Von Jesper Klein, 10.09.2019

Tastentänze

Schneller, jünger, virtuoser. An Klavierwettbewerben führt für junge Pianisten heutzutage kaum ein Weg vorbei. Beim Busoni-Wettbewerb in Bozen müssen die Nachwuchskünstler ihre Vielfalt unter Beweis stellen. Ein Wettbewerbsporträt

Während die spätsommerliche Sonne Touristen und Einheimische noch einmal auf die Straßen von Bozen treibt, ist im Monteverdi-Konservatorium, dem früheren Dominikanerkloster, von klösterlicher Ruhe nur wenig zu spüren. Pinke Banner kündigen an, was sich hinter dem unscheinbaren Eingang mitten in der Altstadt abspielt: Hier geht der Busoni Klavierwettbewerb, einer der bedeutendsten Wettbewerbe für junge Pianisten, in die entscheidende Phase.

Alle zwei Jahre werden in Bozen in Südtirol die besten Nachwuchspianisten gekürt. Vielfalt ist hier ein entscheidendes Schlagwort: Neben Werken des Namensgebers Ferruccio Busoni muss auch ein zeitgenössisches Stück gespielt werden. Kammermusik 120 steht ebenso auf dem Programm. „Uns ist es wichtig, zu gewährleisten, dass die Person, die am Ende gewinnt, am Tag danach ein Angebot an das Musikleben machen kann“, sagt der künstlerische Leiter des Wettbewerbs, Peter Paul Kainrath. Aus mehr als 400 Einsendungen hatte eine Vor-Jury 100 Bewerber zum Vorspiel nach Bozen eingeladen. In weiteren Ausscheidungsrunden hat sich der Kreis auf mittlerweile sechs reduziert. Jeweils ein Pianist aus Russland, Bulgarien und Georgien, dazu eine Japanerin und zwei Italiener. Jetzt steht für die jungen Künstler mit der Kammermusik die womöglich heikelste Prüfung an.

  1. Ursprünglich wurde sie tatsächlich in Kammern gespielt, nämlich in den Privaträumen von Fürsten und Königen. Deshalb spielen in Kammermusik-Werken nur wenige Musiker, zum Beispiel als Streichquartett, Bläseroktett o.ä., zusammen. Bürger des 19. Jahrhunderts entwickelten aus der höfischen Elitekunst ihre Hausmusik, wie z.B. die „Schubertiaden“, die im kleinsten Kreis vor ausgewähltem Publikum stattfanden. (AJ)

Musikalität und Mathematik

„Ich finde, man kann sehr viel daraus ablesen, wie jemand Kammermusik spielt“, sagt der österreichische Pianist Till Fellner. Er ist in diesem Jahr Präsident der internationalen Jury für die Finalrunden, die für jeden Wettbewerb neu zusammengestellt wird. Überschneidungen mit den Vorauswahl-Jurys gibt es keine, um größtmögliche Fairness zu gewährleisten. Über die Kandidaten wird hier nicht gesprochen, sondern es werden lediglich Punkte vergeben. „Wenn man miteinander reden kann, besteht immer die Gefahr, dass sich Gruppen bilden“, sagt Fellner.

„Wir suchen einen Künstler, der ein tiefes Wissen um das hat, was er tut – und das ist mehr als schwarze und weiße Tasten drücken.“

Peter Paul Kainrath, künstlerischer Leiter des Busoni-Klavierwettbewerbs

Ein paar Wochen nach dem Wettbewerb werden die Wertungen im Internet veröffentlicht – für die Transparenz eine gute Sache. Bekannt ist der Busoni-Wettbewerb auch dafür, mit ersten Preisen zu geizen, nur in rund der Hälfte der Fälle wurde er vergeben. Nur wenn der punktbeste Pianisten zudem 8 von 11 möglichen Jurystimmen erhält, wird ein erster Preis vergeben. „Wir suchen einen Künstler, der ein tiefes Wissen um das hat, was er tut – und das ist mehr als schwarze und weiße Tasten drücken“, sagt Kainrath.

Nicolò Cafaro, 18, aus Sizilien hat es ins Kammermusik-Finale geschafft. „Es ist mein erster großer internationaler Wettbewerb“, sagt er. Und auf die Frage nach dem Spaßfaktor: „Für mich ist das ganz natürlich. Es ist nicht anders, als ein Konzert zu spielen.“ Im Kammermusik-Finale entscheidet sich Cafaro für César Francks Klavierquintett. Für das Finale reicht es nicht, Cafaro hat nicht genug Punkte erhalten. Am Ende erhält er den 6. Preis. Der Georgier Georgi Gigashvili spielt in dieser Runde Schostakowitsch: „Ich liebe Kammermusik. Ich habe die Klavierquintette von Brahms und Franck gespielt, für diesen Wettbewerb habe ich das von Schostakowitsch gelernt – für mich das interessanteste Klavierquintett überhaupt!“. Gigashvili schafft es ins Finale.

