Trifonov: Aber ich spiele nicht darauf. Ich bevorzuge akustische Klaviere und Aufwärmen mache ich sowieso oft nur im Kopf. Da ist das Denken dann gezwungen, sich genau den richtigen Klang vorzustellen, ohne das eigentliche Instrument vor sich zu haben. Sehr effektiv!

niusic: Welches Flügelmodell wärst du, wenn du dich dadurch selbst charakterisieren müsstest?

Trifonov: Ich spiele ja auf ganz verschiedenen Marken, Steinway passt immer, aber manchmal suche ich auch nach anderen Klängen, die ich dann in anderen Marken finde ... also ich will eigentlich mehr Orgel spielen in nächster Zeit, vielleicht sag ich mal einfach Orgel!

niusic: Du hast das Klavierspielen mit vier Jahren angefangen ...

Trifonov: Fünfeinhalb, aber zuerst habe ich angefangen zu komponieren ...

niusic: Das kam nicht gleichzeitig?

Trifonov: Ich kam durch das Komponieren erst zum Klavier!

niusic: Was war denn deine erste Erfahrung mit eigener Musik?

Trifonov: Meine Eltern fanden mich, als ich verschiedene Dinge am Midi-Keyboard ausprobiert habe, wir hatten ein Klavier, das habe ich nicht gespielt. Ich liebte den Synthesizer und die Knöpfe und die Sounds. Als dann raus kam, dass ich ein absolutes Gehör hatte, kam ich auf eine Kunstschule. Als wir nach Moskau gezogen sind, hatte ich mehrere Jahre lang keine Zeit mehr zu komponieren. Später habe ich wieder angefangen.

niusic: Deine erste veröffentlichte Komposition ist auf der letzten Rachmaninow-CD ...

Trifonov: Ja, die habe ich im ersten Jahr in Cleveland geschrieben. Ich liebte die Musik von Sergei Rachmaninow und war von ihr inspiriert.




niusic: Du liebst romantische Musik und spielst sie hervorragend. Aber hast du nicht auch manchmal Lust auf mehr Struktur, mehr Klassik zum Beispiel?

Trifonov: Ich würde da nicht vergleichen. Romantische Musik basiert sehr auf dem emotionalen Ausdruck, dadurch wird sie nicht besser oder schlechter als andere Musik. Struktur gibt es da auch, aber hier folgt die Struktur der musikalischen Idee und nicht umgekehrt. Das gefällt mir.

niusic: Aber wie sieht es mit den Risiken in der Interpretation von romantischer Musik aus? Stichwort „Kitsch“ ....

Trifonov: Ach, das Risiko gibt es doch in der Musik jedes Komponisten!

niusic: Aber wie genau gehst du an diese emotionale Musik ran?

Trifonov: Naja, es ist kein leichter Job, den ich mache. Ich versuche in der Musik die Schönheit zu finden, weniger in der Reflexion und in meiner Beziehung zur Musik. Es soll gar nicht zu viel von meiner Persönlichkeit reinfließen. Der Musiker ist ein Gefangener, nur der Komponist kennt das wahre Geheimnis seiner Musik, und manchmal noch nicht mal der!

niusic: Gibt es einen Komponisten, den du nicht aufnimmst, weil du sein Geheimnis nicht entschlüsseln konntest?

Trifonov: Wenn ich ein Stück anfange und es nicht sofort klappt mit dem Eintauchen, ist es wichtig trotzdem dranzubleiben. Am Ende findet man immer Details, in die man sich verliebt. Dadurch werden die Interpretationen verschiedener Pianisten erst interessant. Jeder hat einen anderen Weg. Natürlich, bei dem einen Werk ist es Liebe auf den ersten Blick, beim nächsten dann harte Arbeit.
Im Moment entdecke ich noch so viele Komponisten und erweitere mein Repertoire jedes Jahr. In der Zukunft werde ich mehr Schumann, Schostakowitsch und Strawinski spielen.

niusic: Was machst du hier in Verbier, wenn du gerade kein Konzert spielst?

Trifonov: Ich lerne neue Programme! Aber ich wandere auch gerne in den Bergen. Deshalb mag ich auch das Verbier Festival so gerne, soviel Natur. Musik klingt hier anders. Hier nehmen wir die Welt ganz anders wahr.

niusic: Wenn man sich die Partitur deines 1. Klavierkonzerts anschaut, scheint alles sehr spätromantisch, viel eingängige Rhythmik ...

Trifonov: Ich würde da nicht in Musikepochen denken. Es ist einfach der Weg, meine musikalischen Gedanken am besten auszudrücken. Generell ist es aber schwer für mich, über meine eigene Komposition zu sprechen, da sind viele Zweifel.

niusic: ... Hast du denn noch etwas geändert in den letzten zwei Jahren?

Trifonov: Nein, fertig ist fertig. Aber im Kompositionsprozess ist es schwer, einen klaren Weg zu finden. Ich möchte in das Material einsinken und dann dem Wunsch der Musik folgen.

niusic: Bist du besonders nervös, wenn du dein eigenes Konzert aufführst?

Trifonov: Nein! Oder doch ... Ich weiß nicht, werde ich erst heut Abend merken ...

„Wenn eine Person an den großen Errungenschaften der Menschheit interessiert ist, und das sollten wir ja alle sein, wird die klassische Musik immer da sein!“

Daniil Trifonov

niusic: Welcher Pianist sollte es mal spielen?

Trifonov: Oh, da hab ich noch gar nicht drüber nachgedacht. Wenn das passiert, wäre ich in jedem Fall glücklich. Wichtig ist, egal wer es ist, dass er die ganze Partitur wirklich gut kennt - in vielen Teilen des Klavierparts ist eine Verbindung zu Orchesterstimmen herauszuarbeiten und so weiter...

niusic: Bist du dann nicht auch der beste Interpret?

Trifonov: Nein, ich bin sicher, andere Pianisten würden Dinge und Nuancen finden, die ich nicht sehe.

niusic: Kunst kann und sollte auch mal politisch sein. Stimmst du zu?

Trifonov: Kunst soll zwischen Kulturen vermitteln, sie kann die schönste aller Verbindungen zwischen den Menschen sein.

niusic: Also wird sie immer aktuell sein, die Kultur, speziell die klassische Musik?

Trifonov: Klassik wird nie so weit verbreitet sein wie Popmusik, das ist klar. Aber ich glaube gleichzeitig, wenn eine Person an den großen Errungenschaften der Menschheit interessiert ist, und das sollten wir ja alle sein, wird die klassische Musik immer da sein. Sie zeigt den Menschen von seiner guten Seite.

Daniil Olegowitsch Trifonov wurde 1991 in Russland geboren. Seine Familie ist sehr musikalisch. Im Jahr 2011 gewann er den Arthur Rubinstein-Wettbewerb, ebenso wie den Tschaikowski-Klavierwettbewerb. Danach gab es kein Halten mehr. Musikkritiker überschlugen sich vor Lob, seine Live-CD aus der Carnegie-Hall war ein Verkaufsschlager. Daniil Trifonov lebt in Moskau und New York, er komponiert aus Leidenschaft und schreibt an einem Doppelkonzert für Klavier und Geige.

© Jean-Baptiste Millot
© Nicolas Brodard


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