Von Sophie Emilie Beha, 05.02.2020

Friede, Freude, Mozart

Umgeben von idyllischem Alpenpanorama findet die Mozartwoche im Herzen Salzburgs statt. Seit Rolando Villazón dort Intendant ist, wird nur noch die Musik des Namensgebers aufgeführt. Ist das sinnvoll? Ein Besuch.

Wer durch Salzburg schlendert, bewegt sich gleichsam durch ein riesiges Mozart-Museum. Er ist überall. Sein Blick ruht beständig auf jedem, der vorbei an Schaufenstern, Litfaßsäulen, Souvenirläden flaniert. Wunderkind Amadé ist aber nicht der einzige Grund, warum Touristen durch die historischen Gassen strömen – Salzburg beherbergt so viele Festivals, dass man leicht den Überblick verlieren kann. Wer also inmitten dieses überreichen Angebots ein Mozart-Festival ausrichten will, der muss sich behaupten. Die Internationale Stiftung Mozarteum hat zu Mozarts zweihundertstem Geburtstag 1956 die „Mozartwoche“ ins Leben gerufen. Sie drapiert sich um seinen Geburtstag am 27. Januar herum und huldigt dem Sohn der Stadt mit namhaften Interpreten.

Alle Konzertbesucher werden vom Intendanten persönlich begrüßt. „Bitte schalten Sie Ihre Handys aus“, dröhnt die Tenorstimme von Rolando Villazón aus den Lautsprechern. Es ist seine zweite Mozartwoche, der Vertrag läuft bis 2023. Auf der Wand in seinem Büro steht in großen Lettern das Motto: „Mozart lebt!“ Und deswegen wird unter seiner Intendanz auch ausschließlich Mozart aufgeführt. Das könnte den Raum öffnen für unbekannte Werke oder neue, bisher unbeleuchtete Seiten Mozarts, der sicherlich mehr war als Wunderkind und Sauschwanz.



Draußen Touristentrubel, drinnen Entschleunigung.

Über einer dieser „neuen“ Seiten lichtet das Festival im „Haus für Mozart“ gleich zu Beginn den Vorhang: Mozarts Bearbeitung von Händels „Messias“, KV 572. Im Foyer prangt ein Mozartkopf aus Swarovski-Kristallen hinter einer 17 Meter hohen, vergoldeten Lamellenwand. Krasser könnte der Kontrast zur schmucken Altstadt kaum sein. Und während draußen die Touristen durch die Straßen lärmen, ist die Inszenierung Entschleunigung pur. Regie führt Robert Wilson, getreu seinem Motto: „Wenn ich eine Botschaft zu versenden habe, dann gehe ich zur Post“. Wilson schenkt dem Publikum keine Interpretation, sondern Raum für eigene Assoziationen: Überdimensionale Treibhölzer gleiten an unsichtbaren Fäden auf und ab, im Hintergrund ein Monolith, Meer, Eisberge. Wilson setzt auf Gleichberechtigung – deshalb sind Bewegung im Raum, Licht, Maske, Kostüm und Bühnenbild genauestens aufeinander abgestimmt. Sein „Messias“ ist eine spirituelle Reise, denn für Religion hat das Theater bei Wilson keinen Platz. Dafür aber für Musik! Denn so uneindeutig Wilsons Inszenierung sein mag, so eindeutig lenkt sie doch die Aufmerksamkeit auf das Oratorium. Mozart hat Händel etwas „aufgehübscht": mehr Wums in der Bassgruppe, mehr Farben in den Holzbläsern. Aber er setzt auch neue Akzente und komponiert in die Bassarie „Das Volk, das im Dunkeln“ lichte Töne von Klarinetten und Flöten hinein. Marc Minkowski macht dieses opulente Gewand hörbar, das Mozart Händel übergestreift hat. Der ehemalige künstlerische Leiter der Mozartwoche und Händel-Experte dirigiert Les Musiciens du Louvre meisterhaft. Neben ihm beeindruckt am meisten Elena Tsallagovas Sopran. Er ist so klar wie das Wasser, das sie zwischen zwei Gläsern hin und her schüttet und so strahlend und schlank wie die Neonröhren, die die Bühne einrahmen.

