Von Jesper Klein, 25.01.2018

Haus-Musik

Mit Ludwig van Beethovens 25 Schottischen Liedern rückt die Beethoven-Woche Volksmusik in den Mittelpunkt. Aber wie baut man um ein fast gänzlich unbekanntes Werk ein Kammermusikfest auf?

Viele Werke von Ludwig van Beethoven sind bis ins Unendliche mit Mythen aufgeladen. Die 25 Schottischen Lieder für Singstimme und Klaviertrio 255 sind es nicht. Ganz im Gegenteil: Sie gehören vielmehr zum vergessenen Repertoire, das in der Regel nicht aufgeführt wird. Dass das Beethoven-Haus Bonn für sein alljährliches Festival, die Beethoven-Woche, ausgerechnet dieses Werk in den Mittelpunkt stellt, ist mutig, aber auch der Musikgeschichte geschuldet. Denn das Festival verfolgt den Ansatz, sich nach dem zu richten, was vor genau 200 Jahren in Beethovens Leben passierte. „1818 war kein besonders ergiebiges Jahr“, erzählt Tabea Zimmermann, renommierte Bratschistin und die künstlerische Leiterin des Festivals. Was tun? Also machte das Festival aus der Not eine Tugend.

Die Idee eines solchen Werk-Festivals ist nicht neu. Zum fünften Mal verfolgt das Beethoven-Haus das Konzept, aus einem Werk eine Idee herauszulösen und um sie herum ein Programm zu erstellen. Mit dem Oberthema Volksmusik sind die Möglichkeiten in diesem Jahr zahlreich, denn Volksmusik, vor allem Volkslieder 267 , dienen auf ganz verschiedene Weise als Quelle für Kunstmusik. „Mit den Liedern können wir uns große Freiheiten nehmen“, sagt Zimmermann, „wir können wie von einem Baum ausgehend weiter verästeln“. Verästelungen die sich schon beim ersten Blick auf das Programm offenbaren: Joseph Haydn, Béla Bartók, Charles Ives, Luciano Berio. Mit Beethoven selbst hat das teilweise nicht mehr viel zu tun. „Ich könnte nicht sagen, inwiefern der Berio, den ich gestern gespielt habe, sich auf Beethoven bezieht“, sagt Zimmermann.

  1. Drei Musiker spielen zusammen, schon sind sie ein Trio. Ob Klaviertrio mit Klavier, Geige und Cello – die wohl bekannteste Trio-Formation – oder drei Alphörner: Der Begriff Trio ist da recht flexibel. Neben der Besetzung benennt er auch die Werke an sich: Ein Klaviertrio spielt ein Klaviertrio. Verwirrend? Nicht wirklich. (AV)

  2. Der Kit einer jeden Gesellschaft! Sie haben einen gesellschaftsverbinden Charakter und verraten viel über die kulturelle Identität. Sie wurden mündlich an die nächste Generation weitergegeben und ungerechterweise kann dem Schöpfer nicht gehuldigt werden, weil man ihn meistens nicht kennt. Volkslieder sind meist einfach zu singen, damit sie auch in größeren Gruppen schnell angestimmt werden können. Das Gegenstück ist das Kunstlied, was weitaus artifizieller ist. Dafür ist das Volkslied bekannter. Bäm! (CW)

Das berühmte Beethoven-Porträt von Joseph Karl Stieler

Beethoven und das Volkslied

Ludwig van Beethoven schrieb mehr als 140 Bearbeitungen schottischer, walisischer und irischer Volkslieder. Sie wurden durch den Edinburgher Musikliebhaber George Thomson in Auftrag gegeben – Volkslieder zu sammeln war nicht nur auf den britischen Inseln zur Zeit der Romantik sehr beliebt. Thomson machte sich auf die Suche nach Komponisten mit internationalem Ruf, kontaktierte unter anderem Beethoven. Er schickte ihm die Melodien, Beethoven schickt die Bearbeitungen zurück. Liedtexte und Melodien waren im 19. Jahrhundert in der britischen Tradition jedoch austauschbar, sodass Beethoven bei der Komposition nicht wusste, welcher Text am Ende auf seine Musik gesungen wird. Ab 1810 begann Beethoven mit der Komposition der Schottischen Lieder, im Jahr 1818 erschienen sie im Druck. Ein Flop. Die Schotten konnten mit Beethovens Bearbeitungen wenig anfangen, zu verschieden waren sie von ihrem Musikempfinden. 1822 wurden die Lieder dann in Deutschland herausgegeben – sowohl mit deutschem als auch mit englischem Text. Erfolg hatten sie trotzdem keinen.

