Von Silja Vinzens, 17.10.2019

Auf Muttis Plüschsofa

Große Filmmusik, arrangiert für Solo-Violine und Orchester: Das gibt es auf der CD „Across The Stars“ mit Anne-Sophie Mutter und den Werken von John Williams zu hören. Doch anstatt neue Klangräume zu erschließen, greift die Geigerin tief in die Kitschkiste.

Spitz bohrt sich eine eine kecke Melodie in das Ohr: Eine Achtel, zwei Sechzehntel, eine Viertel in a-Moll. Sie alle werden ausschließlich auf der hohen E-Saite der Violine gespielt. Es handelt sich um „Rey’s Theme“ aus dem Star Wars-Film „The Force Awakens“. Auf der Geige erklingen diese im Original eigentlich von der Flöte gespielten ersten Takte ganz ohne Vibrato. Wer würde da an Anne-Sophie Mutter denken?

Wohl kaum jemand, der nicht vorher das gewohnt mondäne Cover ihrer neuen CD gesehen oder den Titel gelesen hat. Einzig so manches T-Shirt mit dem Star Wars-Emblem, das die Geigerin auf ihren Instagram-Fotos trägt, hätte verraten können, dass sie ein Fan der beliebten Filmreihe ist. Und die Art, wie Mutter den Anfang des Stückes auf ihrer neuen Einspielung interpretiert, will so gar nicht zu dem sonst oft schwülstigen, sich aufpustenden Vibrato passen, das die Geigerin zu ihrem Markenzeichen gemacht hat. Das überrascht vorerst positiv. Schon ist man versucht, ihr den vor Übertreibung schier explodierenden CD-Titel „Across The Stars“, der an das gleichnamige und auf der CD festgehaltene Liebesthema aus „Star Wars“ angelehnt ist, zu verzeihen. Und zu glauben, sie, die Karajan-Entdeckung, die klassische Supergeigerin, wolle mit der Auswahl an bekannten Stücken aus der Feder des großen Filmmusik-Komponisten John Williams tatsächlich neue Wege beschreiten.

Höhenflüge im Standard-Klang

Doch schon nach 30 Sekunden ist der Hörer wieder auf dem Boden der Tatsachen. Die erwarteten Sphären und unendlichen Weiten der arrangierten Filmmusiken bleiben aus. Mit Einsatz des Orchesters ist es wieder ganz der unverkennbare Standard-Klang der Anne-Sophie Mutter, der da aus dem Lautsprecher wabert und das Ensemble ohne Kompromisse zudeckt. Ob hier schlechte Tontechniker ihre Finger im Spiel hatten oder sie tatsächlich dynamisch so dick aufträgt: Die ungünstige Abmischung ist besonders schade, wenn das hier zu hörende Los Angeles Recording Arts Orchestra das Thema einmal übernimmt, wie etwa in „Hedwig’s Theme“ aus „Harry Potter und der Stein der Weisen“. Wieder stellt Mutter die Melodie komplett ohne Vibrato und ganz blass vor. Doch dann stürzt sie sich ohne jegliche Phrasierung in die kapriolesken Läufe, und zwar so auftrumpfend, dass sie den Zuhörer glauben machen könnte, sie spiele noch immer die Hauptrolle, während im Hintergrund das eigentliche Thema durch die Holzbläser wandert.

Als hätte sie bei der Rezeptur zu ihrer Interpretation aus Versehen einige hundert Gramm zu viel Zucker hinzugefügt

Keine Frage, diese ganz eigene Stimme hat die Geigerin schon sehr früh berühmt gemacht, ihren charakteristischen Klang erkennt man auch unter hundert Aufnahmen wieder. Und doch ist er immer ein bisschen zu süß, als hätte sie bei der Rezeptur zu ihrer Interpretation aus Versehen einige hundert Gramm zu viel Zucker hinzugefügt. Das schnürt der Musik den Atem ab, auch der von Williams. Einer Musik, mit der der geniale Filmmusik-Komponist den Handlungen und Bildern auf der Kinoleinwand Tiefe, Höhenflüge und die ganze Gefühlspalette dazwischen verliehen hat. Es ist verwunderlich, dass sich Williams auf das Projekt einließ und sogar die Arrangements lieferte. Die Frage, warum es diese Aufnahme braucht, bei der alles auf die Geige komprimiert wird, taucht beim Hören nicht nur einmal auf.



Denn bei Anne-Sophie Mutter klingen diese Filmmusiken alle wie kitschiger Einheitsbrei – sei es „Star Wars“, „Sabrina“, „Cinderella“, „Dracula“ oder das letzte Stück auf der CD: „Schindlers Liste“. Dieses mit sieben Oscars ausgezeichnete Drama, bei dem sich das Thema in all seiner Schönheit und Traurigkeit, im Originalsoundtrack gespielt von Geiger Itzhak Perlman, für immer ins Gedächtnis brannte, erstickt besonders an dem stehenden und affektierten Klang der Mutter. Nein, eine Welt über den Sternen lässt ihre neue CD nicht entdecken, vielmehr drückt sie einen in ihr rosa Plüschsofa, bis einem die Luft wegbleibt.

© The Japan Art Association / The Sankei Shimbun (2019)


    NIUSletter

    Bleibt auf dem Laufenden und erhaltet alle drei Wochen unseren NIUSletter.