Von Christopher Warmuth, 08.04.2016

Vivaldikonserve

Was für ein Wettrennen! Gustavo Núñez – seit 1995 Solofagottist im Concertgebouw Orchester in Amsterdam – hat sich in die Mitte der emsigen Academy of St Martin in the Fields gestellt und sie anschließend abgehängt.

Warum es eine solche Platte braucht, kann man nicht sagen. Sicherlich, die Aufnahmequalität der sechs Fagott-Konzerte von Vivaldi ist vom Feinsten, man wird von allen Seiten beschallt, als ob man selbst der Solist wäre. Klar wird auch, dass man Vivaldi huldigen will, er half dem Fagott aus dem Hilfsarbeiterstand zu einem Soloinstrument. Vivaldi hatte sicherlich noch mehr Baustellen als die Emanzipation des Fagotts: 46 Opern, 344 Solokonzerte, 93 Sonaten und Trios, 81 Konzerte mit zwei oder mehreren Solisten, 61 Sinfonien und Ripieno-Konzerte. Ein ungeheuerlicher Werknachlass. Dass hier nicht jedes Werk das Rad neu erfinden will, ist selbstverständlich. Das hat die Academy of St Martin in the Fields mit Vivaldi gemein, auch sie produzieren CD-Aufnahmen wie am Fließband, über 500 Aufnahmen sprechen numerisch für sich. Dass hier nicht jede Einspielung eine Referenzplatte wird, ist selbstverständlich.



In der Addition ergibt das im Vivaldi-Fall eine solide Werkpflege, es fehlt nur an existenzieller Verzehrung für den Gegenstand. In der Hälfte der Konzerte (RV 474, 477, 467) wird viel angedeutet, die Maschinerie kommt schleppend in Gang, die Stütze für den Solisten bricht weg, die riesigen Spannungsböden laden eher zum Zurücklehnen ein. Der Vivaldi-Schlager „La notte” wird natürlich auch neu aufgelegt, man rast über die Übergänge hinweg. Die Kluft zwischen Ensemble und Núñez ist zu groß: Er experimentiert, huscht durch den pechschwarzen Solopart, wird zum Rasenden. Das klingt wie ein überdimensionales Uhrwerk, das mit Leidenschaft zusammengebastelt wurde. Das Ensemble bleibt blass, verpatzt Übergänge und verzichtet auf spritzigen Elan. Zwei Konzerte (RV 488, 497) stechen heraus, vielleicht auch weil Vivaldi hier Neues wagt und der Kontrast sich erhöht. Die Musiker sind wagemutig, zeigen Courage bei den Akzenten, sie überdrehen die Werke zum Spektakel. Den Höhepunkt markiert der letzte Satz vom a-Moll-Konzert: Núñez macht aus Musik Rhythmus und aus Rhythmus Musik, er ist der Fels in der Brandung, die Academy bricht sich an ihm, setzt ihn unter Druck, will ihn überfluten. Alles schwappt über. Das ist Barockmusik und die Ausnahme auf der CD.


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Antonio Vivaldi

Bassoon Concertos

Gustavo Núñez, Academy of St Martin in the Fields

Pentatone

© Ronald Knapp


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