Eine schmale Borte aus Schneeresten ziert das Ufer der Salzach. Überquert man die mit Liebesschlössern überhängte Brücke erscheint schon der nächste Spielort. Der Große Saal der Stiftung Mozarteum ist so schlimm prunkvoll, dass er schon wieder schön ist. Achtzehn Kronleuchter hängen über der Bühne. Im Spotlight stehen Mozarts Werke für Blech- und Holzbläser, die bisher zu wenig davon abbekommen haben. Eine besondere Freude ist das Chamber Orchestra of Europe unter Andrew Manze. Wie sie sich gegenseitig anschauen, anspielen, anlachen – und dabei fast zu vergessen scheinen, dass sie gerade Instrumente in der Hand halten. Diese unglaubliche Kommunikation und Gruppenstärke wird unter Manzes Dirigat umso stärker. Die knallenden Akzente 237 schüttelt er buchstäblich aus den Ärmeln. Mit beiden Händen formt er walzende Crescendi 37 , zieht die Spannbögen in unendliche Längen und bündelt die Klangwucht. Darüber schwebt François Leleuxs schlank-anschmiegsamer Oboenklang. Wunderbar mühelos. Auch Leleux sucht ständig den Kontakt zum Publikum, das selig zurücklächelt. Es scheint, als wäre nicht nur der überbordende Stuck, sondern auch die Musik vergoldet.

  1. Die Dynamik des Unersättlichen: die Kunst der Lautstärke. Crescendi sind wohl die bekannteste Form der Dynamik, beziffert wird der ansteigende Klang mit einem langgezogenen Größerzeichen. Eins der schönsten Crescendi hat Haydn in seiner Schöpfung geschrieben, da will man unendlich viel mehr vom Sonnenaufgang. (CW)

  2. Ein Keil, manchmal auch ein Punkt oder ein Strich über dem Ton machen klar: Hier muss eine Betonung drauf! Komponisten setzen solche Akzente an ausgewählten Stellen in ihren Partituren, um einzelne Noten oder Melodieteile aus dem musikalischen Fluss heraus zu heben: als musikalische Aufschreie, schmerzerfüllte Seufzer. Wie klingender Blitz und Donner. (AV)

Wer hört zu?

Typ 1: „Die Salzburg-Fans"
„Wir sind extra aus der Türkei hierher angereist. Wir lieben Salzburg – diese Stadt ist einfach wunderschön! Wir kommen seit mehreren Jahren hierher, meistens für die gesamte Mozartwoche. Von allen Festivals, die Salzburg zu bieten hat, haben wir uns extra dieses hier ausgesucht. Auch zuhause gehen wir viel in klassische Konzerte."

Typ 2: „Die Verbandelten“
„Ich bin mit Robert Wilson angereist, da ich eine Förderin von ihm bin, und war schon bei den Proben dabei. Das ist meine erste Mozartwoche, obwohl ich schon mehrere Male in Salzburg war. Ich bleibe nur für ein paar Tage, dann muss ich weiter nach Paris."

Typ 3: „Die Mozart-Fans “
„Wir kommen schon seit über 20 Jahren zur Mozartwoche. Wir lieben Opern und wir lieben Mozart: Auf unsere einsame Insel würden wir auf jeden Fall ‚Così fan tutte‘ mitnehmen! Das Programm der Mozartwoche gefällt uns nun wieder besser. Rolando Villazón ist sehr sympathisch."

Typ 4: „Die Einheimischen"
„Ich bin Salzburgerin und gehe zu allen Musikfestivals in der Stadt. Ich weiß noch, wann ich das erste Mal bei der Mozartwoche war: Damals war ich mit meiner Mutter im Nachtzug unterwegs. Am frühen Morgen fuhren wir aus dem Gebirge heraus, vor uns lag die Stadt - das werde ich nie vergessen."

