Von Max Rosenthal, 26.10.2017

Romantikantig

2016 gewann das Quatuor Arod den ARD-Wettbewerb. Nun folgt das CD-Debüt und propagiert einen romantisch angestrichenen Mendelssohn.

Ästhetik bei Mendelssohn ist kompliziert. „Wer Mendelssohn richtig spielen will, entsage aller Empfindsamkeit“, hieß es einmal von dem berühmten Pianisten Hans von Bülow, nachdem er in den Genuss von Unterricht bei Mendelssohn selbst gekommen war.

Emotional, aber wo es sich anbietet auch ungestüm und kantig.

Das Quatuor Arod schneidet auf seiner Debüt-CD einmal längs durch Felix Mendelssohn Bartholdys Quartettschaffen 117 , vom Jugendwerk op. 13 über das reife op. 44 bis zu den postum veröffentlichten Stücken für Streichquartett op. 81. An von Bülows Vorgabe halten sich die Musiker dabei allerdings eher nicht, sie gehen ihren Mendelssohn so an, wie es auch ein bisschen in Mode ist: emotional, aber wo es sich anbietet auch ungestüm und kantig.

  1. Sitzen vier Musiker zusammen und spielen … nein, nicht Karten, sondern ein Quartett. Die kleine Form ist flexibel und klingt trotzdem ausgewogen. Vor allem das Streichquartett gilt unter Komponisten als Königsdisziplin. Viele nutzten sie als Experimentierwerkstatt, in der sie bahnbrechende Ideen im Kleinen ausprobieren konnten. (AJ)

Insbesondere dem eröffnenden Quartett op. 44/II steht das von Anfang an enorm gut zu Gesicht. Vorsichtig tastet sich die aufsteigende Oberstimme in das Stück hinein, baut es auf, und dann entspringt aus dem Thema ein erregter Ritt – fast erscheint es gewagt, die Exposition zu wiederholen, so stark ist der Zug. Solche Tempostellen sind die große Stärke der Platte, besonders wenn sie unmittelbar auf intime Passagen treffen. Ähnlich gelungen sind die Kontraste im Scherzo ausgearbeitet. Plötzlich tun sich im Mittelteil Abgründe auf, die Begleitung bebt und profitiert dabei vom rauen, markigen Sound des Quartetts. So existentialistisch kennt man Mendelssohn doch gar nicht?



Über ihr feines Gefühl für Kontraste tönt das Quartett alle Stücke auch mit einem Schuss Beethoven ein, dem Mendelssohns Quartette op. 44 von der Machart her eigentlich fern stehen. Aber besteht darin nicht das große Missverständnis? Nur weil Mendelssohns Tonsprache einer formschön eleganten Ästhetik entspringt, heißt das nicht, dass seine Musik nicht ein bisschen romantisches Dunkel vertragen kann. Das Quatuor Arod dosiert genau richtig und arbeitet staubigen Vorurteilen entgegen – was von Bülow dazu gesagt hätte, weiß man zwar nicht, aber es passt.

Beinahe unnötig zu erwähnen, dass dieser Ansatz auch zum frühen op. 13 passt, in dem Mendelssohn sich an Beethoven abarbeitet. Der Schluss ist phänomenal: Aus einem Violinsolo, gespannt wie Glas kurz vor dem Springen, löst sich vollstimmig das Lied „Ist es wahr?“, auf dem Mendelssohn das ganze Quartett aufgebaut hat. Zwar ist es ein Durchatmen, aber kein erlöstes, sondern noch beklemmt und nachdenklich.



Eigentlich empfiehlt es sich, jetzt auszuschalten und das anschließende op. 81 später zu hören. Bei aller Qualität der Ausführung, kann es nach so einem Schluss nur ein Nachspiel sein, auch weil den postum zusammengesetzten Einzelsätzen der große, zwingende Bogen fehlt.

Leider schließt sich sogar noch ein Arrangement für Quartett und Gesang des besagten Liedes „Ist es wahr?“ an. So legt es dem Hörer die Worte geradezu in den Mund: Ist es wahr? Musste das sein? Ein Bonustrack ohne künstlerische Notwendigkeit. Sicher, das stiftet Kontext, aber den stiftet auch Google. Schwer verständliche Worte und die menschliche Stimme brechen zu hart mit der lange aufgebauten, wortlosen Quartettsphäre, um das zu rechtfertigen.



Lässt man das kleine Manko am Schluss beseite, über das man sicher auch streiten kann, empfiehlt sich das Quatuor Arod hier mit einer Aufnahme, die Mendelssohn so ernst nimmt, wie er es bisweilen mehr verdient hätte. Macht sie neugierig, was wohl als nächstes von diesem Ensemble kommt? Ja, das ist wahr!


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Felix Mendelssohn Bartholdy

Quartets op. 13, op. 44 No. 2, Four Pieces, Frage op. 9

Marianne Crebassa, Quatuor Arod

Erato/Warner Classics


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