Schon als Jugendliche hatte ich eine unglaubliche Ausdauer darin, Stücke wieder und wieder und wieder zu hören. Die „Repeat“-Taste auf meinem CD-Player war nach Jahren in meinem Besitz nach „Play“ die am meisten abgenutzte. Ich bekam nicht genug von den musikalischen Ideen, von den Rhythmen und Klängen, die aus den Boxen kamen, manchmal war es nur eine einzige melodische Wendung, eine einzige kurze Themenvariation, die das komplette Von-Vorne-Hören rechtfertigte.
Entsprechend begann ich irgendwann Künstler, Komponisten und Interpreten besonders zu mögen, die diese Ideen-, diese Detailverliebtheit auch irgendwie mit-tragen, die in ihren musikalischen Prinzipien nicht auf Abwechslung, sondern auf die kunstvolle Wiederholung von Gedanken setzen – und die auch nicht davor zurückschrecken, eine gute musikalische Idee auch einige Male erscheinen und um sich kreisen zu lassen.
Zu diesen Künstlern gehörte Marcel Dupré, langjähriger Hausorganist von St. Sulpice in Paris, der natürlich diese berüchtigte schönste Orgel der Welt zelebrierte, ihre Klangvielfalt, ihre Farben, ihre Wucht. Seine Komposition „Cortège et litanie“ aus dem Jahr 1922 basiert auf zwei Themen, kurz und einfach, die beide in mir den Wunsch wecken, sie wieder und wieder zu hören. Er verarbeitet sie über schwebenden Harmonien und weichen Streicherklängen und führt sie im voluminösen Schluss schließlich zusammen, indem er sie übereinanderlegt, jedes zum Kontrapunkt des jeweils anderen werden lässt. Für meine wiederholungsverliebten Ohren das ultimativ Schönste, was er tun konnte!
Robert Schumann
Robert Schumann sprach einmal in Bezug auf Franz Schuberts Große Sinfonie in C-Dur von deren „himmlischen Längen“: Die Sinfonie sei „wie ein dicker Roman in vier Bänden etwa von Jean Paul, der auch niemals endigen kann und aus den besten Gründen zwar, um auch den Leser hinterher nachschaffen zu lassen“. Auf viele Kompositionen Schuberts lässt sich das übertragen – er hatte einfach die Gabe, in seinen Themenideen, Harmoniefolgen und Klängen zu schwimmen. Mein Klavierlehrer bezog die Formulierung der „himmlischen Längen“ auch auf diesen zweiten Satz der a-Moll-Sonate D. 537, die ich für meine Abschlussprüfung vorbereitet hatte.
Kunstvoll und lustvoll
In der Playlist folgen noch Stücke weiterer Komponisten und improvisierender Interpreten, die für mich genau diese Gabe haben, kunstvoll und lustvoll mit der Wiederholung musikalischer Ideen umzugehen – und sie auszukosten: Giora Feidman, der wohl begnadetste Klezmer-Klarinettist unserer Zeit, der die Melodien mit solcher Intensität durch sein Instrument beißt, dass es kaum energetischer sein könnte, Johann Sebastian Bachs wunderschönes „Dona nobis pacem“ aus der h-Moll-Messe, die Interpretation von Claudio Monteverdis Madrigal „Ballo“ durch das Ensemble „L’Arpeggiata“ und Duke Ellingtons Pausen atmende „Summertime“-Interpretation von 1961.
Besonders beeindruckt mich auch Ella Fitzgeralds textloser One-Note-Samba, bei dem sie im Scat-Gesang das Lautpotential der Vokale kunstvoll ausreizt – während die Komposition selbst nur aus der Wiederholung eines Rhythmus‘ auf einem fixen Ton besteht. In diesem Zusammenhang möchte ich zum Schluss mit Ben Folds noch auf die Musik eines zeitgenössischen Künstlers hinweisen: In „Smoke“ bildet ein durchlaufendes Schlagzeug-Pattern die Basis, über der die kleinen Themenbausteine der Strophe und des Refrains wie Figürchen kreisen. Nicht umsonst hört man zu Beginn der Aufnahme das knarzende Geräusch, das eine Spieluhr macht, während man sie aufzieht. Es lebe die Wiederholung!
© Hannah Schmidt