Von niusic Kollektiv, 18.12.2018

Jagd auf den Weihnachtsfrosch

Tradition mit Knalleffekt: Wir haben uns durch die neuen Alben zum Fest gehört und die fünf Schlimmsten für Euch ausgewählt.

Last Christmas – ist es ein Wunder, dass uns einer der erfolgreichsten Weihnachts-Popsongs schon im Titel ans letzte Jahr erinnert? Weihnachten ist nun mal, wie jede Tradition, die Wiederkehr des ewig Gleichen. Aber Variationen sind erlaubt und erwünscht! Wir haben also die aktuellen Weihnachtsalben durchstöbert und Euch unsere TOP 5 und FLOP 5 rausgesucht, Überschneidungen nicht ausgeschlossen. Nachdem letzte Woche die Highlights dran waren, folgen diese Woche – handverlesen vom niusic-Kollektiv – unsere fünf FLOPS.

ALDI lässt grüßen

Es beginnt wie ein schöner alter Weihnachtsstreifen. Warme Streicher und Glöckchen seifen die Gehörgänge ein. Ein Weihnachtsalbum von Rolando Villazón, gut, warum nicht?
Aber was ist das? Das flippige „Feliz Navidad“ klingt hier röhrend und dabei so zäh wie eine alte Nussprinte von ALDI. Und es wird nicht viel besser. Die Auswahl der Stücke orientiert sich am persönlichen Geschmack des ehemaligen Startenors. Mit jedem Stück verbindet der Tenor etwas aus seinem Leben. Eben auch mit dem Traditionsliedgut. Doch leider passen weder Timbre noch Gestus Villazóns zu „Oh Tannenbaum“.
Lieder in fünf Sprachen finden so den Weg auf die Platte. Villazón möchte damit alle Menschen nicht nur ansprechen, sondern „umarmen“. Doch wenn man zum Ende von „Morgen Kinder wird’s was geben“ zur Freude förmlich angeschrien, ja gedrillt wird, fühlt man sich nicht nur zu fest gedrückt, sondern auch mit feuchtem Kuss beschlabbert, wie von der einen Tante, die immer übertreibt mit der Herzlichkeit.



Und spätestens beim dritten Track des Albums, dem sowieso schon kitschfreudigen „Leise rieselt der Schnee“, fragt man sich, warum man sich ein so unglaublich ungeschicktes Duett wie hier von Weihnachtsfrosch Villazón und langweiligem Schwiegersohn-Popstar Sasha weiter anhören sollte.

Malte Hemmerich

Engel singen aus der Ferne

Klingeling und Plingplang über fellweichem Streicherteppich, dazu Hörner, natürlich ein Harfenglissando, und dann setzt auch noch ein Kinderchor mit Schellenbegleitung ein – allein das erste Stück auf „Christmas At The Movies“ („Somewhere In My Memory“ aus „Home Alone“) ist nach etwas mehr als einer Minute kaum mehr zu ertragen. Und viel besser wird es nicht.
Robert Ziegler dirigiert das Czech Philharmonic Orchestra durch Stücke wie „White Christmas“ aus „Holiday Inn“, „First Aid“ aus „Gremlins“ und „Walking In The Air“ aus „The Snowman“ in porzellanstarren Warenhaus-Arrangements, über die nachträglich noch Hall gebuttert wurde. Engel singen aus der Ferne. Lichterkettenlicht fällt durch die Spitzengardine. Rubato gibt’s extra, und bauchige Crescendi hin zu besonders dominantischen Stellen.



