Von Konrad Bott, 07.06.2016

Routine? Nein, danke!

Wo hört „klassische Musik“ eigentlich auf? Wie definiert man „ernste“ und „unterhaltende“ Musik? Und wie viel darf man vom einen ins andere gießen, bevor das Ergebnis der Lächerlichkeit anheim fällt? Das Andromeda Mega Express Orchestra hat einen eigenen Grat für seine Wanderung gefunden.

„Wir sind nicht da, um Erwartungen zu erfüllen!“

Isabelle Klemt, Cellistin

Künstleragenten, Labelmanager, Musikwissenschaftler, Produzenten und Musiker zermartern sich mit dem richtigen (und kommerziell erfolgreichen) Verhältnis von „E und U“ gehörig den Kopf und stampfen immerfort neue Produkte – von Künstlern zu reden, wäre irrsinnig – aus dem Boden. Von David Garrett bis zu „The Dark Tenor“ reichen die Ergebnisse, oft sind sie wenig authentisch und manchmal geradezu peinlich. Klassik und Jazz, Klassik und Metal, Klassik und Pop . In manchen der so genannten „Crossover“-Projekte dient klassische Musik zuweilen als stiefmütterlicher Ehrengast nur dazu, vermeintlich weniger wertvolle Bands und Künstler aufzuwerten oder erfolgreichen Pop-Formationen für ein Album durch sinfonische Begleitung einen elitäreren, veredelten Anstrich zu verpassen. Irgendwie traurig – ein harmonisches und fruchtbares Miteinander sieht anders aus. Zum Beispiel wie beim Andromeda Mega Express Orchestra: Das (momentan) 17-köpfige Ensemble um den Komponisten und Saxofonisten Daniel Glatzel spottet mit Verve jeder Stileinordnung. Und das mit dem besten Rezept überhaupt: Es macht einfach Musik.

Die eine Hälfte der Musiker ist klassisch ausgebildet, die andere entstammt dem Jazz. „Es ist einfach eine Verbindung von Persönlichkeiten. Jeder hat eine ganz individuelle Auffassung von Musik und die bringt er in den Rahmen von Daniels Kompositionen ein“, erklärt Cellistin Isabelle Klemt im Interview, „dabei lernen wir alle wahnsinnig viel.“ Eine Beschreibung des Andromeda-Klangs? „Schwierig … meistens sage ich meinen Freunden: Wir machen verrückte Instrumentalmusik. Kommt und hört`s euch einfach an – jedes Stück ist am einen Tag so, am anderen so.“ Interpretation statt Exekution: „Wir wollen den Leuten nicht das geben, was sie von der CD kennen, sonst gibt`s doch nichts mehr zu erleben! Wir sind nicht dazu da, Erwartungen zu erfüllen.“ Das stimmt – ganz gleich, was man erwartet, plötzlich funkt ein Gameboy-Tango dazwischen, ein Reiskocher nebelt die Bühne zu, oder aus einem Solo wird kurzerhand ein Duo.



Klemt, die in Berlin und Bern Cello studiert hat, musste sich auch erst an die von Improvisation lebende Musik gewöhnen. „Das war eine starke Umstellung, aber letztendlich profitierst du auch für deinen klassischen Wirkungsbereich davon. Zum Beispiel das unbedingt nötige „in time“-Spielen hat mir gezeigt, wie wenig exakt ein Sinfonieorchester oft ist.“ Die Präzision der Andromeda-Musiker ist wirklich phänomenal und zeigt sich selbst im größten Klanginferno ungebrochen. Hervorragende rhythmische Überhänge, schleichende Absprünge in andere Taktarten durch die verschiedenen Instrumentengruppen, sowie zackig virtuose Soli sind garantiert.

So erfrischend Konzept und Konzerte des Orchesters sind, soviel Mühe ist damit auch verbunden. Neben den aufwendig organisierten Proben – Monate im Voraus werden Termine freigeschaufelt – muss man sich auch eine finanzielle Basis erkämpfen. Da das Andromeda Mega Orchestra dabei genauso wenig ein Selbstläufer ist wie die meisten anderen in der freien Orchesterszene, sind Zähigkeit und Kreativität gefragt. Doch das hingebungsvolle Verhältnis jedes einzelnen Musikers zum Ensemble und Daniel Glatzels schöpferischer Ehrgeiz halten das Orchester am Leben, und das sehr erfolgreich. „Wir sind schon häufiger vom Hauptstadt-Kulturfond und der Initiative Musik unterstützt worden, sodass wir jetzt schon zweimal unser eigenes Festival aufziehen konnten“, erzählt Isabelle Klemt. „Dieses Jahr feiern wir gemeinsam mit dem Solistenensemble Kaleidoskop unser zehnjähriges Bestehen. Dada ist das Thema, ich denke das wird auch echt spannend und witzig.“ Ein Thema, das dem charmant grenzenlosen Ensemble wie auf den Leib geschneidert scheint.



Ohne Humor kann man als Zuhörer beim Andromeda Mega Orchestra wirklich einpacken. Mit erstaunlicher Wendigkeit werden in den Stücken Scharniere zwischen musikalischen Welten gesetzt, die Schubladendenker verstören könnten. So ist es nicht immer einfach, das passende Publikum zu finden: „Wir hatten auch mal jemanden, der versucht hat, uns dem Klientel der klassischen Neuen Musik vorzustellen, das hat aber irgendwie nicht so wirklich funktioniert“, sagt die Cellistin. „Dadurch, dass wir einfach unser Ding machen, haben wir es schwer, haben wir gar keine wirkliche Stammhörerschaft. Leute, die in ein klassisches Konzert gehen, wollen etwas bestimmtes sehen. Zu uns kommen einfach die Neugierigen. Und das soll auch so bleiben.“

Tourdaten 2016

1. Juli: MS-Stubnitz, Hamburg
3.Juli: Festspiele Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin
31.Juli: Heimathafen, Berlin
24.Sep: Radialsystem V, Berlin (DADA-Gala)
25.Sep: Radialsystem V, Berlin (DADA-Gala)
2.Okt: Hessisches Jazzpodium, Darmstadt
29.Okt: Radialsystem V, Berlin
16.Nov: Studio Zwei (BR), München


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Andromeda Mega Express Orchestra

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