Von Jesper Klein, 17.04.2020

Die Kultur kann nicht warten

Keine Worte von Merkel und Söder zum Kulturbetrieb. Stattdessen sollen Veranstalter ihr Publikum für während der Pandemie ausgefallene Konzerte mit Gutscheinen entschädigen können. Es ist immerhin ein erster Schritt.

Nach den neuen Beschlüssen der Bundesregierung ist klar: An Konzertbesuche und Opernpremieren ist weiterhin nicht zu denken. Großveranstaltungen sollen bis Ende August verboten bleiben. Die Bundesregierung verzichtete in ihrer Stellungnahme am Mittwochabend auf konkrete Informationen für Kulturveranstaltungen. Das Signal ist deutlich: Die Kultur ist momentan von nachrangiger Bedeutung. Veranstalter müssen mit dieser Planungsunsicherheit leben. Ein paar Wörtchen zur Entwicklung von Hygienekonzepten für Theater oder Museen hätten sicher nicht geschadet.

Eine andere Regelung könnte derweil für Entlastung sorgen. Nach der ersten Formulierung eines Gesetzentwurfs sollen Veranstalter für aufgrund der Pandemie ausgefallene Events ihr Publikum mit Gutscheinen statt Geld entschädigen können, sofern die Tickets vor dem 8. März erworben wurden. Es ist eine Sonderlösung für die Krise, üblicherweise gibt es in solchen Fällen eine Pflicht zur Erstattung.

Verbraucherschützer kritisieren diese Idee. Was passiert, wenn der Veranstalter pleitegeht? Zudem ist diese Krise auch eine wirtschaftliche. Wer seine Miete nicht zahlen kann, dem geht die Lust an kostspieligem Musiktheater womöglich verloren. „Die geplanten Zwangsgutscheine verteilen die Lasten auf eine unzumutbare und unfaire Weise. Die Pläne drohen viele Verbraucher:innen zu überfordern“, sagte Klaus Müller, Vorstand des Bundesverbands der Verbraucherzentrale.

Prioritäten setzen

Doch am Ende überwiegen die Vorteile. In erster Linie hilft die Gutscheinlösung den Veranstaltern, etwa Festivals und Konzerthäusern, die für sie ebenso existenzbedrohende Situation zu überstehen. Es braucht lediglich ein paar Modifikationen. Allen voran Härtefallregelungen, die es gewährleisten, dass jede und jeder, der in nachweisbare finanzielle Not gerät, sein Geld zurückerhalten kann.

In Zeiten der Pandemie kommt man nicht darum herum, Prioritäten zu setzen und Entscheidungen zu treffen, die zu Gunsten der einen und zu Ungunsten der anderen ausfallen.

Das in der Regel privilegierte Klassikpublikum, zu einem nicht unerheblichen Teil bereits im Rentenalter, wird von den finanziellen Belastungen weniger hart getroffen. Selbst wenn es problematisch ist, das Schicksal einzelner Konzertbesucher:innen gegen das von freien Ensembles und selbstständigen Künstler:innen abzuwägen, kommt man in Zeiten der Pandemie nicht darum herum, Prioritäten zu setzen und Entscheidungen zu treffen, die zu Gunsten der einen und zu Ungunsten der anderen ausfallen. Wer sieht, unter welchen Bedingungen etwa freie Musiktheaterensembles oder Selbstständige schon im Normalbetrieb arbeiten, dem sollte klar sein, dass sie in dieser Zeit erst recht die Unterstützung brauchen. Bereits vor diesem Beschluss hatten zahlreiche Besucher:innen auf die Rückgabe von Tickets verzichtet. Ein Zeichen dafür, dass es an Solidarität in der dieser Krise zum Glück nicht fehlt.

Mit Blick auf die längerfristige Zukunft besteht kaum Zweifel daran, dass sich die Opern- und Konzerthäuser nach dem Kontakt- und Veranstaltungsverbot wieder füllen werden. Und wer dann noch einen Gutschein hat, kommt direkt wieder auf den Geschmack. Trotzdem: Diese kleine finanzielle Entlastung wird die großen Nöte der Kulturbranche nicht allein beheben können. Dass Merkel, Söder und Co. bei allen drängenden Entscheidungen, die Masken und Kontaktbeschränkungen betreffen, bisher noch nichts Konkretes über das Fortleben des Kulturbetriebs sagten, mag man ihnen zugestehen. Doch jetzt, wo etwa der Dialog mit den Kirchen angekündigt wurde, ist es an der Zeit, auch den Kontakt zu den Kulturveranstaltern zu suchen, damit Konzepte entwickelt werden können. Die Kultur kann nicht länger warten.

© Pixabay


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