#akkordarbeit
Klängen auf den Grund gehen, der Musik näher kommen. Die niusic-Themenreihe wirft einen Blick durch die Brille der Interpret:innen und sucht im Kleinen neue Perspektiven auf das große Ganze.
Klängen auf den Grund gehen, der Musik näher kommen. Die niusic-Themenreihe wirft einen Blick durch die Brille der Interpret:innen und sucht im Kleinen neue Perspektiven auf das große Ganze.
niusic: Euer Schumann Quartett widmet Franz Schubert ein neues Album. Als kleiner Vorgeschmack ist jetzt schon das Streichquartett Nr.13 in d-Moll, die sogenannte „Rosamunde“, online verfügbar, ein wehmütiges, melancholisches Stück. Steht es stellvertretend für das Album?
Ken Schumann: Das würde ich nicht sagen. Die frühen Quartette in B-Dur zum Beispiel hat Schubert in einer ganz anderen Lebensphase geschrieben. Sie sind viel optimistischer.
niusic: Inwiefern?
Ken: Das Spätwerk, zu dem das Rosamunde-Quartett gehört, das ist der reife Schubert, wie wir ihn kennen. Im Vergleich dazu wirken die früheren Quartette fast naiv. Hier merkt man vor allem noch die Einflüsse anderer Komponist:innen, besonders von Haydn und Salieri, von Mozart, vielleicht auch noch etwas Beethoven. Schubert hat natürlich, wie jeder Mensch, eine Entwicklung durchgemacht, das ist gar keine Frage. Aber manche Dinge benutzt er in seinem Spätstil weiter. Nur in einer anderen Intensität.
Klängen auf den Grund gehen, der Musik näher kommen. Die niusic-Themenreihe wirft einen Blick durch die Brille der Interpret:innen und sucht im Kleinen neue Perspektiven auf das große Ganze.
niusic: Mit den drei im Jahr 1824 begonnenen Quartetten wollte sich Schubert den „Weg zur Symphonie“ bahnen. Ist ihm das gelungen? Schließlich bleibt im gesamten Stück das Liedhafte als Prinzip hörbar.
Ken: Schubert und das Lied, das ist eine Seele. Das ist unzertrennlich. Und es geht nahtlos in die Instrumentalmusik über. Schubert hat sich dafür an seinen eigenen Liedern bedient, er hat sie ganz bewusst ausgewählt und eingesetzt.
Ken Schumann
niusic: Zu welchem Zweck?
Ken: Es geht immer um die Frage: Wo bist du? Und um Sehnsucht. Bei den Romantikern, besonders bei Schubert, wird das fast zu etwas Tagträumerischem. Das hat ja jede:r von uns, auch heutzutage! Man muss mit ansehen, wie die Welt so langsam verrückt wird. Da hat man immer diese Sehnsucht nach einer besseren Welt. All diese Hoffnungen, Wünsche, Träume stecken bei Schubert in jeder Note. Und das spüren wir.
niusic: Das Stück entstand vier Jahre vor Schuberts Tod, viele wollen darin eine Auseinandersetzung des Komponisten mit Vergänglichkeit, Tod und Erlösung lesen.
Ken: Ich bin immer ein wenig vorsichtig, wenn es darum geht, etwas in ein Stück hineinzuinterpretieren. Musik ist doch etwas Subjektives. Die einen hören die Vergänglichkeit des Seins, die anderen sehen darin einen Kampf zwischen Licht und Schatten. Ich würde nicht behaupten, dass das Eine stimmt und das Andere nicht. Wenn jemand beim Hören bestimmte Bilder vor Augen hat, dann hat das schon seine Berechtigung.
Über die „Rosamunde“
niusic: Musikalisch lebt das Werk ja ohnehin von zwei Grundkonflikten: den Gegensätzen zwischen Dur und Moll sowie denen zwischen Lied und Kontrapunkt. Wie spielt man das?
Ken: Das Stück beginnt in Moll, mit diesem zitternden Orgelpunkt von Violine und Bratsche. Dann kommt eine schwelgerische Melodie dazu, allerdings mit Eintrübungen. Und plötzlich lichtet sich alles ins Dur! Man denkt: So kann es weitergehen. Aber Schubert bricht das ab, mit einem krassen d-Moll-Akkord! Er reißt hier knallhart, ohne Vorankündigung, die ganze Fassade dieser schönen Welt mit dem Brecheisen ein. Bei unserer Aufnahme haben wir versucht, genau das deutlich zu machen: Da bleibt die Zeit stehen.
niusic: Eine romantische Brechung, wie sie für Schuberts spätere Quartette typisch ist.
