Von Carsten Hinrichs, 13.07.2019

LoFi-Klassik

Remix im Schnipseltakt: Der Zeitgeist lässt uns den Augenblick dann spüren, wenn wir ihn als Ehrenrunde in der Loopschleife feiern können. Ob das mit Klassik auch funktioniert?

LoFi! Na endlich habe ich mal erfahren, wie der Musikstil heißt, der schon seit ein paar Jahren die YouTube-Videos stürmt. Ok, ich bin nicht am Puls der Zeit, aber ich habe auch nicht gesucht. Aber die Musik gefiel mir so gut, dass ich nach ein paar der Namen auf Soundcloud gesucht und sie gespeichert habe. Der Retro-Stil, das Knistern, die geloopten Schnipsel aus altem Jazz und Unterhaltungsmusik, unterbrochen von Filmzitaten, das hatte gleich was Entspanntes und Sommerliches.



Nun lerne ich: LoFi, von Low Fidelity, nimmt schon im Namen vom Gebrauch aufwändiger Mischtechnik Abschied, jedoch keineswegs vom qualitativen Anspruch! Die Schweizer Kulturstiftung Sound Development hatte sich beispielsweise dazu schon vor zwölf Jahren ein Dogma auferlegt, das an die Selbstbeschränkung der skandinavischen Puristen-Filmemacher erinnert. Als GEMA-frei zur Verfügung gestellte Musik von Hobby-Soundbastlern, die hoffen, so bekannt zu werden, flutet die Musik die Spieltrieb-Videos auf YouTube. Oder füllt als neue Form des Easy Listening so genannte „Focus“-Playlisten zum besseren Studieren. Das ist allerdings Quatsch, wie die Forschung herausgefunden hat .

Die Gipfel-Fanfaren aus Strauss‘ Alpensinfonie, mit Knistern hinterlegt? Das „Tauf-Quintett“ aus den Meistersingern auf Hamster-Stimmhöhe?

Mir kommt da so ein Gedanke: Ließe sich das nicht auch mal mit Klassik ausprobieren? Zumindest hätte man da keinen Ärger mit dem Urheberrecht, wie manch einer, der sich an den falschen Pop-Schnipseln vergriffen hat. Könnte man mit dem hemmungslosen Remixen, Pitchen und Drehen am Geschwindigkeitsregler nicht auch so manchen lahmen Sinfonie-Tanker wieder flott und erstmals pooltauglich kriegen? Die grell strahlenden Gipfel-Fanfaren aus Strauss‘ Alpensinfonie, mit Knistern hinterlegt? Das „Tauf-Quintett“ aus den Meistersingern auf Hamster-Stimmhöhe, mit entspannt nachklappendem Beat? Der Galopp der Streicher aus Mozarts Jagdquartett in Schleife gelegt? Oder ein paar jauchzend-vollstimmige Mahler-Akkorde zur Klangfläche gezogen, darüber die gemütlich-rauchige Stimme von Leonard Bernstein mit einem Zitat? Ok, müsste man wenigstens mal ausprobieren, bevor hier manch einer gleich die Stirn in Falten legt.

Aber ist es ja nicht so, dass es dergleichen nicht schon gäbe. Denn die LoFi-Beats, mit denen sich inzwischen auch Jazz und HipHop zu Chillout-Pops verwandeln, haben in der Minimal Music einen ehrenwerten Vorläufer und ihr klassisches Pendant. Steve Reich, Michael Nyman und Philip Glass zerschlugen ab den späten Sechziger Jahren den harmonischen Vorratsschrank, an dem sich Arnold Schönberg noch kunstvoll-zwölftönend die Zähne ausgebissen hatte, und ließen die Kadenzen einfach leerlaufen. Und dann passierte etwas Merkwürdiges: In Loop und Schleife wurde das Motiv selbst zwar schnell seiner inneren musikalischen Aussage beraubt, aber das Kreiseln und Pulsieren selbst bekam einen unwiderstehlichen, melancholischen Sog. Das gilt für die schnarrigen Holzbläserakkorde in der Filmmusik von Michael Nyman ebenso, wie für die Streichquartette von Philip Glass.



Und bei Lichte besehen, versucht ja bereits eine ganze Armada von Zweitverwertern, aus dem Trester der Altvorderen ihren Grappa zu brennen. Der erfolgreichste von ihnen ist zweifellos Max Richter, und auch bei ihm fällt in Vivaldis eigentlich ungetrübten Frühlingstagtraum ein nebliger Tropfen Wermut in den langsamen Bassnoten.



Ich habe es mit dem Klassik-Remixen dann doch gelassen. Jedes Mal, wenn ich eine Stelle zum Loopen suchen wollte, hörte ich irgendwann wieder richtig zu, und schon war das Stück um. Das Feld überlasse ich jetzt gerne den ehrgeizigen Soundbastlern – vielleicht gelingt ihnen ja tatsächlich irgendwann der Remix, durch den ich ein vertrautes Werk ganz neu höre. Und für den Pool reichen mir bis dahin locker die LoFi-Playlisten von Spotify.



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