Von Ricarda Natalie Baldauf, 10.03.2017

Schlimmer Finger

Robert Schumann hat es mit seinem Ehrgeiz auf die Spitze getrieben. Um seine Finger zu Höchstleistungen zu zwingen, hat er selbst eine schmerzhafte Übe-Konstruktion ausgetüftelt.

Das klingt nach Folter: Fingerspanner und -schweller, Handleiter und Trillermaschinen. Dass jemand diese Gerätschaften einmal freiwillig einsetzte, um seine Pianistenfingerchen zu trainieren, flott und dehnbar zu triezen, ist eine schauerliche Vorstellung. Robert Schumann baute sich selbst so eine Maschine und hatte mit den irreparablen Folgen zu leben.

„Herr Dr. Schumann kann beim Pianospielen den Mittelfinger gar nicht, den Zeigefinger nur unvollkommen gebrauchen.“

Dr. Moritz E. Reuter

Der junge Schumann möchte, über die Maßen fasziniert vom Teufelsgeiger Niccolò Paganini, Klaviervirtuose werden. In den Jahren um 1830 stürzt er sich ins exzessive Üben, doch dem Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand fehlt es schon seit seiner Jugend an Kraft und Gelenkigkeit. Schumanns Ehrgeiz driftet in die Absurdität, als er die schlimmen Finger durch eine an der Tastatur oder Zimmerdecke befestige Schlinge ruhig stellt und mit den anderen übt. Wie das Selfmade-Trainingsgerät genau ausgesehen hat, können wir heute nur noch vermuten. Am 22. Mai 1832 jedenfalls, Schumann ist erst Anfang 20, notiert er in seinem Tagebuch: „Der [dritte] Finger scheint wirklich uncorrigible.“ In einem Gutachten, das erst nach dem Tod des Komponisten auftaucht, stellt der befreundete Arzt Dr. Reuter außerdem fest, dass die Finger „rücksichtlich der Bewegung dem Willen nicht mehr unterworfen waren (…) daß Herr Dr. Schumann beim Pianospielen den Mittelfinger gar nicht, den Zeigefinger nur unvollkommen gebrauchen kann, einen Gegenstand aber mit der Hand zu fassen und fest zu halten gänzlich außer Stand ist.“

Im Verlauf der nächsten Jahre breitet sich die Schwäche über die rechte Hand bis in den ganzen Arm aus. Schumann versucht noch sie zu retten, badet die Hand Tag für Tag im „warmen Branntweinspülig“, wickelt den Arm des Nachts in Kräuterverbände und lässt sich sogar von einem gewissen Dr. Otto mittels Elektrizität behandeln, doch all das hilft nichts.

Dass manch ein Pianist heutzutage nur noch den harmlos anmutenden „Gripmaster Fingertrainer“ aus Plastik benutzt, um seine Finger zu kräftigen, ist beruhigend. Das Virtuosentum aber, das den Musiker wie eine Art transzendentales Wesen erscheinen und uns als Zuhörer fassungslos den Mund aufstehen lässt, das bleibt. Genauso wie der Tribut, den es fordert.

© Zeichnungen von Emile Beau aus "L'anatomie de la main", Paris 1846
© Josef Kriehuber/Wikimedia Commons


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