Selbstverständlich muss unter „Have Yourself A Merry Little Christmas“ aus „Meet Me In St. Louis“ leise ein Schlagzeuger auf jeder Viertel sanft mit den Besen über seine Snare streichen, während der Knabenchor sich in Terzen durch die Melodie schwingt, und ist kein Text mehr da, reicht auch der Vokal „a“. Wie schreibt Theodor W. Adorno in seinen „Musikalischen Werkanalysen“? Im Kitsch ist „Musik […] zum Bild der Mutter geworden, die sagt: komm und weine, mein Kind.“ Diese CD ist der Inbegriff aufdringlicher Süßlichkeit. Nun schau, wie schön alles ist! Carpe diem! Streu Glitzer auf dein Leben! Das Triviale lächelt uns verzerrt an.

Hannah Schmidt

Keine Alternative ...

In Spotifys Weiten stieß ich jüngst auf das:
20 Titel, der Güttler, „Der sagt mir doch was?“
Richtig, Die Virtuosi Saxoniae,
aus Dresden, der ehemal`gen Dädärä.

Doch nicht nur im Westen, auch im Osten: nichts Neues.
Schon nach zwei Bach`schen Titeln denk ich: „Ich bereu es!
Oh wie schleppt sich das lustlos dahin?
Da hat ja Karl Richter mehr Sinn!“

Entgeistert starr ich auf die Liste der Titel,
So ne Geldmacherei! Fehlen da denn die Mittel,
im Studio Neues zu schaffen,
Anstatt von den ollen CDs
sich einzelne Stücke
aus größeren Werken
in Hoffnung auf Zaster zusammenzuraffen?!



Die Noten, die Stimmen schon, gar keine Frage,
viele richtige Noten hört man alle Tage,
Doch wo bleibt da die Inspiration?
Die gehört doch zum guten Ton!

Am Ende hab ich es dann doch noch gepackt,
mich ganz durchzuhören – Was ein Kraftakt!
Und spreche ne Warnung aus, ihr lieben Leut:
„Hört was andres für eine fröhliche Zeit!“

Konrad Bott

Vermengt und durchgerührt

Glühpunsch oder Baumkuchenecke? Der Tenor Daniel Behle hat sich für sein Weihnachtsalbum richtig was einfallen lassen. Da warten nicht nur Schlittenrasseln an jeder Ecke: Behle pimpt traditionsreiche Melodien regelrecht zu Kunstliedern auf. Genrefetzen aus allen Richtungen werden beherzt vermengt und durchgerührt, Schuhplattler treffen auf Streichtrio-Arrangements und Schumann-Zitate auf Klingeltöne.



Das soll wohl Vielschichtigkeit suggerieren. Und an einigen Stellen kann man durchaus raffiniert finden, was Behle da arrangiert und singt. Am Ende schmeckt das Gemisch dann aber doch eher wie die Weihnachtsbowle, bei der niemand mehr so richtig weiß, was alles darin herumschwimmt: süß und klebrig. Wie schade drum.

Ida Hermes

Rodolfo das Rentier

Für Überraschungen zum Weihnachtsfest gilt: Top und Flop liegen nah beieinander. Wer den Überraschungseffekt inflationär gebraucht, legt sich die Latte zunehmend höher. Howard Arman und der Chor des Bayerischen Rundfunks karren unter dem Titel „More Christmas Surprises“ bereits zum dritten Mal einen ganzen Schlitten Unerwartetes herbei.



Keine Frage: Diese Arrangements sind alles andere als Stangenware. Was findet sich nicht alles in diesem Ideen-Feuerwerk! Wagners „Tristan“, Schwanensee, Liszt-Etüden, Zirkusmusik im „Winter Wonderland“ und sogar Rodolfo das Rentier als rhythmisch anspruchsvoll verschaltete Habanera mit „Kling-Glöckchen“-Fragment. Und dann wird auch noch der Güiro aus dem Schrank geholt! Man kann dieses Pasticcio reizvoll finden. Aber nach einer Stunde Overkill hat man dann doch das Bedürfnis, sich gründlich die Ohren zu putzen. Diese Musik treibt einem die Sternchen nicht vor die Augen, sondern in die Gehörgänge.

Jesper Klein

© Pixabay.com


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