Von Hannah Schmidt, 03.05.2018

Horror-Händel

Musiker-Sprüche? Festival-Outfits? Instrumentalisten-Probleme? In dieser Rubrik stellen wir kommentierte Top-Five-Listen zusammen. Oder Flop-Five-Listen. Je nachdem. Heute: Händel-Cover aus der Hölle.

CD-Cover sind immer eine Herausforderung für Künstler und Label: Wie illustriert man besonders treffend a) die Musik, b) den Interpreten, c) die Gesamtmessage des Albums und erreicht d) damit die Zielgruppe, die man auch erreichen will (beziehungsweise: überhaupt jemanden)? So kommt es teilweise zu wirklich originellen Ideen, manchmal geht das aber auch gehörig schief. Heute: die schlimmsten Versuche, Aufnahmen von Georg Friedrich Händels Musik auf einem Cover zu charakterisieren.

Böse Stiefmutter und Bauernmädchen

Aus der Kategorie: Zeigen wir einfach eine romantisierte Szene, die nach Barock aussieht! Da sitzen also die Gambistin Hille Perl und die Sopranistin Dorothee Mields vor einem an Stoff oder Feuer erinnernden orangefarbenen Hintergrund an einem dunklen Eichentisch, der so meisterhaft barock-kitschig hergerichtet ist, dass es schon an Selbstironie grenzt: In der Mitte steht auf einem goldenen Ständer eine dicke rote Kerze, die natürlich brennt, damit Dorothee Mields, die – anscheinend während einer wortsuchenden Liebesbriefpause – mit angesetzter weißer Feder in der Hand verträumt in die Gegend guckt, beim Schreiben auch was sehen kann. (Damit alles nach frischer Liebe aussieht, liegen auch stilllebig drapiert zwei weiße Rosen auf dem Tisch.) Hille Perl sitzt mit der Gambe vor den Knien daneben und schaut direkt in die Kamera, etwas verwegen mit ins Gesicht fallender dunkler Haarsträhne und geheimnisvollem Blick. Was für eine absurde Szenerie! Wie zwei Freundinnen sehen die beiden nicht aus, eher wie böse Stiefmutter und in den fernen Prinzen verliebte Bauerstochter. Und letztere bemerkt nicht, dass erstere sich als Geist mit an den Tisch gesetzt hat, um sie – und den Betrachter! – hexenhaft auszuspionieren. Gruselig! Da denkt man entweder an: Disney-Mittelalter oder Horrorkabinett. Aber nicht an Händel.

Alles – aber nicht „in love“

Groschenroman? Montiertes Filmplakat? Hautcremewerbung? Nein, nichts davon: Die beiden Model-Schönheiten vor weißem Hintergrund sind die Musiker Jakub Józef Orlinski und Natalia Kawalek auf dem Cover ihrer Einspielung „Enemies In Love. HÄNDEL“. Schöne Menschen schaut man doch gerne an, sie auf das Cover zu setzen, ob nun in totale, von der Seite, vorne, hinten oder – wie hier – im Stile einer antiken Kopf-Plastik mit angedeuteten Schultern, ist also eine wirklich naheliegende Idee. Aber: Warum zur Hölle sind sie nackt?! Orlinskis Profil hat tatsächlich etwas antik-schönes, sein Blick ist entschlossen in eine unbestimmte Nähe gerichtet, die Neigung seines Kopfes im Verhältnis zur Blickrichtung seiner Augen könnte sowohl den Moment kurz vor einer Verbeugung zeigen als auch der Blick eines Kriegsherrn vom Hügel über das Schlachtfeld sein. Kawalek dagegen blickt mit leicht geöffnetem Mund und niedergeschlagenen Augen zur Seite, als wende sie sich enttäuscht oder zutiefst verletzt von einem anderen Menschen ab. Ob es der Lichteinfall ist, die Perspektive oder die Art, wie die beiden im Angesicht des Anderen ihr Gegenüber überhaupt nicht wahrzunehmen scheinen – es wirkt, als seien die zwei unabhängig voneinander fotografiert und für das Cover zusammenmontiert worden. Wie „in love“ wirkt es jedenfalls überhaupt nicht, sondern eher verstörend. (Und wie modelnackte Musik im Stile einer antiken Groschenroman-Werbung klingen soll, wird auch nicht wirklich klar.)

