Säuglingsmord im Eiswasser

Säugling im Eiswasser ertränkt

In einer Kleinstadt eskalierte ein Geschwisterstreit zwischen zwei Brüdern. Der Jüngere liebte die Affäre des Älteren. Als ihm klar wurde, dass die insgeheim Angebetete nicht ebenso für ihn empfand, zerschlitzte er ihr aus Eifersucht das Gesicht, nicht wissend, dass sie ein Kind von seinem älteren Bruder erwartete. Als der Säugling geboren wurde, wartete die Mutter verzweifelt darauf, dass ihr Geliebter sich zu ihr bekennen und sie ehelichen würde, um einem Lynchmord durch die Gesellschaft zuvorzukommen. Der Kindsvater zeigte jedoch keinerlei Interesse und besuchte das acht Tage alte Kind nicht. Daraufhin versuchte eine Freundin der Mutter den Vater umzustimmen, der bei dieser Gelegenheit aber unmissverständlich klarmachte, dass er mit der Entstellten nichts mehr zu tun haben wolle. Er berichtete zudem von einer Verlobung mit einer anderen Frau, willigte aber zumindest ein, den Unterhalt für das Kind regelmäßig aufzuwenden.

Bei einer Hochzeit wurde der grausige Leichenfund entdeckt. Die Braut erkannte, dass ihr Säugling von ihrer eigenen Mutter ertränkt worden war.

Der jüngere der beiden Brüder suchte unterdessen die Großmutter des Neugeborenen auf und berichtete ihr von seiner Liebe zur Tochter. Die Frau setzte daraufhin alles daran, die Ehre ihrer Tochter und der ganzen Familie wiederherzustellen und beschloss, den Säugling in kaltem Wasser zu ertränken. Die Tochter, die dachte, ihr Kind sei gestorben, als sie selbst im Fieber lag, willigte derweil in die Heirat mit dem jüngeren Bruder ein, weil ihr die gesellschaftliche Stellung wichtiger erschien als Rache für die Verletzungen ihres Gesichts. Als die beiden getraut werden sollten, platzte ein Dorfbewohner dazwischen, der von einem Leichenfund berichtete. Die Braut erkannte sofort ihren toten Säugling, woraufhin die Großmutter sich offen zu der Bluttat bekannte.

Das, was Leoš Janáček in seiner Oper Jenůfa auf die Bühne bringt, ist harter Stoff: Kindsmord, weil der gesellschaftliche Status erhalten bleiben soll. Das Werk dauert knapp zwei Stunden und wurde 1904 uraufgeführt. Die Oper ist nahtlos durchkomponiert und ist in tschechischer Sprache geschrieben, was Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts eine Seltenheit war. „Jenůfa “war die erste tschechische Oper ohne Arien, sie basiert auf Prosa, erforscht die östliche Sprachmelodie und frönt dem Volkstümlichen. Janáček sammelte sein ganzes Leben lang landestypische Prosa, die er sich notierte und mit seiner Musik verbinden wollte. Die Sprachmelodik des Tschechischen wird sowohl auf den Gesang, als auch auf die Instrumente übertragen.


Und das sagt die Juristin:

In dieser tragischen Geschichte gibt es vor allem zwei Tatkomplexe, die heute die Staatsanwaltschaft beschäftigen würden: Zunächst einmal ist da Laca, der Jenůfa mit einem Messer das Gesicht zerschneidet. Dies stellt ohne Zweifel eine Körperverletzung dar, und da sie mit einem Messer – also einer Waffe im Sinne des § 224 I Nr. 2 StGB – begangen wurde, handelt es sich um eine „Gefährliche Körperverletzung“, die mit einer Mindeststrafe von 6 Monaten Gefängnis belegt ist. Doch die ehemals schöne Jenůfa bleibt ihr Leben lang im Gesicht entstellt. Für diese besonders schweren Folgen sieht das Gesetz mit der „Schweren Körperverletzung“ (§ 226 I Nr. 3 StGB) eine Verschärfung der Strafe vor: Lanca muss mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zehn Jahren rechnen.
Auch die Küsterin muss mit einer Strafe von mindestens fünf Jahren rechnen: Indem sie das Kind von Jenůfa ertränkt hat, hat sie sich mindestens wegen Totschlags (§ 211 I StGB) strafbar gemacht.

(Jessica Krüger, Bucerius Law School Hamburg)