#jubileo
Berühmte Kinder der Stadt – Fluch oder Segen? Wie Orte versuchen, das Image ihrer Komponisten für ihre Bekanntheit zu nutzen, beleuchten wir am Beispiel der Augsburger Aktivitäten rund um Leopold Mozarts 300. Geburtstag.
Berühmte Kinder der Stadt – Fluch oder Segen? Wie Orte versuchen, das Image ihrer Komponisten für ihre Bekanntheit zu nutzen, beleuchten wir am Beispiel der Augsburger Aktivitäten rund um Leopold Mozarts 300. Geburtstag.
Freitagmorgen, 8.45 Uhr, in der Grundschule Ursberg: Im Raum der ersten Klasse ist es mucksmäuschenstill. Alle Kinder stehen im Kreis um einen Tisch und Juri Keil, der ein kleines silbernes Instrument in der Hand hält. Eine Stimmgabel, die er jetzt zum zweiten Mal auf den Tisch schlägt. Tock! Die Kinder spitzen die Ohren. „Hört ihr nichts? Ihr müsst doch etwas hören!“, ruft Juri. Ratlose Gesichter sind die stumme Antwort. Der Schlag der Gabel auf die Tischplatte war kurz und spitz, danach: Stille. Die Anspannung ist greifbar. Juri Keil grinst verschmitzt und schlägt die Stimmgabel erneut an, hält sie dieses Mal allerdings einem kleinen blonden Mädchen an den Oberkieferknochen. Ihre Miene erhellt sich: „Jetzt höre ich etwas“, flüstert sie.
Berühmte Kinder der Stadt – Fluch oder Segen? Wie Orte versuchen, das Image ihrer Komponisten für ihre Bekanntheit zu nutzen, beleuchten wir am Beispiel der Augsburger Aktivitäten rund um Leopold Mozarts 300. Geburtstag.
Das Tonexperiment ist nur eines von vielen, die an diesem Morgen mit dem sogenannten „Leomobil“ direkt aus Augsburg in die Grundschule Ursberg gekommen sind. Der Besuch in der kleinen bayerisch-schwäbischen Gemeinde ist kein Zufall: Der Kleinbus fährt bereits den ganzen Herbst durch die Region. Das Ziel? Möglichst vielen Kindern nahebringen, was es mit Leopold Mozart, dem berühmtesten Namen der Stadt Augsburg, auf sich hat. 1719 geboren, wäre der Vater von Wolfgang Amadeus Mozart 2019 stolze 300 Jahre alt geworden – ein Grund zu feiern und sein Vermächtnis ins Hier und Jetzt zu holen. Die Musikvermittlerin und Projektleiterin Ute Legner, ihr Mitarbeiter Juri Keil und etliche weitere Teamkollegen der Stadt wollen früh anfangen, bei den Jüngsten und dem Ursprung der Musik: der Erzeugung eines einzelnen Klangs.
In verschiedenen Workshops können die Erstklässler Tönen auf den Grund gehen, mit Klangschalen, Stimmgabeln oder der eigenen Stimme. Das braucht viel Konzentration und ist ein richtiges Abenteuer. Mit großen Augen gehen die Kinder von Hörstation zu Hörstation. Kimberly darf eine Helmkonstruktion mit zwei Schläuchen aufsetzen, bekommt die Augen verbunden, dann sprechen ihre Mitschüler abwechselnd in zwei mit den Schläuchen verbundene Trichter. Kimberly soll zeigen, auf welcher Seite sie ihre Mitschüler hört – und zeigt fast immer auf die falsche Seite. Gemein aber auch, denn die am Trichter angebrachten Schläuche führen jeweils an das andere Ohr.
