Von Konrad Bott, 14.02.2019

Graswurzelbiopsie

Education-Programme für klassische Musik sprießen wie Pilze aus dem Boden. Zwischen Blendwerk und Goldstück finden sich dabei viele Schattierungen. „Rhapsody In Concert“, ein Ableger von „Rhapsody In School“, ist ein vielversprechendes Projekt, das Schüler zu Moderatoren von Konzertabenden macht.

Der Blick vom Rang zur Bühne – durchs Display. „Das ist für Snapchat.“ „Nein, Instagram!“ „Nein, Mann, Snapchat!“ „Warum machst du`s für Snapchat?“ Jonathan greift blitzschnell nach Souhails Handy, doch der zieht es zurück unter den gepolsterten Stuhl. Sie ringen miteinander, lachen. Die Ausgelassenheit tut Not nach zwei Stunden Moderationstraining und einer weiteren, die vor ihnen liegt. Hier im Mozart-Saal der Alten Oper Frankfurt bereiten sich die beiden Siebtklässler auf das Konzert am 14.2. vor, das sie zusammen mit Anna, Alina, Amelie und Claimy, den Mädchen aus der Oberstufe, moderieren sollen. Sowohl sie, als auch die Mädels, die gerade im Parkett rumhängen, kommen von der Musterschule – „kein Scheiß, das Gymnasium heißt so, ehrlich." Beteuern, Kichern.

„Hab eigentlich nichts mit Klassik zu tun.“

Souhail, 7. Klasse

„So, meine Damen und Herren, kommt Ihr bitte wieder her?“, ruft Micha Häckel mit dem höflichen Nachdruck des Lehrers, der seine Schäfchen zusammenhalten muss. Zusammen mit HR2-Moderatorin Imke Turner und dem Leiter des „Pegasus“-Education-Programms Tobias Henn versucht er, die Schüler für das Rhapsody In Concert-Programm fit zu bekommen. Ein absoluter Crash-Kurs, der von allen Beteiligten ernst genommen wird, auch wenn Souhail und Jonathan momentan noch nicht den Eindruck machen, als würde ihnen das da auf der Bühne so viel bedeuten. „Weiß nicht“, meint Souhail und nestelt an seiner modischen blau-schwarzen Brille, „hab jetzt nicht so viel mit Klassik zu tun." Kurzes Schweigen, ein Blick auf die Scheinwerfer. „Wahrscheinlich mach ich mir am Donnerstag vor Angst in die Hose!“ Er lacht.

Bach, Beethoven, Schubert, Piazzolla, Plumettaz – das Konzertprogramm ist so bunt wie die Moderatorengruppe selbst: Anna, nachdenkliche Augen hinter der randlosen Brille, hat sich zum Projekt gemeldet, weil sie selbst absoluter Klassik-Fan ist. Alina, die selbstbewusste Theatererfahrene, will ihre Bühnenpräsenz trainieren. Für die erwachsen wirkende Claimy, die vor fünf Jahren aus Südafrika nach Deutschland gekommen ist, wäre es leichter, auf der Bühne Französisch oder Englisch zu sprechen. Und Amelie schließlich, zurückhaltend, hochgewachsen, ist interessiert, wie es sich anfühlt, auf der Bühne den Erwartungen des Publikums ausgesetzt zu sein. Das Publikum aber fehlt noch, ebenso die Musiker. Deshalb bleiben die lästigen Notwendigkeiten der Probe – Auftritt, Abgang, Aufstellung – doch sehr theoretisch. Man beklatscht sich, posiert als Ensemble. „Denk dran: Du machst was Schönes! Raus mit der Brust, hoch mit der Nase!“, feuert Imke Turner den auf die Bühne schlurfenden Souhail an. Mit ihrer fröhlichen Autorität schafft sie es tatsächlich, ein Stück der Ernsthaftigkeit des bevorstehenden Konzertabends im Saal spürbar zu machen.

Turner ist sich des minimalen Zeitrahmens bewusst und hakt effektiv ein. „Würde ich mit denen anfangen, Atemübungen zu machen, würden wir ja gar nicht zu den Texten kommen“, sagt sie. Bühnenmoderation ist eigentlich eine Angelegenheit, die selbst redegewandte Hochschulstudenten ohne Weiteres einige Semester beschäftigen kann. Hier aber gibt es genau zwei Termine: Probe und Generalprobe. Dass da keine Hektik aufkommt, ist bemerkenswert. Die Texte, die die Jugendlichen selbst verfasst haben, die Fragen, die sie für die Künstler bereit halten, sind kurz, knackig, ehrlich. Es geht nicht wirklich um informativen Gehalt, sondern um den Auftritt, und das ist sehr gut. Niemand versucht hier eine Rolle zu spielen. Die meisten Probleme macht die Schriftsprache. Dass die nämlich gesprochen peinlich klingt, merken die Schüler selbst. „Sag`s mir einfach. Sag`s mir in Deinen Worten!“, ruft Imke Turner mit breitem Lächeln der auf der Bühne an ihren Aufzeichnungen nestelnden Claimy zu.