Die Mozartwoche will, kann und zeigt 100 Prozent. Es soll nicht nur Mozarts Kammermusik für Bläser auf eine Bühne gehoben werden, sondern der „ganze“ Komponist: Seine Händelbearbeitungen, seine Opern („Le nozze di Figaro“), seine Fragmente – es gibt sogar Führungen durch den Autographentresor 23 und eine Ausstellung über seinen Manager und Vater Leopold. Um diese Vielseitigkeit gebührend zu zelebrieren, zieht die Mozartwoche alle Register: „Bei uns gibt es die besten Künstler und größten Mozart-Interpreten“, sagt Villazón. Und er hat recht: Daniel Barenboim, Mitsuko Uchida, András Schiff, Christina Pluhar, Emmanuel Pahud – die Liste der Koryphäen ist sehr lang. Sie alle musizieren auf höchstem Niveau und es ist eine große Freude, ihnen dabei zuzuhören.

  1. Mozart macht keine Fehler, Beethoven verursacht Kopfschmerzen. Wir reden nicht von der Musik der Meisterkomponisten, sondern von der Handschrift. Eine solche Rarität zu betrachten hat etwas sehr Feierliches und weckt gleichzeitig den Küchenpsychologen in Jedermann. (MH)

Rolando Villazón ist nicht nur Intendant, er ist vor allem auch Sympathieträger.

Der aber vielleicht am weitesten strahlende Name der Mozartwoche ist der des Intendanten. Villazón präsentiert sich gerne als aufgedrehter Spaßvogel, der an der Ampel jedem zuwinkt und unter seinem Jackett T-Shirts mit Emoji-Print trägt. Die perlenbehängten Damen tuscheln vergnügt, wenn sie ihn in der Loge entdecken. Nach dem letzten Ton klatscht er oft als Erster – begleitet von lauten Jubelrufen. Rolando Villazón ist nicht nur Intendant, er ist vor allem auch Sympathieträger: An Mozarts Geburtstag singt er mexikanische Ständchen, er organisiert ein mexikanisches Mozart-Bingo und inszeniert „Le nozze di Figaro“ (konzertant) sowie „Mozart Moves! Sieben Dramolette“ (Uraufführung). Das alles ist vor allem eins: wirklich lustig! Villazón versteht Spaß, am vierten Tag äfft er sogar seine eigene Ansage vor dem Konzert nach, das tut dem Festival gut. Hört man sich um, ist die Mozartwoche seit seiner Intendanz vor allem witziger geworden. Das Publikum weiß das zu schätzen, es besteht aus gut betuchten Mozart-Kennern und -Liebhabern. Man kennt sich aus und zollt der Musik und ihren Interpreten angemessen Respekt, zwischen den Sätzen klatscht kein einziger.

Hochwertige Musik und Unterhaltung haben ihren Stellenwert. Aber muss Mozart immer lustig, luftig und leicht sein? Seine Musik ist viel mehr als Friede, Freude, Eierkuchen, gerade Mozart besitzt so viel Doppelbödigkeit! Es ist halt bequemer, sich von Faschingsmusik, Versteckspielen und Bingo bespaßen zu lassen, als mit unangenehmen Themenkomplexen auseinanderzusetzen. Aber verständlich, denn die Harlekinade funktioniert: Die konzertante Figaro-Inszenierung gelingt besser als so manche Oper, ebenso „Púnkitititi“ (Mozarts selbstgegebener Spitzname!), eine Hommage an Mozarts Musik zu einer Faschingspantomime. Die Qualität ist hoch, die Reihen sind fast immer voll. Die Mozartwoche macht das, was Salzburg auch tut: Sie etabliert Mozart als Marke. Von seinem Schaffen wird ein vielseitiges Bild gezeichnet und fest in der Stadt verankert. Das Festival umspannt nicht nur die üblichen Konzertorte, sondern auch Mozarts Wohnhaus, eine Galerie und das Salzburger Marionettentheater. Dadurch diffundiert die Musik hinein in die Stadt. Andere Musik als die von Mozart vermisst man nicht. An ihm kommt eben keiner vorbei. Und das ist gut so.

© Sophie Emilie Beha
© Wolfgang Lienbacher
© Lucie Jansch


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