Von Malte Hemmerich, 31.10.2017

Holzbein aus Gold

Wechselt man als Musiker sein Instrument, ist das wie die Amputation eines Körperteils. Das italienische Quartetto di Cremona unterzieht sich dem aber nur zu gerne, denn es bekam einen ganzen Satz Stradivari-Instrumente angeboten. Was an deren Mythos dran ist und wie lange so eine Umgewöhnung dauert, erzählen die Musiker in Hamburg beim Interview.

Da steht er, der unscheinbare weiße Kasten. Sein Inhalt ist von unschätzbarem Wert. Eine Stradivari-Viola aus dem Privatbesitz Niccolò Paganinis. Später ging das Instrument durch verschiedene Hände. Gespielt wurde es u.a. schon von den Bratschisten des Tokyo Quartet und des Hagen Quartett. Jetzt heißt der stolze Nutznießer Simone Gramaglia vom Quartetto di Cremona. Zusammen mit seinen Kollegen, Cristiano Gualco, der die erste Geige spielt, und dem zweiten Geiger Paolo Andreoli sitzt er in einer Hamburger Hotel-Lobby beim Interview. Seit ein paar Tagen sind die Musiker im Besitz ihrer neuen Instrumente, heute Abend spielen sie sie das erste Mal im Konzert. In der Laeiszhalle nebenan.

niusic: Ich möchte es einfach mal so direkt wissen: Ist der Mythos Stradivari begründet. Klingen diese Instrumente wirklich so einzigartig?

Simone Gramaglia: Ja. Meine ich zumindest. Damals in Russland habe ich mal eine Stradivari-Viola gespielt, jetzt fühlt es sich genau so wieder an. Kraftvoll. Ein so durchdringender, direkter Sound, dass es schmerzt, wenn ich meine Ohren zu nah am Instrument habe ...
Cristiano Gualco: In kleinen Räumen sind die Instrumente wirklich vor allem präsent, könnte man sagen. Ob man da Unterschiede wahrnimmt? ... weiß ich nicht. Aber als wir zum ersten Mal in der Halle spielten: Sofort war alles von Tönen erfüllt! Die Resonanz der Instrumente, das ist einmalig. Wenn sie Platz zum Entfalten haben, klingen sie besonders. Keine Ahnung warum.

niusic: Wie kommt man denn als Profimusiker an eine Stradivari? Bewirbt man sich, wird man vorgeschlagen?

Simone: Das Paganini-Quartett, so nennt man diesen Vierersatz, kam von den Hagens zurück zur Nippon Foundation. Zusammen mit den Vorsitzenden der Stradivari Foundation einigte man sich darauf, sie uns anzubieten. Wir mussten viele Videos und Aufnahmen schicken und unsere Tourpläne. Dann einige Dokumente unterschreiben ...

niusic: ... um Euch dann letztendlich den Kindheitstraum eines jeden Geigers zu erfüllen.

Cristiano: Wenn in Italien jemand mit so einem Koffer rumläuft, sagt man, er hat entweder eine Strad oder eine Waffe darin. Endlich können wir sagen: Ja, der ist für ersteres!

Die Stradivari des Paganini-Quartetts

Auch der berühmte Geigenbauer Antonio Stradivari stammt zufälligerweise wie die Musiker aus Cremona. Hier starb er im Jahr 1734. Seine Instrumente werden heute als Kostbarkeiten gehandelt. Die Preise der zehn wertvollsten dieser Instrumente rangieren zwischen 3 und 11 Millionen Euro. Die vier Instrumente, die das Cremona jetzt spielt, an sich schon wertvolle Kunstwerke, wurden umso berühmter, als der Virtuose Niccolò Paganini sie Anfang des 19. Jahrhunderts einzeln erwarb und sie so zu einem besonderen Quartettsatz zusammenstellte.

niusic: Und wisst Ihr, wie viel Eure neuen Instrumente wert sind?

Alle: Ja, ... nein. Interessiert uns nicht. Es ist sehr, sehr viel.

niusic: Hat sich Euer Umgang mit den Instrumenten denn jetzt geändert?

Cristiano: Der Geldwert beschäftigt uns weniger. Aber: Es ist eben das Paganini-Quartett. Wenn wir eins beschädigen sollten, also mal ganz schrecklich und unwahrscheinlich angenommen, werden alle weniger wert sein und weniger gut zusammen klingen. Also muss jeder von uns total vorsichtig sein. Wir haben ja immer auf wertvollen und schönen Instrumenten gespielt. Also Sorge: nein. Mehr Verantwortung: ja.

niusic: Apropos „Alte Instrumente“. Wart Ihr alle sofort begeistert bei dem Gedanken, Eure Instrumente zu wechseln?

Simone: Naja, Paolo nicht so ...