Musiker als marmorierte Heroes

„AND HIS NAME WAS BRIIIAAAAN!“ – wobei, Moment: Diese pastellierten sepiaschwarzweißen Köpfe, die sich zusammencollagiert vor einem gelben Windows-Hintergrund am unteren Rand des Quadrats drubbeln, zeigen weder Cäsar noch Pilatus noch irgendeinen anderen der Monty-Python-Darsteller aus dem Vorspann des Films „Das Leben des Brian“. Es sind Anna Prohaska, Anne Sofie von Otter, Albrecht Mayer, Magdalena Kožená und Cecilia Bartoli, beziehungsweise: vier schöne Frauen hinter einem Mann im Vordergrund. Würde man den Hintergrund verändern, könnte als Titel drüber stehen „Albrecht und seine vier Frauen“, „Die glamourösen Hochzeitsplaner“ oder „Die Fünf – wir lösen jeden Fall!“ Das Schlimme: Die gleiche Cover-Ästhetik fährt die Deutsche Grammophon seit Jahren, mit dem „Puccini-Album“, dem „Mendelssohn-Album“, dem „Beethoven-Album“ et cetera. Auf dem „Vivaldi-Album“ und dem „Bach-Album“ lächelt Albrecht Mayer sogar richtig, auch wenn er nicht ganz vorne steht. Ansonsten der selbe seltsame Duktus: Unsere Musiker sind unsere marmorierten Heroes. Und der Komponistenname obendrüber ist buchstäblich austauschbar.

Schnappschuss aus dem Barock

Dieses Cover hat, zugegeben, etwas Originelles – und wenn es nur der knallpinke Absatz der barocken Figur im Vordergrund ist. Brauner Gehrock, weiße Strümpfe, lange Perücke und ein schicker Stock: Unser „Händel“ hat die rechte Hand locker in die Hüfte gestützt und stellt den linken Fuß etwas verspielt, etwas posierend auf die Spitze. Seine Haltung hat etwas Tänzerisches – als fühle sich die Figur unbeobachtet, als würde der Maler sie ohne ihre Kenntnis schnell aus dem „Hinterhalt“ skizzieren, ein Schnappschuss des Barock. Nur dieser schöne Clou wäre genug für ein interessantes und gelungenes Cover – aber das reichte dem Ensemble l‘Arpeggiata um Christina Pluhar scheinbar nicht: Unter dem Titel „Händel goes wild“ wird die dargestellte Figur um eine Art Avatar ergänzt, ein in den Hintergrund gelegtes galoppierendes Pferd mit wehender Mähne und zum Sprung angewinkelten Vorderläufen. So künstlerisch auch die Ähnlichkeit der Haltungen, der Blickrichtung, der Farben ist, so übertrieben wirkt auch diese Verbindung: Mensch-Musik-Pferd-Wildheit – wobei l‘Arpeggiata zu den wenigen Ensembles gehört, denen man eine solche „Auswilderung“ von Händels Musik wirklich zutraut.

Die verbotene Geliebte

Bei diesem Blick hört man den abgedruckten Namen „Händel“ erklingen: als würde ihn eine verlassene Geliebte voller Sehnsucht leise flüstern. „Hhhhändel ...“ Diese großen traurigen Augen! Dieser sinnliche geschlossene Mund! Und vor allem: dieser lasziv über den Kopf gelegte Arm! Sonya Yoncheva, so kann man es interpretieren, liegt auf dem Rücken, und ihre Augen sind hypnotisierend gerade auf den Betrachter gerichtet. Als wäre man selbst Händel und sei gerade im Begriff, sich über die leicht in schwarze Seide gekleidete verbotene Geliebte zu beugen. Wow, was für Assoziationen! Selbst wenn man Yonchevas Pose als stehende Geste interpretiert, hat sie etwas Verwegenes. Ihr Blick saugt den Betrachter förmlich ein, gnade mir! Sogar der Schriftzug „Händel“ – unter ihrem Namen und kursiv gesetzt – scheint optisch ins Wanken zu geraten. In der Interpretation dieser Sopranistin bekommt der Komponist weiche Knie und ist schon so gut wie weggelaufen. Ein wahres Mordscover!

© air009/shutterstock


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