Von Hannah Schmidt, 23.08.2018

Live-Löwen

Für ihr allererstes Album bekamen SPARK im Jahr 2011 einen ECHO in der Kategorie „Klassik ohne Grenzen“. Die Bezeichnung klebt seitdem wie ein Genre-Etikett auf dem Bandnamen. Trifft sie das, was die fünf Musikerinnen da machen? Ein Besuch in Frankfurt.

Unter den letzten Fortissimo-Takten spannen sich die Wände des Wohnzimmers wie das dünn gewordene Gummi eines Ballons, den man zu fest aufgeblasen hat. Es schrillt der Spitzenton der Piccolo-Blockflöte, das Klavier knallt, der Rest des Klangs ist kaum mehr zu identifizieren. Vielleicht sitze ich auf meinem Stuhl direkt hinter Andrea Ritter mit ihrem schneidenden Flötenmercedes auch etwas ungünstig, bei diesem exklusiven kleinen Probenbesuch. Die Musiker der Band SPARK tragen keinen Gehörschutz, nun, irgendwann braucht ihn ja selbst der Schlagzeuger einer Metalformation nicht mehr.

Hier aber wird nichts verstärkt oder geschrammelt, im Gegenteil: Andrea Ritter und Blockflötist Daniel Koschitzki, Violinist Stefan Balazsovics, Cellist Victor Plumettaz und Pianist Christian Fritz spielen als Kammermusikformation per definitionem akustisch. Sie feilen trotz vorgegebenem Höllentempo an jeder nur so winzigen Artikulation. Zahlreiche Abbrüche nehmen sie hin für die maximal mögliche rhythmische Präzision, sie schauen sich gegenseitig mit aufdringlich weit geöffneten Augen an, für die optimale parallele Gestaltung einer Phrase. Sie wollen ihn, den makellosen einen Guss. Selbst beim Proben agieren sie, als wäre der Raum die Carnegie Hall.

Eine Gigue 88 von Max Reger, bekannt aus der Solosuite op. 131C d-Moll für Violoncello, hat Victor Plumettaz im Arrangement für die ungewöhnliche Ensemblebesetzung kaum verändert. Trotzdem will man aufspringen, zwar nicht gleich lostanzen, aber sich irgendwie bewegen. Das sind wenige Minuten deutscher Spätromantik in Discolautstärke mit dem glutvollen Zug eines brasilianischen Tanzes.

  1. Wenn Komponisten Stücke wie Allemande, Courante und Gigue in einer Suite bündelten, dann waren diese barocken Tänze der alten Adelshöfe nicht mehr für das Tanzparkett bestimmt, sondern für den Konzertsaal. Aber auch die musikalischen Highlights aus Ballett und Oper finden in der kondensierten Form der Suite ihren Weg auf die Konzertpodien. (AV)



In zehn Bühnenjahren hatte die Formation nie so etwas wie einen klassischen Probenraum, denn es ging schließlich immer auch so: im Wohnzimmer der Eltern oder zu Hause bei einer der Musikerinnen. Hauptsache mit Flügel und ein bisschen Platz zum Bewegen. Denn ja, Andrea Ritter und Daniel Koschitzki fangen unterwegs nicht selten an zu tanzen. Hier bewegt sich irgendwie alles. Das Ensemble akustisch zu hören und zu sehen ist ein völlig anderes Erlebnis, als eine der fünf bisher erschienenen, repertoiretechnisch höchst unterschiedlichen CDs aufzulegen.

So smooth wie ein Saxofonmusik-Best-Of

„Folk Tunes“ von 2012 ist voller Volksweisen aus verschiedenen Ländern, auf „Wild Territories“ (2015) stehen dagegen Stücke von Kamran Ince und Chiel Meijering neben Werken von Georg Philipp Telemann und Antonio Vivaldi. Sie alle werden im Arrangement der Band sehr rockmusikalisch. Das vorletzte – „Facets Of Infinity“ – ist ein reines Album mit Stücken von Johannes Motschmann, die sich zwischen interessanten, atonalen Cluster-Repetitionen, neuartiger Kompositions- und Interpretationstechnik und weichwaberndem Meditation-Sphärenklang bewegen.

Meist klingen die Sachen überraschenderweise radiofertig und ziemlich glatt. Sie sind dann so smooth zu hören wie ein Saxofonmusik-Best-Of, das perfekt wäre für die Sammlung im Handschuhfach, als Klang, zu dem man das Gaspedal auf der Autobahn noch ein bisschen weiter nach unten drückt und an den Sommer denkt.

Ist ein Album wie „On The Dancefloor“ vielleicht sogar Popmusik?

Die ausgesuchten klassischen Vorlagen sind so kunstvoll als konsumierbare Häppchen zusammengestellt, dass man sich gleich zu fragen beginnt: Ist das überhaupt „Klassik“, wenn es sich so wahnsinnig entspannt und sogar im Stadium der totalen Unkonzentriertheit ohne Genuss-Verlust hören lässt? Oder geht ein Album wie „On The Dancefloor“ nicht vielleicht viel stärker in die Richtung popmusikalischer Ästhetik?



Damit trifft SPARK eine empfindliche Stelle am Musikhörer:innennerv, oder eben ganz viele verschiedene empfindliche Stellen: Die einen wehren sich gegen die Annahme, klassische Musik sei vor allem oder gar ausschließlich intellektuell verstehbar. Andere meinen „BEETHOVEN IST NICHTS ZUM ENTSPANNEN!“ Da gibt es den Glauben an das Kunstwerk, das so zu bleiben hat, wie es ist (Wie ist es denn?), und, mittlerweile genau so abgehängt, das Narrativ der „toten“ Klassik.