Ken: Schubert kämpfte immer mit sich selbst. Ich will nicht sagen, dass er Minderwertigkeitskomplexe hatte, aber er war wahnsinnig streng mit sich. Er schreibt ja in seinen Briefen, man solle seine früheren Quartette vergessen. Er war ein Künstler, der immer mit sich gerungen hat. Vielleicht ist es gerade das, was wir an seiner Musik so lieben. Wie kein anderer Komponist hat er sein Innerstes, seine Seele offengelegt. Wir fühlen uns ihm sofort nah, als würde er neben uns sitzen. Wenn wir seine Werke hören, ist es, als wäre Schubert wirklich hier und mit auf der Bühne.
niusic: Was macht Schuberts Musik so nahbar?
Ken: In Takt 33, wo die erste Geige alleine bleibt, das ist ein Nachseufzen, ein Nachhorchen. Mir fällt es schwer, das in Worte zu fassen, weil es sich in einem nonverbalen, transzendenten Bereich abspielt. Anders ist es zum Beispiel bei Beethoven. Ihm kann man sich über die Struktur und die Form nähern. Über die Architektur. Bei Schubert ist das viel menschlicher, ihm ist der Ausdruck wichtiger als irgendwelche Regeln. Man kann das intellektuell nicht wirklich fassen, man kann das nur auf sich wirken lassen.
niusic: Wenn so viel vom eigenen Empfinden abhängt, ihr das Stück aber zu viert spielt: Wie findet ihr da einen gemeinsamen Zugang?
Ken: Das braucht Zeit und Erfahrung. Wir haben das Werk natürlich sehr oft auf der Bühne gespielt und auch nach den Konzerten darüber gesprochen. Am Anfang befinden wir uns alle auf einer anderen Ebene, aber es pendelt sich dann langsam ein. Letzten Endes entscheidet sich vieles in diesem einen Moment, in dem das Werk anfängt zu leben. Auf der Bühne, im Konzert. Da ergeben sich viele Fragen einfach von selbst. Das ist ein homogener, natürlicher Prozess. So hat sich das Werk bei uns über die Jahre hinweg entwickelt. Deshalb haben wir jetzt auch entschieden, es aufzunehmen: Wir haben einen guten Punkt erreicht. Und im Nachhinein machen wir bestimmt wieder viele Sachen anders.
Ken Schumann
niusic: Bei der Uraufführung 1824 soll das Menuett besonders viel Beifall erhalten haben. Welche Stelle des Quartetts magst du am liebsten – und warum?
Ken: Das ist so, als würdest du mich fragen, welches meiner Kinder ich am meisten liebe! Es ist tatsächlich tagesformabhängig. Der zweite Satz ist natürlich göttlich, wie er so friedlich anfängt, so losgelöst, schwärmerisch. Da kommt ganz klar das Utopische zum Vorschein: Hier ist die Welt noch in Ordnung. Schubert nimmt uns mit in seine Traumwelt, in der es keinen Schmerz gibt. Man fliegt einfach über alles hinweg. Das Thema hat er auch in der Schauspielmusik und in seinen Imptomptus verarbeitet. Aber ich finde, von allen Varianten ist die des „Rosamunde“-Quartetts am schönsten. Und ich sage das nicht nur, weil ich der zweite Geiger bin! Es ist einfach eine so schöne Welt, die sich da auftut! Okay, sagen wir einfach, das ist für heute meine Lieblingsstelle. Das ist ja das Tolle: Du hast so viele Lieblingsstellen und wenn du dann das ganze Werk im Konzert hörst, gehst du auf eine große, tolle Reise.
Das Schumann Quartett
Von Kindesbeinen an machen die Brüder Erik, Ken (Violine) und Mark Schumann (Violoncello) gemeinsam Musik. Als sich ihnen 2012 die Bratschistin Liisa Randalu anschloss, nahm das Schumann Quartett Kurs auf die Veröffentlichung ihrer Debüt-CD, die im April 2013 erschien. Seitdem nimmt der Preisregen kein Ende, Konzerttourneen führen das Ensemble durch ganz Europa bis in die USA. Vier weitere Studioalben sind hinzugekommen, ein sechstes wird im Spätsommer diesen Jahres erscheinen. Neben der „Rosamunde“ werden darauf Franz Schuberts Quartett D-Dur D 74 (1813), der Quartettsatz c-Moll D 703 sowie das „Andante“ aus dem Sinfonie-Fragment D-Dur zu hören sein. Sein Wunsch sei es, sagt Ken Schumann, „die Begeisterung und die Liebe zu diesen Werken, zum Komponisten, an das Publikum weiterzugeben“.