„Einen wie Grigory Sokolov, der mit einem Programm auf Tournee geht, werden wir hier nicht zum Klavierabend engagieren können.“

Tabea Zimmermann, künstlerische Leiterin der Beethoven-Woche

Erst die Werke, dann die Künstler. Es ist ein Konzept, das die Musik in den Vordergrund rückt. Nicht an die Programme der Künstler gebunden zu sein, das schafft Freiräume, zieht jedoch auch Herausforderungen nach sich. Schließlich spielen Künstler üblicherweise nicht, was ihnen der Veranstalter aufzwingt, sondern bringen in der Regel ihr eigenes Programm mit zum Festival. Bei der Beethoven-Woche ist das nicht möglich, die Musiker müssen ihr Programm an das Festival anpassen. Das führt dazu, dass bestimmte Künstler für das Festival nicht infrage kommen. „Einen wie Grigory Sokolov, der mit einem Programm auf Tournee geht, werden wir hier nicht zum Klavierabend engagieren können“, sagt Zimmermann. Bei der genauen Werkauswahl spielen verschiedene Faktoren eine Rolle. Zwar ist die Auswahl groß, aber Saal und Künstler schränken die Möglichkeiten ein, zudem soll Abwechslung geboten werden. Das gelingt – sowohl in der Woche als auch am einzelnen Konzertabend.

Der Kammermusiksaal Hermann J. Abs am Beethoven-Haus

Ein Abend zum Schmunzeln

Volksmusik und Kunstmusik prallen auch beim Eröffnungskonzert am vergangenen Samstag aufeinander. Auf dem Programm stehen Joseph Haydns Volksliedbearbeitungen und sein Trio in Es-Dur, dazu Werke von Charles Ives, Aaron Copland und eben Beethoven. Auch wenn das Festival gewöhnliche Konzertstrukturen aufbrechen will, ist das Setting im Kammermusiksaal klassisch. Der Transfer von Volksmusik in den bürgerlichen Konzertsaal findet auch heute noch statt – das bringt durchaus Irritationen und eine gewisse Komik mit sich.

Etwa wenn Jonathan Aner die Dissonanzen in Haydns Es-Dur-Trio rustikal in den Flügel hämmert. Die Interpreten bieten die Musik expressiv und offenkundig volksliedhaft dar – das Publikum schmunzelt. Auch Tenor Christoph Prégardien tut alles dafür, um möglichst ursprünglich zu wirken. Das ist per se eine gute Sache, beißt sich aber zum einen ein wenig mit dem modernen, so gar nicht volkstümlichen Saal und zum anderen auch mit der schicken Abendgarderobe des Oberon-Trios. Ein Vorwurf an die Musiker ist das keineswegs, immerhin geht es hier um Musik, nicht um Kleidung. Und nun kann man ein solches Eröffnungskonzert auch schlecht aus dem Konzertsaal herausheben. Vielmehr wirft es die Frage auf, wie man solche Volksmusik überhaupt mit klassischen Konzertformaten zusammenbringen kann. Womöglich ist gerade die Tatsache, dass diese Musik keinen Aufführungsort hat, an dem sie natürlich wirkt, ein Grund dafür, dass sie in den heutigen Konzertprogrammen fast gänzlich vergessen ist. Dass sie bei der Beethovenwoche überhaupt aufgeführt wird, ist daher gar nicht hoch genug zu bewerten. Schließlich hat das Festival mit der Schwerpunktsetzung einen echten Schatz gehoben. Als wäre die Besetzung für Singstimme und Klaviertrio nicht ungewöhnlich genug, haben Lieder wie Beethovens „Salley in our alley" ihren ganz eigenen, rustikalen Ton.



„Es gibt unglaublich viele Entdeckungen, die man zu diesem großen, angeblich so bekannten Mann machen kann.“

Malte Boecker, Direktor des Beethoven-Hauses

Für Malte Boecker, Direktor des Beethoven-Hauses (hier im niusic-Interview), ist die Beethoven-Woche ein „kammermusikalischer Leuchtturm“, wie er es beim Eröffnungskonzert formuliert. Das Leuchten reicht deshalb so weit über Bonn in die Musikwelt hinaus, da es ganz andere Seiten des Komponisten Beethoven zeigt. Das ist Boecker bewusst: „Es gibt unglaublich viele Entdeckungen, die man zu diesem großen, angeblich so bekannten Mann machen kann. Mit dem Festival können wir die Beziehungen in dieses etwas entlegenere Repertoire suchen“. Dass sich diese Suche lohnt, zeigt das diesjährige Festival auf bemerkenswerte Art und Weise.

Die Beethoven-Woche 2018

Noch bis zum 28. Januar erkundet die diesjährige Beethoven-Woche in Bonn das Repertoire der Volksliedbearbeitungen und seine Beziehungen zum Kunstlied. Im Kammermusiksaal am Beethoven-Haus findet an jedem Abend ein Konzert statt, die Programme sind vielfältig. Sie bieten auf der einen Seite Musik von Beethoven selbst, integrieren auf der anderen aber auch Komponisten der Gegenwart. Weitere Infos und eine genaue Übersicht über das Festival-Programm auf der Seite der Beethoven-Woche.




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