Von Jesper Klein, 01.08.2017

Jahrhundertstreicher

Dass Leonard Elschenbroich ein herausragender junger Cellist ist, hat sich schon rumgesprochen. Mit dem neuen Album „Siècle“ zeigt er nicht nur seine eigenen Fähigkeiten, sondern auch die Vielseitigkeit eines lange verschmähten Instruments.

Bekannte Violinkonzerte gibt es wie Sand am Meer: Ludwig van Beethoven, Felix Mendelssohn Bartholdy oder Alban Berg haben sie geschrieben, Stargeiger spielen sie heute in den Konzertsälen herauf wie herunter. Für den großen Bruder, das Cello, kann man das nicht behaupten. Von vielen Komponisten wurde es solistisch ignoriert, und es ist kein Wunder, dass unter den großen Namen der Streicherwelt die Cellisten lange Zeit rar waren.
Doch längst sind auch die Interpreten namhaft, und selbst wenn das Repertoire nicht so üppig ausfällt, bietet es wahre Schätze. Einer jener bemerkenswerten Namen ist Leonard Elschenbroich, einer jener Schätze Henri Dutilleuxs Konzert „Tout un monde lontain“ (Eine ganze Welt in der Ferne) für Cello und Orchester. Bei Elschenbroichs Reise durch die französische Cellomusik darf Dutilleuxs Komposition folglich nicht fehlen.
Dabei ist es durchaus ungewöhnlich, dass ein Komponist sich 1970 noch mit den Gedichten des französischen Dichters Charles Baudelaire befasste – rund ein Jahrhundert, nachdem dies besonders in Mode war. Für das Cellokonzert sind Zitate Baudelaires als Überschriften erhalten geblieben. Es ist ein akustisches Erlebnis an sich; bei Elschenbroich schnarrt, kracht und ächzt es in den dramatischen Sätzen nur noch dramatischer. Sein Spiel oszilliert zwischen roh und schwelgend, das BBC Scottish Symphony Orchestra präsentiert die überraschenden Effekte der Musik mit einem guten Drive. Bei aller Dramatik erklingt der vierte Satz als Ruhepol wie von einem anderen Planeten. Samtige Harfenklänge, Violinen greifen die Melodie des Cellos auf, ein Schluss, der zeitlos im Raum steht.



Elschenbroich spielt mit durchdringendem Ton und bedachtem Vibrato. Die Bandbreite der Klangfarben reicht von hartem Pizzicato bis hin zu den bedrohlichen Klangwogen, die sich im zweiten Satz auftürmen. Im Gegensatz zu den exponierten Solostimmen in Violinkonzerten wird das Cello regelmäßig von den Geigen überspielt. So ist es auch bei Camille Saint-Saëns erstem Cellokonzert, das den spätromantischen Gegenpol zu Dutilleuxs Werk bietet.
Bei Elschenbroich lebt es in ganz verschiedenen Nuancen auf. Drängend und leidenschaftlich erklingt das Thema, das den Hörer durch alle drei Abschnitte des Werks verfolgt. Voller Schmelz erlebt man hier das heitere Menuett, expressiv rauscht das Orchester mit Elschenbroich durch das virtuose Finale. Im Gegensatz zu diesem Beispiel, wie Cello und Orchester harmonieren können, zeigt Elschenbroich mit Maurice Ravels „Pièce en forme de habanera“ die Qualitäten des Cellos als dunkel gefärbtes Melodieinstrument. Facettenreich sind sowohl Elschenbroichs Spiel als auch das Repertoire: Das lebhafte Finale von Claude Debussys Sonate in d-Moll für Cello und Klavier klingt wunderbar leicht und tänzerisch, in der schroffen Serenade wird das Cello dann als Gitarre eingesetzt – präzise koordiniert mit der Klavierbegleitung.



Mit dem fünften Satz aus Olivier Messiaens „Quatuor pour la fin du temps“ (Quartett für das Ende der Zeit) hält „Siècle“ schließlich ein letztes Highlight parat. In das schillernde Vibrato der Cellostimme fällt das Klavier mit Akkorden hinein, über denen sich ein berauschendes Klangfarbenspiel entfaltet. Mal schnurgerade, dann wieder zart, zerbrechlich und mit flirrendem Ton. Mit Elschenbroich einen Ausflug nach Frankreich zu unternehmen, das kann man nur wärmstens empfehlen.




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Henri Dutilleux, Olivier Messiaen, Camille Saint-Saëns u.a.

Siècle

Leonard Elschenbroich, BBC Scottish Symphony Orchestra u.a.

Onyx/Note 1


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