Von Hannah Schmidt, 03.11.2018

Spiel oder stirb!

2017 verzeichnete die Künstlersozialkasse (KSK) so viele freiberuflich arbeitende Musiker:innen wie noch nie zuvor. Der freie künstlerische Markt offenbart krasse Probleme – darunter unverschämt niedrige Honorare und gigantische Gender-Pay-Gaps.

Manche Geschichten, die freischaffende Musikerinnen und Musiker erzählen, sind geradezu schaurig.
Da ist die Violinistin, die sagt, um faire Honorare zu verhandeln sei zwecklos: Es fände sich schließlich doch immer jemand, der für noch weniger Geld spiele.
Beim Mittagessen berichtet eine Ensemble-Sängerin davon, dass ein Veranstalter gar kein Honorar zahlte – und dann auch noch einen Teil der Eintrittspreiseinnahmen einsteckte.
Ein junger Posaunist kotzt sich im Sommer nach Probenende beim Bier über das wenige Geld aus, das er für ein zeitfressendes Projekt bekam – und ärgerte sich vor allem darüber, dass er trotzdem zugesagt hatte.
Am eigenen Leib erlebt habe ich das Hochzeitspaar, das ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass ich als Organistin zum Kircheninventar gehöre und die musikalische Gestaltung ihrer Trauung umsonst übernehme.

Musikerin zu sein, das ist doch etwas Schönes! Oder nicht? Schließlich übt man den Beruf aus, weil es doch eine Leidenschaft ist! Oder nicht?

Je mehr Erfahrungen Musiker:innen in diese Richtung machen, desto schwieriger fällt es vielen von ihnen, für den wirtschaftlichen Aspekt ihrer Arbeit einzustehen: zu verlangen, dass sie für die Ausübung dessen, was sie in einer teilweise über zwanzigjährigen Ausbildung gelernt haben, Geld bekommen. Und zwar keine Entschädigung, einen Zwanziger im Briefumschlag, Wein oder Schokolade, sondern ein Honorar, von dem sie leben können. Der Dachverband Freie Darstellende Künste Hamburg hat im Oktober 2016 eine Erklärung über eine Honorar-Untergrenze für freischaffende Künstler:innen veröffentlicht. Die Deutsche Orchester-Vereinigung zog ein Jahr später mit einer Kampagne für Mindesthonorare nach und der Deutsche Tonkünstlerverband mit einem detaillierten Kostenrechnungsmodell.

Keine 900 Euro zum Leben

Das war bitter nötig: laut Künstlersozialkasse (KSK) verdienten unter 40-jährige Musikerinnen im Jahr 2015 durchschnittlich 10.490 Euro, Männer im gleichen Alter 13.704 Euro – nach Steuerabzug. Ein Großteil von ihnen hätte – laut eigener Angabe – damit nicht einmal den Steuerfreibetrag von 17.500 Euro überschritten. Im Monat bedeutete das für Frauen keine 900, für Männer keine 1200 Euro zum Leben, von denen noch einmal ein nicht unerheblicher Beitrag für die Kranken- und Rentenversicherung aufgebracht werden muss. Ähnlich prekär sieht es übrigens, auch heute noch, bei Freischaffenden in der darstellenden Kunst aus.

Was hat sich getan, in den vergangenen drei Jahren, durch die Verabschiedung der Honorar-Leitlinien? Weibliche Musikerinnen unter 40 Jahren verdienten 2017 11.274 Euro, Männer 15.053 Euro. Für alle etwas mehr, immerhin, könnte man meinen. Bei steigenden Mieten, stärker umkämpftem Markt und tendenziell höheren Lebenshaltungskosten tut sich jedoch nicht viel. Umso erschreckender ist die Gap: Fast 4000 Euro verdienten Männer im Jahr mehr als Frauen, das sind über 30 Prozent! Und das zeigt sich über alle von der KSK erfassten Bereiche hinweg.

Männer erfahren mit dem Sprung in die Kategorie „über 30 Jahre“ einen regelrechten Honorar-Schub

Man kann das einerseits gerade bei Frauen unter 40 sicherlich auch mit Schwangerschafts- und Mutterschutz-Zeiten erklären, in denen die meisten vorübergehend ganz aus dem Beruf aussteigen. Doch müsste sich dann nicht nach dem Wiedereinstieg nach ein paar Jahren das Verhältnis angleichen? Genau das tut es nicht. Die krasse Ungleichbezahlung besteht auch in den höheren Altersklassen: 50- bis 60-jährige Frauen verdienten 2017 12.509 Euro, Männer 16.203 Euro.
Über die Sparten hinaus ist zudem bezeichnend, dass Männer mit dem Sprung in die Kategorie „über 30 Jahre“ einen regelrechten Honorar-Schub erfahren, während Frauen auch mit 40, 50 Jahren nicht wirklich weit über dem Niveau ihrer Einstiegshonorare liegen. Das ist signifikant.