Wie immer liegt an diesen Tagen die Frage nach dem „Warum“ in der Luft, die sich bei jedem Wettbewerb stellt. Warum muss man Musik mit Punktzahlen bewerten? Und nach welchen Kriterien sollte man es tun? Warum müssen zum Teil noch Teenager das Schwerste vom Allerschwersten vor einer Jury darbieten? Und natürlich: Inwieweit braucht es Wettbewerbe überhaupt als Karrieresprungbrett für junge Pianisten?

„Unser oberster Zweck ist es, den Kandidaten die Tür zum heutigen Musikleben zu öffnen.“

Peter Paul Kainrath, künstlerischer Leiter des Busoni-Klavierwettbewerbs

Der Wettbewerbs-Chef Kainrath kennt diese Fragen zur Genüge. Parallel zum Wettbewerb trifft sich das Who-is-Who der Wettbewerbs-Szene beim Meeting der World Federation of International Music Competitions (WFIMC) und diskutiert auch über diese Meta-Themen. Mit der Zeit zu gehen, ist für Kainrath selbstverständlich. „Das Musikleben ist in einem großen Wandel begriffen. Wenn wir diese Einrichtung erst nehmen, müssen wir uns Gedanken machen, in welche Richtung sich das Musikleben entwickelt“, sagt Kainrath. „Unser oberster Zweck ist es, den Kandidaten die Tür zum heutigen Musikleben zu öffnen.“ Für den Busoni-Wettbewerb liegt die Antwort zunächst im Streaming. Der gesamte Wettbewerb wurde live im Internet übertragen, eine Delegation aus China sicherte die Übertragung nach Asien. Im Streaming-Archiv sind alle Darbietungen abrufbar.

Der Tag vor dem Finale

Die Entscheidung für das Finale ist gefallen: Shiori Kuwahara aus Japan, Emanuil Ivanov aus Bulgarien und der Georgier Giorgi Gigashvili messen sich in der pianistischen Königsdisziplin: dem Klavierkonzert 56 . Hier entscheidet sich, wer das Preisgeld von 22.000 Euro erhält und über die nächsten zwei Jahre vom Wettbewerb gefördert wird. Giorgi Gigashvili treffe ich am Tag vor dem Finale nach seiner Orchesterprobe. Der 18-Jährige zählt zu den im positiven Sinne auffälligen Figuren des Wettbewerbs. Er studiert an einem kleinen, wenig bekannten Konservatorium in Tiflis. Man nimmt es ihm ab, als er erzählt, dass er es nicht gewagt hätte, davon zu träumen, hier im Finale zu stehen. „Falls ich gewinne, würde sich alles ändern“, sagt Gigashvili.

  1. Diese Form ist was für Mittelpunktsmusiker. Ein oder mehrere Solisten werden vom Orchester begleitet. Antonio Vivaldi hat nicht nur die "Vier Jahreszeiten" komponiert, er war ein Tüftler und Neuerfinder des Konzertrades. Bei seiner Revolution des Concerto Grosso gibt es viel zu entdecken, seine Solokonzerte sind irrsinnig virtuos. (CW)

„Natürlich ist es beeindruckend, wenn jemand ganz perfekt spielen kann. Noch wichtiger ist für mich aber eine Persönlichkeit mit künstlerischem Potential.“

Jury-Präsident Till Fellner

Vor dem Finale habe ich auch mit einigen Jury-Mitgliedern gesprochen. Nach welchen Kriterien beurteilen sie die jungen Pianisten? „Es geht um die Balance zwischen technischen Fähigkeiten, die die Grundlage für eine möglichst breite Klangpalette bieten, auf der einen Seite und einem tiefen Verständnis der Musik auf der anderen“, sagt der britische Pianist Nicolas Hodges. „Jemanden zu finden, der beides mitbringt, ist sehr schwierig.“ Hier Perfektion und Technik, dort musikalisches Verständnis. Jury-Präsident Fellner würde sich im Zweifel für die Musikalität entscheiden: „Natürlich ist es beeindruckend, wenn jemand ganz perfekt spielen kann. Noch wichtiger ist für mich aber eine Persönlichkeit mit künstlerischem Potential.“