Ähnlich verblüfft wie die Erstklässler sind auch die Schüler der höheren Klassenstufen, die parallel im Musikraum verschiedene Tische und Plakate in Kleingruppen besuchen. An einer Station sehen die Kinder alte und neue Gegenstände und müssen raten, was davon Leopold Mozart schon gekannt haben könnte. Gar nicht so leicht, sagt Ute Legner, und weist auf das Bild eines alten Telefons mit Drehscheibe: „Das kennen die Kleinen heute ja schon gar nicht mehr. Sie folgern daher oft, dass es aus Mozarts Zeit stammen muss.“
Sechzig Schulen wird das Leomobil bis zum Ende des Jubiläumsjahres kostenfrei besucht haben. Das Konzept kommt gut an: „So einige Schulen wollen, dass wir ein zweites Mal kommen“, sagt Ute Legner. Auch in Ursberg ist den Kindern die Freude am ersten Kennenlernen mit der Figur Leopold Mozart anzumerken. Eindeutig, weil das, worum sich seine Welt gedreht hat, die Musik war. Die ist auch hier das starke vermittelnde Element. Bei der jüngsten Zielgruppe ist sie stärker noch als seine Figur, die jedoch einen wunderbaren Aufhänger bildet, das Thema überhaupt in die Schulen zu bringen.
Prof. Johannes Hoyer
Was Ute Legner und ihr Team in den Schulen anbieten, kann man an der Universität Augsburg seit 2012 im Master „Musikvermittlung“ studieren. Der Studienplan sieht vor, vermeintlich verstaubte Komponisten durch experimentelle Konzertformen an neue Zielgruppen heranzutragen.
Denn das Publikum ist nicht mehr dasselbe wie zu Mozarts Zeiten, es stellt in viel kürzeren Abständen ganz andere Anforderungen. Das bestätigt auch Studiengangleiter Prof. Johannes Hoyer: „Mittlerweile gibt es bereits in zahlreichen Konzerthäusern extra Musikvermittlungsabteilungen. Dort wird das Publikum zu ungewöhnlichen Konzertorten eingeladen, und es werden Programme für eher nicht Klassik-affine Zuhörer gemacht.“ Leopold Mozart und das Jubiläum sieht er als „Chance und Herausforderung für den Studiengang zugleich. Für viele ist seine Figur schwer greifbar. Sie sehen den pedantischen Vater eines genialen Sohnes. Wir haben versucht, ihn in verschiedenen Formaten aufzugreifen, von der einfachen Moderation bis zur szenischen Produktion. Es geht darum, möglichst für alle Interessierten Zugänge zu schaffen“, sagt Hoyer.
Florian Wenz
Für alle Interessierten Zugänge schaffen, das wollen auch die Gestalter des Augsburger Leopold-Mozart-Hauses. Anfang 2020 soll es wiedereröffnet werden. Florian Wenz vom Münchner Studio „Unodue“ ist bei der konzeptionellen Umsetzung im Einsatz. „Unsere Zielgruppe ist eine Familie. Wir wollen, dass diese Gruppe alles zusammen konsumieren kann“, erklärt er.
Eine Ausstellung sei eben nicht so linear wie eine Website. „In so einem Haus kann ich die Linearität schon innerhalb eines Raumes sprengen“, meint Wenz. So birgt das Museum die Chance, über das Jubiläum hinaus die mit Leopold Mozart verbundenen Eindrücke vor Ort ähnlich greifbar zu machen wie das „Leomobil“ – nur eben für mehr Generationen. Denn auch dort soll es Stationen geben, an denen Klang- und Hörexperimente direkt ausprobiert werden können. Ob das funktioniert und die Menschen sich dann aktiv für die Musikvermittlung entscheiden, bleibt abzuwarten.
In der Schule geht das Konzept auf. Leopold Mozart hat sich als Schlüssel erwiesen, junge Menschen mit alten Inhalten zu begeistern. Die Ursberger Kinder sind als Entdecker unterwegs: An der letzten Station im Klassenzimmer wartet eine kleine Violine, die jedes Kind einmal ausprobieren darf. „Wie viele von euch haben schon mal eine Geige in der Hand gehalten?“, lautet die Abschlussfrage. Vier der fünf Kinder aus der Gruppe recken die Hände nach oben. Kein Wunder, dass sie fast schon aufgekratzt wirken, als sie erstmals behutsam über die Saiten streichen. Es lässt sich unschwer erahnen, was die Kleinen beim Mittagstisch aus der Schule erzählen werden – um Mathe, Deutsch oder Sport wird es dabei vermutlich ausnahmsweise einmal nicht gehen.