Berufsverbände wie auch Freischreiber oder der Berufsverband Bildender Künstler (BBK) gehen deshalb zu Recht auf die Barrikaden. Sie appellieren an ihre Mitglieder, ihre Arbeit nicht unter Wert zu verkaufen und zu verhandeln, verhandeln, verhandeln – und trotzdem tun sie, tun wir es immer wieder, freiberufliche Musiker:innen, Journalist:innen und Künstler:innen. Der freie Markt zeigt uns täglich seine Fratze: spiel, schreib oder stirb. Es ist nicht nur die Angst, Aufträge und Renommee zu verlieren, sondern auch gleichzeitig die tiefsitzende, sozusagen „einsozialisierte“ Denke, dass das, was man da tut, zu abstrakt, zu „schön“, zu omnipräsent ist, um bares Geld wert zu sein. Vor allem sind das Ergebnis und der Wert unserer Arbeit: immateriell.

Es gibt ja überall die, die es für noch weniger machen.
Die umsonst Konzerte spielen und Blogs einrichten und schreiben, ohne je dafür ein Honorar zu sehen.
Oder die, die bei der dreitägigen Recherche und 11.000 Zeichen Text nicht rebellieren, wenn sie dafür am Ende 80 Euro bekommen.
Brutto.

Nur: Was soll man sie auch dafür verurteilen? Wer gerne umsonst Konzerte spielt, einfach, um zu spielen, wer gerne schreibt und die Möglichkeit der sich bietenden Öffentlichkeit genießt, ausnahmsweise ja vielleicht sogar für eine Entschädigung – der oder die soll es doch tun. Und es wäre vermessen, hier pauschale Qualitätsvergleiche ziehen zu wollen. Wer sagt denn, dass der Cellist vor der Berliner U-Bahn-Station nicht ein wahnsinniger Virtuose sein kann, oder die Autorin mit ihrem Blog nicht journalistisch unglaublich gut? Was bleibt dann übrig, um für eine angemessene Bezahlung gerade meiner Arbeit zu argumentieren?

Plötzlich werde ich für meine Individualität bezahlt?

Am Ende nichts als – ich selbst. Beziehungsweise: die Art, wie ich und niemand sonst diese Arbeit macht. Das ist pervers. Plötzlich werde ich für meine Individualität bezahlt, aha? Dann gibt es Persönlichkeiten, die mehr, und welche, die weniger wert sind? Und was ist, wenn ich gar nicht so besonders bin? Dann liegt es am Ende nämlich auch an mir persönlich, wenn ich schlecht bezahlt werde – dann habe ich es im Sinne des Framings schlicht nicht „verdient“. Mieserweise gilt selbst hierbei, dass der, der besser verhandelt, auch besser bezahlt wird. Vielleicht muss man etwas pessimistischer an die Sache herangehen: Kunst spricht meist nicht für sich. Journalistische Fertigkeiten und schreiberisches Handwerk auch nicht. Zumindest nicht auf dem „freien“ Markt. Deshalb müssen wir anfangen, darüber zu reden. Legen wir den Stolz ab – und, wie der Freischreiber-Verband auf einer neuen Webseite, unsere Honorare offen. Als Journalist:innen, als Musiker:innen, als Künstler:innen, einfach alle. Ab dem Moment, ab dem es jedem und jeder möglich ist, einzusehen, was die anderen an Honoraren bei einem:r bestimmten Auftraggeber:in ausgehandelt haben, wird es hoffentlich leichter und leichter, selbst für mindestens diese Höhe einzustehen.
Kleinere Auftraggeber:innen, die nicht in der Lage sind, angemessene Honorare zu zahlen, gibt es zwar nach wie vor – doch ist die Entscheidung für ein niedriges Honorar für den- oder diejenige, die den Auftrag dort annimmt, dann immerhin eine bewusste. Idealismus um des Idealismus´ Willen – und nicht als Ausrede für beschämende Unterbezahlung.

© pexels/ CC0


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