„Das Schlimmste ist, sich anzubiedern.“

Tobias Henn, Leiter des „Pegasus“-Programms

„Das ist wirklich wichtig – wir müssen die Kinder ernst nehmen und sie gleichzeitig fordern“, sagt Tobias Henn, der das Pegasus-Projekt der Alten Oper maßgeblich konzipiert. „Das Schlimmste ist, sich anzubiedern. Es gibt nichts Grauenhafteres als Erwachsene, die glauben zu wissen, was die Jugendlichen toll finden. Das muss man schon sie selbst entscheiden lassen.“ Henn geht es bei der Konzeption nicht darum, Schulklassen ranzuschaffen, nur um den Besucherstrom aufrecht zu erhalten. „Ich kann hier am Haus,“ stellt er dankbar fest, „fast alleine exklusive Jugendprogramme entwickeln und umsetzen. Und das Vertrauen, das mein Chef mir entgegenbringt, bringe ich den Kindern entgegen. Das ist das Wichtigste, auch für so ein Projekt wie die Moderationen: Vertrauen in die Kinder und Jugendlichen, dass sie, wenn sie da sind, auch was Tolles schaffen.“ Das ist nicht immer einfach. Die jugendlichen Moderatoren sind skeptischer, als man es von jüngeren Kindern gewohnt ist – verschränkte Arme statt glänzender Augen. Nichts, was Tobias Henn verunsichern würde. „Die machen das schon!“, lächelt er.

Die Alte Oper Frankfurt

„Rhapsody In School“-Koordinatorin Sabine von Imhoff im Interview:

Tobias Henn scheint wie die Leiterin des Projekts „Rhapsody In School“, Sabine von Imhoff, an die Strahlkraft der musikalischen Jugendarbeit zu glauben. Zurecht insofern, als dass kulturelle Bildung ein notwendiger Wirbel im Rückgrat menschlichen Lebens ist, auch wenn ihre Rentabilität sich selten Schwarz auf Weiß zeigt. Nimmt man sich die klassische Musik aber im Besonderen vor und fragt Schüler*Innen wie Alina, Jonathan und die anderen nach deren Bezug zu Beethoven und Co., erntet man verhaltenes Grinsen und die Auskunft: Nein, eigentlich gibt es den nicht. Nur muss halt Klassik spielen, wer ein Instrument lernen will. Eine der sechs, Anna, sieht das anders, Amelie meint zumindest, das ein oder andere Klassik-Stück sei auch ganz entspannend zu hören, einfach so. Was der klassischen Musik denn fehlen würde? „Selbstvermarktung!“ schießt es aus Jonathan, dem Siebtklässler, hervor. „Ist doch klar, wenn die Künstler sich nicht mit ihrer Personality vermarkten, Merchandise verkaufen, dann gehen sie unter, werden nicht wahrgenommen.“ Und dann fällt der Name: „David Garrett – den kennt man schon, ansonsten ...“, er zuckt entschuldigend, beinahe mitleidig mit den Schultern.

Die Erziehungsaufgabe sollte nicht nur den Pädagogen zugeschoben werden.

Der Weg, den „Rhapsody In Concert“ und das „Pegasus“-Programm der Alten Oper gehen, ist richtig und wichtig. Auch wenn es etwas sportlich ist, eine Bühnenmoderation innerhalb zweier Sitzungen auf die Beine zu stellen, wird der Abend sicherlich ein unvergessliches und positives Erlebnis für die Schüler. Sie haben die beste Unterstützung erhalten und vielleicht bleibt ja doch noch eine oder einer von ihnen an der Klassik kleben, so sehr sie das nach der ersten Probe auch bezweifeln. Derlei Education-Projekte haben keine Messianische Wirkung – seien sie auch noch so aufrichtig und professionell gestaltet. Sie sind kein Wundermittel gegen den Dunst des Altbackenen, der, so formulieren es die vier Mädchen des Musikleistungskurses selbst, der Klassik nach wie vor anhaftet. Wer nicht schon als Kleinkind wahrnimmt, was diese Kunstform, vom Madrigal über die Sonate bis hin zur Sinfonie, bedeutet, was sie bewirken kann, dem erschließt sich diese Welt einfach schwerer. Die Erziehungsaufgabe sollte hier nach wie vor bei den Eltern liegen und nicht – wie so vieles andere – nur den Pädagogen zugeschoben werden.

© Alte Oper Frankfurt / Norbert Miguletz
© Alte Oper Frankfurt / Achim Reissner / Salar Baygan
© Alte Oper Frankfurt / Moritz Reich


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