Von Konrad Bott, 31.05.2018

Schatz gefunden!

Mirijam Contzens Kammermusikfestival auf Schloss Cappenberg wandert mit Leichtigkeit auf dem Grat zwischen Wohlfühl- und Werkstattatmosphäre. Eindrücke von einer Veranstaltung, deren Sein den äußeren Schein weit überflügelt.

Aus der Zeit gefallen: Ein mannshoher Steinwall umringt den malerischen Hof mit den uralten Bäumen, der Stiftskirche, den Schlossflügeln. Ein Refugium für Adel und Klerus, auf einem Hügel entrückt vom gemeinen Volk – so wirkt Schloss Cappenberg, das ehemalige Prämonstratenserkloster nordwestlich von Dortmund, das über den Umweg der Säkularisation in den Besitz der Grafen von Kanitz gekommen ist.
In der Stiftskirche schielt der berühmte Barbarossakopf aus vergoldetem Messing interessiert hinauf zu den Kirchenfenstern. Sein seltsam schelmischer Blick wirkt, als beobachtete die Büste belustigt die langsam eintrudelnden Besucher. Um die Pavillons und Tische draußen vor dem schlosseigenen Theater sammeln sich Musikbegeisterte. Gleich geht`s los: vorletzter Tag des einwöchigen Cappenberger Kammermusikfestivals.

Abwegige, ja zum Teil kryptische Titel

Sähe man sich allein die Website an, bliebe man der Veranstaltung wohl lieber fern. Optisch und textlich erinnert der Internetauftritt an eine abgehalfterte Wellness-Oase. Über zusammengewürfelten Pressefotos der Künstler erscheinen deren Namen in schnörkeliger Viertklässler-Schreibschrift.
Das Festivalprogramm wird bestimmt durch abwegige, ja zum Teil geradezu kryptische Titel: Schostakowitsch, Mozart und Weber werden unter „Take Five / Eine Handvoll“ feilgeboten. Hummel, Prokofjew und Ravel dagegen mit „Müllerinart / Gehaltvoll ...“ Am selben Abend dann „Late Night Session / ... mit leichten Beilagen“, wobei überhaupt nicht erwähnt wird, was man erwarten darf, außer einer „lockeren Atmosphäre“. Wer aber schon einmal hier war oder sich durch Empfehlung trotzdem zum Festival aufmacht, erlebt dort etwas Wunderbares.

Leiterin Mirijam Contzen im Interview

Feste Ensembles gibt es nicht. Mirijam Contzen hat aus dem Pool der Musiker ständig wechselnde Besetzungen für das Programm zusammengestellt. Die Probenzeiten sind erstaunlich knapp bemessen, die Souveränität der Künstler enorm. So entsteht eine Werkstatt-Atmosphäre, wie man sie von Schulkonzerten kennt, bei denen immer wieder ein Musiker für ein Stück dazugeholt oder verabschiedet wird. Auf faszinierende Art treffen die so starken wie unterschiedlichen Charaktere musikalisch aufeinander und schaffen es, aus jedem noch so häufig gespielten Konzertstück das Kopfkino anzuwerfen.

An der Violine so leger und zielsicher, wie ein Pistolero seine Colts bedient

Bestes Beispiel: Prokofjews Quintett für Oboe, Klarinette, Violine, Viola und Kontrabass. Seltsame Besetzung? Seltsame Besetzung! Mit einer Truppe, die man bei dem, was sie auf die Bühne (und später am Abend zwischen die Tische) bringt, nur lieb gewinnen kann. Da ist der geigende Outlaw Giovanni Guzzo, der sein durchdringend klingendes Instrument so leger und zielsicher bespielt wie ein Pistolero seine Colts. Guy Ben Zioni sekundiert im Kreuzfeuer der Töne auf seiner Viola mit einer edlen Souveränität.
Emmanuel Laville, zarter Perfektionist an der Oboe, variiert seinen Klang derart mitreißend, dass sich viele Köpfe im Publikum wie beschworene Schlangen mitwiegen. Lars Schaper, eine – man kann es nicht anders sagen – extrem coole Socke, gleitet grinsend über die Saiten seines Kontrabasses – antippend, anreißend, abschmirgelnd. Schapers Innbrunst wird nur noch durch den aufgekratzten Sympathiebolzen Sebastian Manz getoppt, der wie der leibhaftige Teufel über die Klappen seiner Klarinette fegt.

Klarinettist Sebastian Manz im Gespräch

Mirijam Contzen selbst vermeidet jede Form der Selbstinszenierung, vertieft sich ganz in den Geist der Musik – unprätentiös aber beharrlich. Nicht nur in Johann Nepomuk Hummels Klavierquintett, sondern auch später am Abend, bei der „Late Night Session“ im gelben Saal. Fast das gesamte Publikum des vorigen Konzerts, bis auf einige Kinder, die um zehn wohl ins Bett getrieben werden mussten, hat sich in dem kleinen Saal eingefunden. Dieser bietet eigentlich mit den Tischen und Stühlen, den überdeckten Bierbänken, dem Klavier und den dicht aneinander gestellten Notenständern kaum mehr Platz. Das Programm – vorher keinem Zuhörer bekannt – ist mit nur zwei Stücken von Fritz Kreisler und einmal George Gershwin gar nicht so leicht, wie angenommen.

Jedes andere Festival hätte sich mit diesem Programm auf allen Kanälen zu profilieren versucht.

Jedes andere Festival hätte sich mit dem weltumspannenden Programm auf allen Kanälen zu profilieren versucht: Polyrhythmische Auszüge aus dem „Scattered Sketchbook“ des syrischen Komponisten Kinan Azmeh, in dem er Eindrücke des Bürgerkriegs verarbeitet, ein minimalistisch arrangiertes, melancholisches Schlaflied mit dem Titel „Aka Tombo“ („rote Libelle“), vier der sechsunddreißig Duette für zwei Bratschen des israelischen Komponisten Yehezkel Braun.
Ist es der Spontaneität des Musikerkreises geschuldet, dass man mit diesem Programm nicht im Voraus hausieren gehen konnte? Ein Planungsproblem? Zeit und Geld sind auf Cappenberg tatsächlich knapp. Ob das Musikfestival in Zukunft jedes Jahr stattfinden kann, ist fraglich. Auch wenn Mirijam Contzen schüchtern, fast verschämt doch über Ideen spricht, das Ganze auszuweiten. Neue Spielstätten, Kooperationen mit Musikschulen, ein Open Air ...

Dass an der Musik selbst nicht gespart wird, muss man allen Verantwortlichen nicht nur deshalb hoch anrechnen. Selbst der vermeintlich totgehörte „Tango Oblivion“ Astor Piazollas bekommt durch die schiere Qualität des Vortrages in der Late Night Session eine neue Dimension. Der sehnsuchtsvolle, im Verlauf des Stücks resignierende Klagegesang, den Laville seiner Oboe entlockt, überzeugt genau so wie Sebastian Manz` anschließendes virtuoses Klezmer-Mashup, das – reife Leistung! – kein bisschen akademisch wirkt.
Kaiser Barbarossa, zwanzig Meter weiter verborgen im mächtigen Kirchenschiff von Cappenberg, lauscht dem schwungvollen Rausschmeißer. Dass nicht alles Gold ist, was glänzt, weiß der alte Messingkopf genau. Und umgekehrt auch, dass Gold nicht immer als solches erkannt wird. Manchmal muss man es den Leuten flüstern.

© Josep Molina
© Günther Goldstein
© Nils-Peter Timm


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