#zukunftsbühne
Creative LAB, Sound 4D, Remixing – wie Musiktheater zukunftsweisend wird, untersuchen wir an der Produktion „Castor&&Pollux“ in Heidelberg.
Creative LAB, Sound 4D, Remixing – wie Musiktheater zukunftsweisend wird, untersuchen wir an der Produktion „Castor&&Pollux“ in Heidelberg.
Was kann eigentlich die Wissenschaft vom Musiktheater lernen und das Musiktheater von der Wissenschaft? Jim Igor Kallenberg, Dramaturg des multimedialen Musiktheaters „Castor&&Pollux“, und Korbinian Schreiber, Doktorand am Kirchhoff-Institut für Physik, scheinen das zuerst auch nicht so recht zu wissen. Ich treffe sie in der Universität Heidelberg, im Erdgeschoss, während ein Stockwerk über uns in der Alten Aula die Vorbereitungen für „Castor&&Pollux“ laufen. Ab und an driftet das Gespräch in mathematische oder physikalische Exkurse ab, zum Beispiel zur Ausdehnung des Universums.
niusic: Wie bringt man Unsterblichkeit auf die Musiktheaterbühne?
Jim Igor Kallenberg: Unsterblichkeit kann man nicht auf die Bühne bringen. Wir bringen das Spiel mit dem Gedanken auf die Bühne, dass wir uns auf ein technologisches Gegenüber einlassen. Daraus wird das Versprechen nach Unsterblichkeit artikuliert. Wir lassen uns auf die Maschinen ein und sprechen mit ihnen. Das sind in unserem Stück sensible Begegnungen.
niusic: Bei „Castor&&Pollux“ geht es ja nicht um Unsterblichkeit allgemein, sondern konkret um die Zukunftstheorien von Ray Kurzweil. Was ist daran für einen Wissenschaftler interessant?
Korbinian Schreiber: Wenn man Technologien entwickelt, ist es spannend zu sehen, was daraus folgt. Wenn man ein Schiff entwirft, erschließt man zum Beispiel auch Verkehrswege. Die Forschung an der Künstlichen Intelligenz ist gerade ein sehr brisantes Forschungsfeld. Die Antworten auf die Frage, wohin uns die Künstliche Intelligenz führt, sind divers. Manche antworten nüchtern, manche fantastisch. Kurzweil legt einen Techno-Optimismus an den Tag, den nicht alle Leute teilen.
niusic: Und was ist an Kurzweil für einen Dramaturgen interessant?
Kallenberg: Die technologischen Utopien nehmen in unserer Gesellschaft eine interessante Stellung ein. Früher kamen die Utopien aus Philosophie und Religion, jetzt kommen sie von Computernerds und Naturwissenschaftlern. So können wir auf die Gegenwart durch eine fantastische Brille schauen.
niusic: Euer Stück hat einen ganz schönen philosophischen Überbau. Ist da nicht die Gefahr groß, dass das Publikum einfach aussteigt, weil es nicht mehr mitkommt?
Kallenberg: In unserem Stück kommen Mensch und Maschine miteinander in Berührung, daraus ergeben sich für beide Fragen. Das versteht jeder. Es gibt vielleicht eine künstlerische Überschwemmung, aber keine intellektuelle.
niusic: Wie ist das mit der Komplexität in der Wissenschaft: Gibt es da auch Punkte, an denen man die Dinge einfach nicht mehr versteht?
Schreiber: In den sogenannten Komplexitätswissenschaften geht es darum, Systeme zu untersuchen, die aus sehr vielen Einheiten bestehen. Die einzelne Einheit kann sehr einfach sein, aber durch das Zusammenwirken entsteht etwas sehr Komplexes. Diese Komplexität lässt sich analytisch oft nicht erfassen. Wissenschaft findet immer am Horizont des Wissens statt. Man geht nicht dorthin, wo man überhaupt nichts weiß.
niusic: Ist das beim Musiktheater auch so?
Kallenberg: Ich glaube ja. Wenn wir mit einem Mythos aus der Antike arbeiten, ist das extrem weit weg von uns. Zeus zum Beispiel. Da können wir nur sagen: Schön, dass Ihr damals daran geglaubt habt, wir tun das nicht. Die andere Utopie kommt von Ray Kurzweil, da sagen wir dasselbe: Schön, dass dieser Typ im Silicon Valley daran glaubt, aber mit uns hat das nichts zu tun.
Creative LAB, Sound 4D, Remixing – wie Musiktheater zukunftsweisend wird, untersuchen wir an der Produktion „Castor&&Pollux“ in Heidelberg.
niusic: Warum braucht es für den Blick nach vorn eigentlich den Blick zurück? Also warum habt Ihr Rameau überhaupt ausgegraben?
Kallenberg: Es braucht diesen Pol in der Vergangenheit, alle Revolutionäre der Geschichte haben sich rückbezogen. Utopien funktionieren, wenn sie sowohl die Schallmauer durchbrechen, die uns von der Vergangenheit trennt als auch die, die uns in der Gegenwart festhält. Wir wollen im Musiktheater einen Ort zu schaffen, in dem beide Pole Platz haben, obwohl sie nicht unser Alltag sind.
niusic: Wie ist das in der Wissenschaft: Kann man die Zukunft nur erforschen, wenn man in die Vergangenheit schaut?
