Von Malte Hemmerich, 17.09.2019

Bitte immer die Beine filmen!

Klassische Musik ist ernst und unsexy. Lola Astanova ändert das. Aber wollen wir das wirklich? Bestimmt bald Erotik-Clickbait das Konzertleben?

Ja, es ist ein altbekanntes Phänomen, und eigentlich möchte niemand mehr darüber sprechen: Die Pianistinnen und ihre Kleider. Hier scheinen sich der Konflikt und die Diskussion um das Auftreten klassischer Musiker oft zu entladen. Warum muss sich Khatia Buniatishvili auf ihren Covern so lasziv räkeln, und der tiefe Rückenausschnitt geht gar nicht. Und überhaupt!
Ob Yuja Wang nun Anti-Feministin ist und deshalb in ihren kurzen Kleidern auftritt, um halt ein bisschen zu provozieren. Geschenkt. Die Hauptsache ist hier die Musik. Denn die beiden Frauen sind Künstlerinnen, deren Interpretationen anregen, reizen oder aber einfach glücklich machen.

Keines dieser Gefühle stellt sich beim Betrachten des folgenden Videos ein:



Da wird Chopin lieblos heruntergehämmert und verkorkst, dass es manchmal so klingt, als befände sich ein Player Piano in dem wunderbar erleuchteten Raum mit dem Charme eines usbekischen TV-Studios der 80er Jahre. Und wie ein Kommentar unter dem Video richtig erkennt: Der Flügel hat ja ähnlich schöne Kurven wie die Dame an den Tasten.

Lola Astanova heißt diese und geizt nicht mit ihrem Körper. Schon beim Auftritt ist die Kamera an ihren High-Heels interessiert und fängt auch im Verlauf öfter die Beine ein, als die gute Frau Astanova das Pedal betätigt. Das Ergebnis dieses holprigen Ritts durch enge Kleider, aufgetragene Beauty-Produkte und Pastellfarben: Fast 5 Millionen Zuschauer auf YouTube. Es gibt also offensichtlich nicht nur einen Markt für Musik mit erotischem Einschlag, sondern auch für Erotik mit musikalischem Einschlag.
Astanova, die, man glaubt es kaum, eine passable musikalische Ausbildung und Laufbahn hinter sich hat, findet nicht, dass man sich an ihrem „modernen Outfit“ stören sollte:

So, it is bizarre that classical music has come to mean something so restrictive, dark and sad that wearing a modern dress can be viewed by some as offensive. Although, even in their day, the masters I mentioned had been called “vulgar” and “sensationalist” by the previous generations of loud self-proclaimed experts.

Lola Astanova

Weil die Komponisten zu ihrer Zeit als vulgär und sensationsgeil verschrien waren, kann sie das also auch sein, sagt Astanova in einem Interview mit den DubaiFashionNews. Nun gut, das darf sie, sind ihr Spielfeld doch meist die Neuen Medien und weniger die Berliner Philharmonie, in der es nun wirklich um die Kunst an sich gehen sollte.
Auf YouTube und Instagram ist Astanova wahrlich kein Einzelphänomen. Und natürlich beschränkt sich der Sex-Appeal nicht auf die weiblichen Künstler. Fast will man beim Betrachten der Profile von Lorenzo Viotti, Andreas Ottensamer und Jakub Orliński von einer neuen Dimension der Oberflächlichkeit in der Klassik sprechen. Die Inszenierung bestimmt die Künstler, je mehr Haut desto besser.
Dagegen sind Buniatishvili und Wang ja fast schon prüde.

© Pixabay


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