Von Anna Vogt, 08.04.2016

Voller Körpereinsatz

Augen auf bei der Berufswahl: Dass Dirigieren tödlich sein kann, hat schon Barock-Meister Lully am eigenen Leib erfahren.

Das hat sicher wehgetan! Plötzlich steckte er im Fuß, dieser unglückselige Taktstock. Im 17. Jahrhundert ähnelte der meist noch nicht den zierlichen Dirigierstöckchen, mit denen heutige Maestri ihre Orchester antreiben. Nein, zu Giovanni Battista Lullys Zeiten zwang man die Musiker bisweilen auch mal mit massiven Tambourstöcken zum Gleichmaß. Denn die waren wuchtig, schwer und nicht zu überhören. Nur blöd, wenn der Stock eben nicht krachend auf dem polierten Boden landete, sondern im fein beschuhten Fuß. Als Lully dies während eines Konzerts am 8. Januar 1687 in Versailles passierte, dirigierte er gerade mit ordentlich Schwung Motetten 67 . Und der Arbeitsunfall erwies sich als folgenschwer: Die Wunde entzündete sich, blieb unbehandelt. Im März 1687 starb Lully, der wohl berühmteste Kapellmeister des „Sonnenkönigs“ Ludwig XIV., mit 54 Jahren an Wundbrand.

  1. Viele Stimmen, viel Verwirrung?: Der Begriff beschreibt mehrstimmige, oft sehr komplexe Gesangsstücke durch die Jahrhunderte hinweg. Ob Machaut im Mittelalter oder Hindemith in der Moderne, sehr viele Komponisten nutzen und lieben die Motette. (MH)

Der ewige Kampf Wille gegen Natur endet in solchen Momenten auf drastischste Weise, und das vor großem Publikum.

Als „Götter im Frack“ umgibt Dirigenten oft eine Aura des Unantastbaren, Unsterblichen. Doch wie man gerade mal wieder am Beispiel des Übermaestro Nikolaus Harnoncourt beklommen feststellen musste, sind auch Dirigenten nicht sicher vor dem Tod. Harnoncourt immerhin ereilte er nicht während der Ausübung seines Berufs, sondern in ruhiger Zurückgezogenheit. Was gibt es Tragischeres und zugleich auf eigenartige Weise Tröstenderes, als wenn Dirigenten im Moment ihrer größten Macht, während sie über ein Heer an Musikern gebieten, größte Ohnmacht beweisen. Der ewige Kampf Wille gegen Natur endet in solchen Momenten auf drastischste Weise, und das vor großem Publikum. Als Brücke ins Jenseits dienen nicht selten üppige Verdi- oder Wagnerklänge, die vielleicht mit ihrer aufwühlenden Kraft nicht ganz unschuldig sind an dem einen oder anderen Herzanfall.

Überraschend oft ereigneten sich diese existenziellen Showdowns übrigens am Nationaltheater München: Felix Mottl erlitt hier 1911 im Alter von 54 Jahren (wie Lully!) während seines 100. Dirigats von Wagners „Tristan und Isolde“ einen Zusammenbruch, den er zwar überlebte, aber nur wenige Tage lang. Joseph Keilberth tat am gleichen Haus 1968 seinen letzten Atemzug am Dirigentenpult – und das ebenfalls während „Tristan und Isolde“! 1989 starb hier zudem, mit 57 Jahren, der italienische Dirigent Giuseppe Patanè während eines Dirigats, hatte sich aber mit Rossinis fröhlichem „Barbier von Sevilla“ einen etwas unpassenden Schwanengesang ausgesucht. Berühmtestes Beispiel seit der Jahrtausendwende: der italienische Dirigent Giuseppe Sinopoli, der 2011 eine Aufführung von Verdis „Aida“ an der Deutschen Oper Berlin nicht überlebte.

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