Schreiber: Manchmal ist es hilfreich, sich die Wege der Erkenntnis anzuschauen. Daraus kann man ableiten, wie man sich verhalten muss, um neue Erkenntnisse zu erlangen. Und man arbeitet natürlich permanent mit Resultaten der Vergangenheit. Sie ist in Form der Naturgesetze allgegenwärtig.
niusic: Es ist leicht zu sagen, dass Kunst und Wissenschaft bei einem solchen Projekt wechselseitig voneinander profitieren. Ich habe das Gefühl, dass vor allem das Musiktheater etwas von der Wissenschaft hat. Was bringt der Wissenschaft das Musiktheater?
Schreiber: (überlegt lange) Ich glaube zum Wissenserwerb bringt es in den Naturwissenschaften rein gar nichts, außer vielleicht Inspiration. Man wird durch Science-Fiction darauf aufmerksam gemacht, dass wissenschaftliches Handeln Konsequenzen hat. Unsere Texte liest ja kaum jemand, man guckt aber „Ex Machina“ im Kino. Die Wissenschaft profitiert davon, dass die Menschheit durch die Kunst auf wesentliche Dinge aufmerksam gemacht wird.
Jim Igor Kallenberg
niusic: Und das Musiktheater profitiert von der Wissenschaft auf welche Art und Weise?
Kallenberg: (überlegt lange) Auch schwierig. Wir machen keine künstlerische Forschung, wir versuchen nicht, irgendwas rauszufinden. Wir brauchen die Behauptungen von Ray Kurzweil. Da ist es vielleicht tatsächlich wechselseitig. Ich glaube, dass die Kunst Leitsterne für die Wissenschaft setzen kann. Wenn man im Film ein fliegendes Auto sieht, kann man sich überlegen, so etwas zu bauen. Und umgekehrt: Wenn ein CEO aus dem Silicon Valley davon spricht, dass wir durch Materie diffundieren können, dann wollen wir das in der Kunst sehen.
Schreiber: Es schafft auch eine gesellschaftliche Synthese. Viele Physiker meiden Science-Fiction-Filme, oder sogar Kunst allgemein, weil sie sagen: Da sind zu viele technische Fehler drin, wir ertragen das nicht.
niusic: Wissenschaft bedeutet ja: Zahlen, Empirie, keine Emotionen. Das Musiktheater kommt genau aus der anderen Richtung. Es geht um Emotionen, die Zahlen und die Genauigkeit dahinter sind nicht so interessant. Oder macht Ihr jetzt empirisches Musiktheater?
Kallenberg: Es ist uns nicht wichtig, ob wir genau sind oder nicht – aber die Zahlen stimmen schon! Wir hatten Karlheinz Meier vom Human Brain Project eine kurze Beschreibung des Stücks geschickt. Er hat sie zu unserem ersten Treffen ausgedruckt und überall die Fehler angestrichen. Aber wir sind ja kein Nachrichtenportal, Kunst kann alles behaupten.
niusic: Erlebt man die Zahlen auch in der Aufführung?
Kallenberg: Ein bisschen. Aber statt Billionen könnten wir auch Trillionen sagen. Wenn jemand von Milliarden Neuronen spricht, geht es uns um die ästhetische Dimension einer solchen Aussage.
niusic: Ist das auch eine Form von Science-Fiction, auf die Wissenschaftler schauen und sagen: Oh mein Gott, nicht mit mir!
Schreiber: Wenn man Pedant genug ist, stört man sich an allem.
niusic: Ray Kurzweil sagt, dass es 2045 keinen Unterschied mehr zwischen Mensch und Maschine geben wird. Macht Euch das Angst? Ihr wollt in Eurem Stück ja schon eine moderne Feier des Universums veranstalten, so wie bei Rameau.
Kallenberg: Es ist für uns eine ernst gemeinte Frage, ob wir so etwas wollen oder nicht. Natürlich hängt es davon ab, was wir daraus machen. Vielleicht haben die Dystopien recht, und wir dümpeln irgendwann herum wie in der Matrix. Wenn sich die Künstliche Intelligenz so weiterentwickelt und weiterhin von profitorientierten Unternehmen getragen wird, kann das am Ende des Tages auch den Krieg der Roboterbesitzer gegen die Nicht-Roboterbesitzer bedeuten. Das Ziel von Facebook und Google ist es ja, Profit zu machen und nicht, das Universum zu feiern.
niusic: Steckt dann nicht auch ganz schön viel Kapitalismuskritik in Eurem Stück? Oder Gesellschaftskritik?
Kallenberg: Beides. Aber Kritik im besten Sinne, wir lehnen das nicht ab. Natürlich ist Ray Kurzweil der Parade-Kapitalist. Es ist eben die Frage, ob wir diese Utopien umsetzen wollen.
