Von Malte Hemmerich, 17.03.2017

Nicht nur flotte Flöte

Wenn man Königin der Blockflöte ist, hat man eigentlich alles erreicht. Doch trotzdem steht Dorothee Oberlinger nicht still. Ein Porträt über eine Frau, die viel über Virtuosität und Musikalität nachdenkt und darüber, wie Alte Musik heute noch fesseln kann.

Text: Malte Hemmerich II Videos und Konzept: Thilo Braun, Malte Hemmerich

Sollte je ein Film über eine Teufelsblockflötistin in die Kinos kommen, man würde mit Sicherheit Dorothee Oberlinger die Hauptrolle anbieten. Elegant betritt sie in schwarzen Kleidern die Bühnen der Welt, bei ihren irrsten Läufen auf dem Instrument stehen Augen und Ohres des Publikums erstaunt offen. Nahezu keine Rezension kommt ohne den Satz „sie beweist, wie virtuos die Blockflöte sein kann“ aus. Die Rolle der Teufelsflötistin würde sie wohl trotzdem ablehnen. Warum?

1969 geboren, ist Oberlinger „nebenbei" noch Professorin am Salzburger Mozarteum und Intendantin eigener Barockfestspiele in Bad Arolsen. Alles begann bei ihr mit einem bodenständigen Studium der Germanistik und Schulmusik. Erst einige Jahre danach kam das Blockflötenstudium hinzu, unter anderem in Köln und Mailand, Soloauftritte und CD-Aufnahmen folgten. Auf den ersten Blick beinhaltet ihre Diskografie nichts Ungewöhnliches. Mal entdeckt sie auf den Alben bislang unbekanntere italienische Flötenmusik, mal widmet sie sich ausführlicher den bereits etablierten Komponisten, Telemann zum Beispiel. Doch selbst mit solch berühmten Größen beschäftigt die Flötistin sich nahezu manisch. Immer steht viel Kopf, viel Planung hinter den Programmen, Oberlinger schreibt alle Texte für ihre Booklets selbst. Und berichtet im Gespräch dann durchaus mal aus dem Stand und mit glänzenden Augen von den Flötenstunden eines Johann Joachim Quantz.

Immer wieder findet Dorothee Oberlinger die Zeit zur intensiven Beschäftigung mit neuen Programmen, die sie selbst sorgfältig auswählt, recherchiert und realisiert. Denn eines hat die Flötistin erkannt: Das Zirkuspferd „Schnellspielen“, mit dem sie den Publikumsmassen bekannt geworden ist, kann man schnell zu Tode reiten.

Auf Oberlingers neuem Album „Rococo“ finden sich viele leisen, zarten Töne und zwar gleich zu Beginn. Da hört man eine typische Oberlinger-Entdeckung, einen luftigen Variationszyklus von Gottfried Finger, Kapellmeister und Musiker am Berliner Hofe. Herzstück ihrer neuen CD nennt Oberlinger selbst die Triosonate von C.P.E. Bach, in der Bratsche und Blockflöte sich beinah ununterscheidbar mischen: ein dunkler, ungewohnter Ton, den die Musikerin ins Unheimliche und Geisterhafte kehrt. Ein Album weit ab von innovativen Experimenten eines coolen Jean Rondeau oder Teodor Currentzis rockiger Rameau-Häppchenkultur.



„Wir müssen das Publikum erziehen!“

Dorothee Oberlinger

„Ich glaube, dass Alte Musik nicht immer mithalten muss!“, sagt die Frau in Schwarz. Zwanghaft cool und gefällig sein, nur um die kurze Aufmerksamkeitsspanne des Publikums zu erhaschen, sei keine Lösung. Und dann ein streitbarer Satz: „Wir müssen das Publikum erziehen!“ Also: kein Einknicken bei der Konzertlänge, keine erzwungen lockeren Umgebungen. Die klassische Musik nicht verwandeln und anpassen, sondern als etwas Ursprüngliches, Wunderbares belassen. „Alte Musik war früher oft ein Innehalten, in sich gehen, heute könnte man das als bewussten Gegensatz zu unserer schnelllebigen Zeit nehmen“, dafür möchte Dorothee Oberlinger stehen. Und eben deshalb zum Hinhören zwingen, auch wenn die Töne mal leiser und auf den ersten Blick unspektakulärer sind.

So wie beispielsweise in den unnachahmlichen Rückungen der e-Moll-Sonate, erneut ein C.P.E. Bach-Werk, in dem in jedem Takt gefühlte Stimmungswechsel über den Hörer hereinbrechen. Die bringt Oberlinger grandios zutage, zart und weich und doch hintergründig schauderhaft.



Der neuesten Aufnahme ist in jeder Pore anzumerken, dass die Stücke Dorothee Oberlinger sehr am Herzen liegen, sie hat einen besonderen Bezug zu ihnen gefunden. Neben den Konzertwerken eines Johann Christoph Schultze oder Ernst Gottlieb Baron, die sicherlich nur absoluten Kennern der friderizianischen Hofmusik in Potsdam und Berlin ein Begriff sind, gibt es sie auch hier: Solostücke, die durch rein spielerisches Können verblüffen. Weniger wegen ihrer schnellen Achtelketten, sondern dem feinen Ansatz und der kristallenen Verzierungen, Dinge, die Oberlinger im Gespräch immer wieder selbst in den Mittelpunkt ihres Rococo-Konzepts stellt.