Von Konrad Bott, 06.06.2019

Classical Gainz

Klassische Musik wird auf Samplern und Playlists zurechtgestutzt für alle möglichen Gefühlslagen und Aktivitäten. Man kann sich über diese fragwürdige Angewohnheit ärgern, oder aber sie nutzen — und mit klassischen Tracks dort aufwarten, wo man sie am wenigsten vermuten würde: an der Hantelbank

Klassische Musik hat schon viel mitgemacht und immer irgendwie überlebt. Als Randerscheinung, klar. Aber noch ist kein Remix von Bach, Beethoven oder Brahms ernsthaft berühmter geworden als das Original. Klassik gibt es als „Christmas Wishes“, für das „Baby In Your Belly“, fürs „Chillout“, für „Learning & Concentration“. Ein wachsender Lifestyle-Bereich hat jedoch die Werke klassischer Komponisten bis jetzt nicht für sich gekapert: der Kraftsport. Wie auch? Klassische Musik ist schließlich dazu da, dass man sich andächtig ins Konzert oder vor die HiFi-Anlage setzt – Rumturnen gilt nicht.

Keine Kompromisse bei der Form!

Ein ehrbarer und für Kunstgenießer unumstößlicher Ansatz vielleicht. Der aber – sehen wir den Tatsachen ins Gesicht – nicht den Hörgewohnheiten der Mehrheit entspricht. Viele gute Gründe sprechen dagegen, Wagner, Mahler, Schönberg ins MP3-Format zu quetschen, einzelne Sätze aus dem Kontext zu reißen, Playlists zusammenzuflicken. Die Empörung, der Schmerz im versierten Klassik-Hörer darüber mag groß sein, den Kompositionen selbst ist es herzlich egal, wie, wo und wann sie gehört werden. Deshalb darf man auch zu Klassik die Eisen biegen. Und zwar nicht zu aufgemotzten Soundtracks oder minimalistischen Neo-Klassik-Beats. Hier findest du die Tracks, die sonst nur im Elfenbeinturm ballern. Das heißt, wir machen mit der Playlist genau so viele Kompromisse der sogenannten Hochkultur gegenüber, wie du hoffentlich bei der sauberen Form deiner Deadlifts, Squats und Pull-Ups: nullkommakeine!



Sicher, die Mehrheit des unerschöpflichen Genres taugt nicht recht an der Hantelbank. Zu einfühlsam, zu kompliziert, zu ungleichmäßig in Rhythmik, Agogik und Dynamik. Trotzdem findet man in den komplexesten Werken, vor allem der Frühmoderne, Stücke, die mit ihrem massiven Mischklang und den wuchtigen Akzenten zum Beast-Mode animieren. Anfang und Ende der Playlist markiert Schostakowitsch mit farbenfrohen, energetischen Sätzen aus seiner zehnten, bzw. sechsten Sinfonie. Die eignen sich, falls vorgesehen, gut für einen vorsichtigen Anfang und ein erschöpfendes Ende. Heiner Goebbels "Gavotte" für Sampler und Orchester gibt euch einen konstanten, unterschwelligen Beat vor: kontrolliert dabei die Form eurer Bewegungen und eure Atmung! Zu den heroisch-selbstironischen Klängen der Ouvertüre von Leoš Janáčeks Oper „Die Sache Makropulos“ hab ihr noch gut lachen. Es wird Zeit, die Intensität zu steigern!

Der römische Kriegsgott respektiert keinen Lauch!

Witold Lutosławski liefert Hochgeschwindigkeits-Chaos. Viel Blech, sägende Streicher, kurz und knackig der Satz. Ähnlich düster prescht die "Hütte der Baba-Yaga" aus Modest Mussorgskys Zyklus "Bilder einer Ausstellung" voran. Weiter! Bis zu Gustav Mahlers erhabenem Chorsatz "Veni Creator Spiritus" aus der 8. Sinfonie, ein kurzer Moment der Selbstgefälligkeit. Ein Blick in den Spiegel – sieht gut aus, aber da geht noch mehr. Der einzige leichte Tag war gestern. Und jetzt wird`s richtig schwer. Ihr dürft zittern, eure Muskeln dürfen brennen — aber aufgegeben wird nicht. Nicht zum brutalen Gewitter aus Richard Strauss` Alpensinfonie, nicht zum brachialen Tanz des Dämons von Paul Hindemith und erst recht nicht zu Gustav Holsts bekannten martialischen Planeten-Klängen. Mars, dem römischen Kriegsgott, ist nichts so zuwider wie ein bequemer Lauch!

Unbarmherzige Klänge, die Kampfinstinkte wecken, das klingt stumpf, gefährlich, vielleicht sogar faschistoid. Aber beruht nicht der ganze Kult um den stählernen Körper insgesamt auf primitivsten Formeln, die man im Sinne von Adorno und Co. tunlichst überwinden sollte? Wichtig ist, dass man hinterfragt, was man tut, auch beim Krafttraining. Jedem steht es frei, sich vom Testosteron leiten zu lassen, um seinen Körper zu formen. Solange Du noch fähig bist, dich von außen zu betrachten und zu entscheiden, ob die Rolle, die du damit einnimmst, dir und deiner Umgebung mehr nutzt als schadet. Denn der eigentliche Grund für Chauvinismus und in letzter Konsequenz Faschismus liegt in Neid, Angst, Unwissenheit und dem unhinterfragten Instinkt, stärker, schneller, härter sein zu müssen als das Gegenüber. Nicht das Krafttraining zu irgendeiner bestimmten Musik führt zur aggressiven Selbstvergötterung, sondern das, was du mit den gewonnenen Muskeln anstellst. Deshalb: Let The Gains Begin!


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