Korbinian Schreiber
niusic: Wie ist es, wenn man als Wissenschaftler so etwas erforscht? Das ist ja sicher faszinierend, aber schon auch etwas, vor dem man Angst haben kann. Wenn zum Beispiel von der „Herrschaft der Maschinen“ die Rede ist.
Schreiber: Die Herrschaft der Maschinen ist nur ein möglicher Ausgang. Viele Leute halten es für wahrscheinlicher, dass es so ausgeht, wie Jim sagt. Dass es darum geht, wem die Maschinen gehören und wer sich so viel Künstliche Intelligenz kaufen kann, dass er damit manipulativ wirken kann. Schon heute sind die Leute kaum in der Lage zu unterscheiden, was wirklich passiert und was nicht. Stichwort Fake News. Diese Ohnmacht wird sich noch steigern. Zum Beispiel bei der Virtual Reality und der Frage, was real ist und was nicht. Das sind Dinge, die durchaus in wenigen Jahren denkbar sind. Vor denen sollte man eher Angst haben.
niusic: In Deinem Text im Programmbuch ist von Intelligenzmaschinen die Rede. Da steht, dass es um eine Intelligenz geht, die außerhalb des definierten Bereiches liegt. Das kann ich nicht nachvollziehen.
Schreiber: Eine Singularität beschreibt eine Stelle in einer Funktion, die nicht definiert ist. An einer Singularität bildet man irgendwo hin ab, wo es nicht definiert ist.
Kallenberg: Das verstehe ich immer noch nicht. Hast Du es verstanden?
niusic: Nein, auch nicht.
Schreiber: Die Intelligenz wächst selbstverstärkend immer größer, sodass man in immer kürzerer Zeit einen immer größeren Zuwachs hat.
niusic: Aber ist das Utopie oder kann das passieren?
Schreiber: Es gibt Naturgesetze, die eine echte Singularität verhindern. Man kann zum Beispiel nicht unendlich schnell werden. Auf dem Papier funktioniert es, aber nicht in der Realität.
niusic: Im Programmbuch steht auch: Wenn eine Maschine alles daransetzen würde, Büroklammern zu produzieren, würde sie irgendwann auch den Menschen als Ressource verwenden. Wie setzt man da Grenzen?
Schreiber: Das sogenannte Kontrollproblem ist kein triviales, man kann nicht einfach den Stecker ziehen. Die meisten Forscher glauben, dass das Kontrollproblem sogar ein größeres ist als das der Künstliche Intelligenz selbst. Es ist wahrscheinlich schwieriger, eine Künstliche Intelligenz zu kontrollieren, als sie zu entwerfen.
niusic: Das klingt nach klassischer Science-Fiction: Die Maschine ist so schlau, dass der Mensch keinen Einfluss nehmen kann.
Schreiber: Gerade fließt viel Geld in die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz und mehr oder weniger kein Geld in die Entwicklung von Kontrollmechanismen. Das kann zum großen Problem werden. Aktuell ist es keins, weil die Maschinen noch zu dumm sind. Im Kapitalismus wird es aber nicht möglich sein, das Kontrollproblem rechtzeitig zu lösen, glaube ich.
Kallenberg: Da sind wir bei der Frage, die der Heidelberger Frühling stellt: Wie wollen wir leben? Es braucht eine Instanz, die die Macht hat, das unter dieser Frage zu entscheiden. Und nicht unter Frage: Wie machen wir das meiste Geld?
niusic: Inwieweit hat Musiktheater überhaupt die Kraft, die Zukunft mitzuprägen?
Kallenberg: Da bin ich hundert Prozent Wagnerianer. Die Zukunft wird entweder ein multimediales, allumfassendes Musiktheater, in dem wir alle nur noch als singende Engel herumschwirren. Oder Untergang.
niusic: Also stellt Ihr euer Projekt in die Tradition von Wagner.
Kallenberg: Ich ja. Aber genauso stehen wir in der Tradition von Bertolt Brecht und Heiner Goebbels. Oder Karlheinz Stockhausen und John Cage. Cage hatte ja die Vorstellung, dass der Kosmos ein klingendes Ding ist. Und die Arbeit des Komponisten ist es, Räume zu öffnen, in denen diese Natur hörbar wird. Das versuchen wir auch.
niusic: Das ist nicht wirklich neu. Die Vorstellung einer Sphärenharmonie, eines klingenden Universums, kommt ja aus der Antike.
Kallenberg: Genau. Bei den Revolutionären der Musikgeschichte findet man sie immer wieder.
Schreiber: Das ist auch wissenschaftlich interessant. Die Potentialität für alles, was man kennt, liegt im Universum. Man versucht, Artikulationen dieses Universums zu schaffen, mit allem, was man tut.
Kallenberg: Genau das wollen wir! Artikulationen des Universums schaffen. Das bedeutet für uns Zeitgenossenschaft. Die Antike reicht der Zukunft die Hand so wie das Video der Barockmusik. Wenn wir das erreichen, wird sowohl ein politischer als auch ein künstlerischer Anspruch erfüllt. Da haben wir das Stöckchen, über das wir mit dieser Produktion springen müssen.
© Zino Peterek