Von Anna Chernomordik, 08.03.2017

Norwegischer Humor

Ob ihm wohl kalt ist, mit dem nackten Hintern auf der Wiese? Nur ein Tüchlein bedeckt den gut gebauten jungen Mann. Eine üppige Blondine schaut ihm tief in die Augen, während sie sich runterbeugt – zu seiner Flöte. Ach nee, das sind ihre Flöten, gleich zwei, eine in jeder Hand.

Der Greis mit dem Totenschädel wird uns vorenthalten.

Wenn man sich mit Venedigs Kunstgeschichte befasst, wird schnell deutlich, dass die heutige Touristenattraktion einst eine wichtige Aktrice der Weltpolitik war. Wo Geld ist, wohnt auch die Muse. Man denke an Tizian. Er markiert den Höhepunkt der Kunst in der Republik Venedig. In seinem Gemälde „Allegorie der drei Lebensalter des Menschen“ ist das Intermezzo der zwei Liebenden, was das Cover von „Recordare Venezia“ schmückt, aber nur eine von mehreren Szenen. Auf der Cover-Rückseite geht es weiter: Auf der selben Wiese schlafen auch vor Babyspeck platzende Kinder, und bei Tizian sitzt eigentlich auch noch ein Greis mit einem Totenschädel in der Hand, aber der wird uns hier vorenthalten.

Der Querschnitt durch die venezianische Musik, den das „Barokkanerne“ hier präsentiert, ist zwar nicht immer lebensfroh und sprudelnd, aber vom Verfall ist noch nicht die Rede. Durch die historischen Instrumente und die dazu passende Aufführungspraxis wird die CD zu einer Zeitreise. Antonio Vivaldi steht im Mittelpunkt, er wirkte knapp 200 Jahre nach Tizian und kein Jahrhundert vor dem Untergang der venezianischen Republik.



Die Musik spielt aber woanders: 2000 Kilometer nördlich, stark maritim geprägtes, feucht-kontinentales Klima, Venedig gar nicht so unähnlich, wie man es bei Norwegen vermuten könnte. Das Osloer Barockensemble „Barokkanerne“ setzt sich schon seit über 20 Jahren für die historische Aufführungspraxis in Skandinavien ein. „Recordare Venezia“ könnte aber auch die Solo-CD der jungen Blockflötistin Ingeborg Christophersen sein. Sie zwitschert sich in virtuosen Pirouetten, z.B. in den ersten drei Tracks der CD, durch Vivaldis „Il Gardellino“, zu deutsch Goldzeisig. Es muss aber nicht immer höher, schneller, weiter sein, bei einer Palestrina-Bearbeitung Giovanni Bassanos lässt sie die bauchigen Linien der Renaissance-Blockflöte schmerzhaft ausklingen.

B wie Bizeps?

„Recordare Venezia“ bildet Venedigs Übergang von Renaissance zu Barock ab – mit Kompositionen von Vivaldi und anderen Kapellmeistern der Wasserstadt. Das „Barokkanerne“ liefert die epochengerechten Schattierungen, Christophersen wechselt immer wieder die Flöten, und so klingt die CD sehr abwechslungsreich, auch für nicht Blockflötengeschulte Ohren. Was es aber mit dem frechen Cover auf sich hat, bleibt ein Rätsel. Wobei: Die Solistin sieht der blonden Schönheit von Booklet-Seite 1 ähnlich. Aber wessen Flöten spielt sie da eigentlich? Und warum bitte ziert ein dickes B den Oberarm des jungen Mannes? B wie Bizeps? Ach nee, B wie „Barokkanerne“.


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Antonio Vivaldi, Marco Uccellini u.a.

Recordare Venezia

Barokkanerne, Ingeborg Christophersen

LAWO Classics

© Tizian Wikimedia Commons
© Blunderbuss, Lawo Classics


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