Paolo Andreoli: Hm, wir sind dabei, sie kennen zu lernen. Da merkt man schnell, ob die Geige zu einem passt oder nicht. Meine alte hatte einen sehr hohen Steg. Das ist für mich jetzt schon eine Umstellung. Aber wir müssen uns Zeit lassen. Unsere alten Instrumente sind ja nicht aus der Welt und kommen immer noch zum Einsatz: Später im Jahr, auf Konzerttour nach Indien, können wir die Stradivaris zum Beispiel gar nicht mitnehmen, wegen der Versicherung.

niusic: Du sagst „Zeit lassen“. Also kann es jetzt schon mal ein Jahr dauern, bis das Cremona wieder seinen optimalen Klang gefunden hat?

Cristiano: Der Geiger vom Tokyo Quartet hat erzählt, er habe erst nach einem Jahr verstanden, wie man alle Möglichkeiten der Geige nutzt. Klar, die Technik bekommt man in ein paar Tagen hin. Intonation ist aber was anderes. Also ein paar Monate wird die Umstellung schon brauchen, gerade weil wir vier ja alle neue Instrumente haben. Aber das wird ein interessanter Prozess. Wir müssen uns ja auch vollkommen neu ausbalancieren! Das Cello zum Beispiel klingt unglaublich prominent ...

v. links: Cristiano Gualco, Paolo Andreoli, Simone Gramaglia und Giovanni Scaglione

niusic: Spornen Euch die neuen Instrumente an, ein bestimmtes Repertoire aufzunehmen?

Cristiano: Wir haben sie ja nicht auf ewig und wollen auf jeden Fall etwas mit ihnen aufnehmen! Wir dachten, Franz Schubert würde sich eignen. Er hat viel für die Stimme geschrieben, seine Quartette singen, und diesen singenden Ton können diese Instrumente ganz besonders abbilden.

niusic: Heute ist das erste Konzert mit neuen Instrumenten. Noch nicht mal eine Woche hattet Ihr zum Üben auf den Stradivaris. Ist das nicht ein Risiko?

Simone: Natürlich ist es weniger vorhersehbar, was heute passiert. Vielleicht ist es deshalb gut, dass wir ein italienisches Programm spielen. Das ist unsere Musik, die ist in unserer Seele. Und es wird Spaß machen, zumindest dem Publikum. Wir werden heute vielleicht mal etwas weniger Spaß haben, weil wir hochkonzentriert und dabei auch vorsichtig sind. Aber das ist unser Beruf.

niusic: Ich bin gespannt. Was wird gleich besonders gut klingen?

Paolo: Für mich wird es sehr einzigartig werden, also kann ich Dir nicht sagen, was besser und schlechter klingt. Verdi und Respighi haben tolle sangliche Stellen ...
Cristiano: Ich bin aufgeregt, wie Mozart klingen wird. Diese leichten, puren Linien ...
Paolo: Na, den hab ich extra nicht erwähnt, weil ich davor ein bisschen Angst habe.
Simone: Ich glaube, Respighi wird toll klingen. Da spielen wir alle vollen Ton und müssen uns und die Stradivaris nicht zurückhalten. So wird das Helle und die ganze Reinheit des Klangs dieser Instrumente durch den Raum schimmern und sich auf den Zuhörer übertragen.

Erste Stradivari-Höreindrücke

Tatsächlich scheinen besonders die leisen Feinheiten im eröffnenden Mozart-Quartett wenig entspannt und sehr festgehalten. Immer wenn es in die ruppigeren Passagen geht, dröhnt der Klang förmlich durch den Saal. Das ist ungewohnt. Dem Verdi kommt das zu Gute. In seinem Streichquartett dürfen die Geigen weinerlich singen, die Töne klingen fest und griffig. Das Ergebnis ist genial und ergreifend.
Der Klang der vier Musiker ist noch nicht so grandios aufeinander abgestimmt, wie auf dem Beethoven-Streichquartettzyklus, für dessen letzte Aufnahme die Italiener 2017 den ECHO Klassik erhielten. Aber besonders im abschließenden Respighi-Quartett fällt auf, wie unterschiedlich gefärbt der Klang der Instrumente ist, wie einzeln nachverfolgbar die Stimmen sind und wie sie dabei trotzdem alle ihre fundamentale Rolle im Quartettsatz erfüllen. Diesem farbenfrohen Stück tut es gut, dass die Bratsche prominent, fast schnarrend durchdringt und das Cello mit wenig Ton schon den Raum füllt. Die Obertöne dieser Instrumente scheinen, wenn sich die Musiker trauen und ein bisschen mit dem Bogen experimentieren, immer mal wieder besonders zu flirren, hier könnte man den einmaligen Stradivari-Sound vermuten. Der wird wohl mit jedem neuen Auftritt des Quartetts greifbarer werden.

© Elisa Caldana


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