Von Silja Vinzens, 19.04.2020

Ziemlich beste Feinde

Manche Kammermusiker:innen stehen auf der Erfolgsleiter ganz oben und hassen sich trotzdem. Wie passt das zusammen? „Kunst verpflichtet“, sagt Musiker-Mediator Angelo Bard und erklärt auch, warum Musikerkollektive anfälliger sind als Unternehmen.

Quartett spielen, das ist wie eine Ehe zu viert. Hunderte Stunden verbringen Musiker:innen, die sich für die Laufbahn mit einem Ensemble entscheiden, mit ihren Kolleg:innen. Sich immer auf der Pelle zu hocken, ist nicht leicht, doch der Ehrgeiz treibt alle voran – mit etwas Glück bis an die Spitze der Klassikwelt. Aus ziemlich besten Freund:innen können damit schnell die so ziemlich besten Feind:innen werden.

„Er war ein schwieriger Mensch, oft beleidigend. Er sagte mir, du spielst wie ein Bauer!“

Menahem Pressler

Berühmte Beispiele dafür gibt es zuhauf, auch wenn diese sich eher hinter dem Bühnenvorhang erzählt werden, als dass sie irgendwo geschrieben stehen. Von komplizierten Geschwisterkonstellationen, in denen die Konkurrenz aus der Kinderstube auch im Beruf weiter besteht, bis zu Quartetten, die mit einzelnen Mitgliedern, wie etwa beim ersten Geiger des Leipziger Streichquartetts, eine Art On-Off-Beziehung durchmachen. Das Quartett scheint nicht nur die Königsdisziplin der Kammermusik zu sein, sondern auch im Konfliktpotential an erster Stelle zu stehen. Und doch gibt es auch in anderen Besetzungsformen genug Reibungsfläche. Nicht umsonst wird dem Beaux Arts Trio bis heute – zwölf Jahre nach seiner Auflösung – noch nachgesagt, dass Pianist Menahem Pressler der Kitt des Ensembles war. Ganzen sechs Besetzungswechseln musste er sich von 1955 bis 2008 anpassen. Über seinen Gründungskollegen, den Geiger Daniel Guilet, sagte Pressler einmal in einem Interview mit der ZEIT: „Er war ein schwieriger Mensch, oft beleidigend. Er sagte mir, du spielst wie ein Bauer! Das muss wie Regentropfen klingen, bei dir kommen Steine runter! Aber er hatte recht.“

Auf Daniel Guilet sollten noch vier weitere Geiger an Presslers Seite folgen. Sprüche wie die von Guilet gehen eben nicht immer spurlos an Kolleg:innen vorüber. Einer, der diese Krisensituationen besonders gut kennt, ist Angelo Bard, studierter Geiger sowie ausgebildeter und zertifizierter Mediator. „Die meisten Probleme entstehen genau dadurch, dass man nicht gescheit kommuniziert. Über unterschiedliche Werte und Bedürfnisse wird nicht gesprochen und im Kopf festigt sich ein ganz bestimmtes Bild vom anderen. Je weiter sich dieses auf beiden Seiten verstärkt, desto schneller mündet es nach meiner Erfahrung in einer Abwärts-Spirale“, sagt Bard.

Doch nicht jedes Trio oder Quartett sucht eine:n Mediator:in auf. Viele machen eine ziemlich lange Zeit weiter, spielen in den besten und größten Konzerthäusern, können sich aber kaum anschauen. Wie ist die Verbindung der lieblichsten Musik mit dem Gefühl tiefer Abneigung untereinander vereinbar? „Ich glaube, dass die Abhängigkeit von dem gemeinsamen Beruf da eine große Rolle spielt. Die Ressource, zusammen etwas geschafft oder erarbeitet zu haben und das Gefühl, der Kunst verpflichtet zu sein, greifen oft noch – unabhängig von der Stimmung im Ensemble. Und am Ende geht es auch einfach um den Job“, meint Angelo Bard.

Aber es geht auch ohne Skandale und dafür mit Vorbeugung, wie das Beispiel des a-capella-Sextetts ONAIR zeigt. Die Sänger:innen haben einen Mediator aufgesucht, bevor sie sich in die Wolle bekommen konnten. „Drei von uns hatten schon schlechte Erfahrungen in einer anderen Formation gemacht. Deshalb wollten wir uns direkt vor dem Start mit der neuen Gruppe Hilfe holen“, erzählt Beatboxer Patrick Oliver. Auch wenn das bei manchen Kolleg:innen des Ensembles zunächst auf großes Unverständnis gestoßen sei, da es ja noch keine Konflikte gab, bereue im Nachhinein keine:r von ihnen die Entscheidung. „Wir haben dadurch eine ganz eigene Art von Gesprächskultur für Kritik entwickelt, wie wir sie ohne Mediation vermutlich nicht pflegen würden“, meint der Sänger. Teil davon sei, die Wertschätzung für die anderen, die unterschiedlichen Herangehensweisen und die Besonderheiten jedes Einzelnen in der Gruppe zu akzeptieren und jeden auch darin zu stärken. Am Ende stehe eine demokratische Abstimmung über wichtige Fragen. „Es ist aber nicht so, dass es mit einer Mediation getan ist. Wir gehen noch immer ein Mal pro Jahr dort hin, selbst wenn gerade nirgendwo der Schuh drückt, tut sich doch immer etwas auf“, schildert Patrick Oliver.

„Wenn jeder seine Sicht der Dinge schildern darf, ist schon viel gewonnen“

Angelo Bard

Lösungen erarbeiten die Ensembles in einer Mediation meist selbst. Auch bei Angelo Bard bekommen Musiker:innen keine Vorschläge serviert. „Aber ich gebe dem Gespräch mit gezielten Fragen eine Struktur. Antworten sollen aus den Musiker:innen selbst heraus kommen. Sie kennen ihre Probleme am besten“, erklärt er. Eine erste Sitzung sehe dann so aus, dass jeder erst einmal aus seiner Sicht berichtet, wo es hakt. „Alle anderen müssen nur zuhören, eine Situation, die in normalen Gesprächen nicht gegeben ist. Da grätscht eher mal einer dazwischen und schon ist man wieder bei Schuldzuweisungen. Wenn jeder seine Sicht der Dinge schildern darf, ist schon viel gewonnen“, betont Bard.

Der Mediator sieht durchaus Unterschiede zwischen Ensembles und anderen Kollektiven: „In Unternehmen geht es um messbare Interessen, aber was ist in der Musik ab einem gewissen Niveau, bei dem es nicht mehr um Intonation oder Rhythmus geht, wirklich messbar? Da geht es schnell ans Persönliche und es fließen schon mal die Tränen, weil sich diese Menschen häufig über die Musik definieren. Letztendlich ist es zu achtzig Prozent vor allem die fehlende Wertschätzung, die Probleme bringt. Interessant ist dabei, dass Wertschätzung aber fast immer vorhanden ist, eben nur nicht kommuniziert wurde.“ Angelo Bard rät deshalb, den Fokus auch wieder mehr auf positive Dinge zu richten. Er sagt: „Musiker:innen werden darauf getrimmt zu hören, was nicht gut war – anstelle auch die Erfolge zu feiern und zu sagen: Hey, das hat Spaß gemacht.“

© Pixabay


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