Der Abend der Entscheidung

Gerade vor diesem Aspekt ist das große Finale im Bozener Stadttheater aufschlussreich. Shiori Kuwahara eröffnet den Abend mit Sergei Rachmaninows drittem Klavierkonzert. Ein virtuoser Dauerbrenner, der der Pianistin kaum Pausen zum Durchatmen lässt. Schon in den Runden zuvor hatte Kuwahara mit einem technisch ungemein schwierigen Programm Eindruck hinterlassen. Giorgi Gigashvili hat sich für Sergei Prokofjews drittes Klavierkonzert entschieden. „Ich kenne dieses Konzert sehr gut. Im Wettbewerb ist es besser, ein Konzert zu spielen, das man schon oft gespielt hat – gerade, wenn man mit einem neuen Orchester zusammenspielen muss“, sagt er. Es ist eine beeindruckende Performance, brachial und resolut, eigenwillig und unkonventionell. Später sagt Gigashvili, das wäre alles, was er geben könne. Das Publikum ist auf seiner Seite, war das die Performance des Siegers? Emanuil Ivanov findet anschließend in Camille Saint-Saëns’ zweitem Klavierkonzert, das nicht zu den Klassikern des Repertoires gehört, verschiedenste Klangfarben – er überzeugt, im Gegensatz zu Kuwahara und Gigashvili, besonders mit den leisen Tönen.



Emanuil Ivanov erhält den 1. Preis des Busoni-Wettbewerbs

„Der Busoni-Wettbewerb ist einer der Wettbewerbe, der am meisten Wert legt auf die Balance zwischen Virtuosität und Musikalität“, hatte der britische Juror Nicolas Hodges im Gespräch auf die Frage nach der Besonderheit des Wettbewerbs geantwortet. In der finalen Jury-Entscheidung spiegelt sich nun diese Grundsatzfrage. Was braucht es? Die Makellosigkeit von Kuwahara, die Eigenwilligkeit von Gigashvili oder die Farbigkeit von Ivanov? Die Zeit vor der Bekanntgabe zieht sich wie ein Kaugummi. Man steckt die Köpfe zusammen, die Spekulationen haben längst begonnen, auf Facebook haben sich Fanlager gebildet. Dann ist es so weit: Als für den Publikumsliebling Gigashvili nur der dritte Preis bleibt, reagiert das aufgebrachte Publikum mit Buh-Rufen. Kuwahara erhält den zweiten Preis, der erste Preis geht an Emanuil Ivanov. Es ist eine nachvollziehbare Entscheidung, für die Musikalität. Zwei Jahre wird Ivanov nun das Aushängeschild des Wettbewerbs sein.

„Wenn Du eine Karriere als klassischer Pianist anstrebst, ist es sehr schwierig ohne die Wettbewerbe heutzutage“, sagt Jury-Mitglied Hodges. „Vor zwanzig Jahren hat es vielleicht gereicht, einen großen Wettbewerb zu gewinnen, heute geht es darum, einen nach dem anderen zu gewinnen.“ Ein Garant für eine Karriere im hartumkämpften Klavierbusiness ist die Auszeichnung also mit Sicherheit nicht, als Türöffner zwischen Studienzeit und Solistenkarriere kann sie aber allemal dienen.

Der Busoni-Klavierwettbewerb

Der Busoni-Klavierwettbewerb zählt zu den traditionsreichsten und bedeutsamsten Wettbewerben für junge Pianisten. Er wurde 1949 im Gedenken an Ferruccio Busoni ins Leben gerufen und findet seit 2002 alle zwei Jahre statt. Zu den Preisträgern zählen Jörg Demus und Martha Argerich, in der Jury saßen im Laufe der Jahre zahlreiche namhafte Pianisten wie Claudio Arrau, Wanda Landowska oder Sergei Rachmaninow. Von 100 zur Vorauswahl nach Bozen eingeladenen Künstlern wurden 27 für die Endrunden zugelassen. Hier stehen ein Soloprogramm, Kammermusik und im großen Finale ein Solokonzert mit großem Orchester an. Das Preisgeld für den ersten Preis beträgt 22.000 Euro. Neben den Preisen 1 bis 6 werden sechs Sonderpreise vergeben, unter anderem für die beste Interpretation zeitgenössischer Klaviermusik und die beste Interpretation eines Werkes von Ferruccio Busoni.

www.concorsobusoni.it/de

© Luca Guadagnini
© Außenaufnahme Konservatorium: Jesper Klein


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