Andrea gründete SPARK zusammen mit Daniel und Victor.

Klassische Musik ist nicht tot oder museal

Spannenderweise greift Pianist Christian Fritz im Gespräch genau diese Formulierung auf, „die Klassik“ sei ja „irgendwie tot“, „abgepackt und luftdicht eingeschweißt“, vergleicht er. Kurz darauf gibt es Lasagne und ungarische Kirschsuppe auf dem Balkon, und er rudert ein bisschen zurück. Immerhin. Nein, klassische Musik ist nicht tot und auch nicht museal. Solange man aber alles, was vermeintlich alt müffelt, deshalb als Klassik bezeichnet und den Rest davon ausnimmt – naja. Dann wäre auch die Reger-Gigue keine Klassik mehr, obwohl so gut wie unverändert.

Macht man also die Kiste etwas weiter auf, erklärt sich einer der Grundgedanken der Formation von alleine: „Wir wollen Verbindungen herstellen zwischen der Musik früherer Jahrhunderte und der heutigen“, sagt Daniel Koschitzki. „Was wir spielen, ist nicht alt, völlig egal, was an Geburtsdaten in Klammern hinter dem Komponistennamen steht.“ Sie bringen die Punks des Barock und der Klassik zusammen mit den Punks der modernen Musik und des 90er-Pop. Irgendwie so. Und sei es ein aufmüpfiger junger Mozart neben einem Komponisten wie Michael Nyman, der aus Protest gegen die serielle Musik jahrelang kein einziges Stück schrieb.

„Ich glaube, die Leute sind nicht mehr intelligent genug, um großen Dramaturgien folgen zu können.“

Victor Plumettaz, Cellist

Es sei für sie einerseits ein ästhetisches Prinzip, kurze Stücke zu spielen, die nicht länger sind als vier oder fünf Minuten, sagt Daniel Koschitzki. Andererseits sei es aber auch eine kleine Kapitulation. „Ich glaube, die Leute sind nicht mehr intelligent genug, um großen Dramaturgien folgen zu können“, sagt Cellist Victor Plumettaz aus dem Hintergrund. Steile These. Scheinbar provoziert er gern. Von seiner Uni sei er zwei Mal fast geflogen, erzählt er, weil er sich mit Komponisten anlegte, deren Musik er für schlecht gehalten habe. Heute schreibt er einen großen Teil der Arrangements für SPARK, komponiert eigene Sachen, die das Ensemble aufführt, Stücke wie das sechszehntelrennende „Scotch Club“.



So ganz wehrt aber selbst er sich nicht gegen diese „Anpassung an den Geist der heutigen Zeit“, wie er sagt, doch: „Anbiederung soll es auf keinen Fall sein.“ So wirkt es auch nicht. Die Band macht quirligen Crossover, wie die Musiker ihn selbst gern mögen. Klassik Minus alles Unbequeme. Oder: „Kammermusik für die Facebook-Generation“, wie die ZEIT das Phänomen nannte – eigentlich treffend, wenn auch der Begriff „Facebook-Generation“ in die Irre führt. SPARK haben ihre Hörer nur zum Teil in der jungen Generation.

Wenige atonale Klänge wirken avantgardistischer, als sie sind

Die Programme an sich sind trotz der kurzen Einzel-Stücke dann doch mit größerer Dramaturgie über eine oder eineinhalb Stunden „komponiert“. Manchmal wird es für die Idee eines Moments atonal, und die wenigen Klänge wirken in dem ausgeklügelten Kontext viel avantgardistischer, als sie sind. Dann gibt es auch mal ein minimalistisches Stück wie „On The Dancefloor“ auf der gleichnamigen CD, was klingt wie Techno.



Überhaupt muss man das Repetitive mögen, wenn man SPARK länger als drei Songs hören will. Am Ende sind die Fünf dann doch kleine Traumwandlerinnen auf den Wegen, die sie mittlerweile blind kennen. So folgt auf Regers Gigue auf dem aktuellen Album eine sich minutenlang aufbauende „Dancing Queen“ von ABBA, danach kommen zwei Stücke von Michael Nyman, dann Mozart: die Sinfonia aus der komischen Oper „La finta semplice“ und drei Sätze aus dem Ballett „Les petits riens“.

Von der CD ist die Musik vor allem eins: harmlos.

Spätestens wenn der eigensinnige Klang der beiden Blockflöten hinzukommt, klingt alles nach SPARK. Die Band entgeht der Beliebigkeit, unter der manches Crossover schnell verblasst, durch den charakteristischen eigenen Sound. Dennoch ist die Musik, kommt sie aus dem Kompressor, meistens vor allem eins: harmlos. Was durchaus gut gemacht sein kann. Ein bisschen will die Band schließlich genau das sein: ein Tor, durch das man easy hindurch gehen kann, und sich irgendwann vielleicht im großen Sinfoniekonzert wiederfindet.

Als Vermittler gehen die fünf Instrumentalisten in Schulen, spielen Kindern und Jugendlichen verschiedener Klassenstufen vor. Manche von ihnen, erzählt Daniel Koschitzki, kämen direkt am gleichen Abend noch ins Konzert. Andere kauften sich auch schon Karten, um von einem Orchester einmal die ganze Sinfonie oder das ganze Konzert zu hören. Doch das wohl größte Kompliment machten der Band keine Jugendlichen, sondern zwei 80-Jährige. Nach dem Auftritt, erzählt Koschitzki, seien sie zu ihm gekommen und hätten beteuert, sich noch nie „so lebendig“ gefühlt zu haben. Zumindest in der Live-Wirkung hat SPARKs Konzept-Klassik also scheinbar wirklich keine Grenzen.

© Bartosch Salmanski
© Gregor Hohenberg


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