Von Christopher Warmuth, 11.04.2016

Gellendes Licht

Willkommen im hellbeleuchteten Brutkasten der Hölle! Das Streichquintett C-Dur D 956 ist so barbarisch schön, dass einem nur Angst und Bange werden kann: Klagen, Wähnen, Sehnen, Flehen.

Es wurde wenige Wochen vor Schuberts Tod vollendet und eine Generation lang komplett ignoriert. Dabei hatte Franz Schubert es an den Verlegersmann Probst bringen wollen, der wiederum nicht wollte. Verleger Diabelli kaufte es zwar aus dem Nachlass von Bruder Ferdinand Schubert, doch auch er war ratlos, was damit anzufangen sei, es war ein Fall für seine Schublade. Erst 1853 wurde es genau dort entdeckt und anschließend uraufgeführt.
Quatuor Ebène, in seiner Altersklasse wohl das prominenteste Streichquartett, hatte ein Stelldichein mit Gautier Capuçon und den Bariton Matthias Goerne, die ebenfalls zur Prominenz der Klassik gehören. Gemeinsam ist eine Schuberteinspielung entstanden, die das Stockfinstre mit Gleißend-Hellem verbindet.

Das Quintett ist an der Bratsche gespiegelt, zwei Violinen und zwei Violoncelli reihen sich ein und beginnen zu singen. Zehn Takte lang verführen Quatuor Ebène ihren ausgeliehenen Mitstreiter Capuçon – harmonisch ausbalanciert, sehnend bis in jeden Bindebogen, selbst Achtelpausen sind Musik –, ehe das zweite Violoncello einsetzt und alles eine Nummer tiefer erklingt. Tönt das erste Mal das Fünf-Mann-Fortissimo, wird es einem schauderhaft: Klagen, Wähnen, Sehnen, Flehen.



Der tropisch-schwüle Streicherklang maximiert das Leid. Das ist eine sehr traurige Neueinspielung, darüber muss man sich freuen.

Beim pausendurchwehten Adagio wird die Zeit angehalten, der harmonische Bezugsrahmen rutscht hin und her, bis zu zuckersüßen Instrumentalvokalisen. Das fixe Scherzo will sich selbst überschlagen, derbe Synkopen sprinten über die Tanzfläche der Noten. Traurig klingt es dennoch, es ist diese Melancholie, wenn der Mensch Dinge nicht mehr auszuhalten gewillt ist und dann in den Wahnsinn verfällt.
Das letzte Drittel der Platte ist ein sanfter Wechsel: Arrangiert hat der Violoncellist von Quatuor Ebène – Raphaël Merlin – fünf Lieder. Überraschend ist diese tadellose Übersetzung, Merlin beweist in der Theorie ein geschicktes Händchen für Balance und Farbgebung: Capuçon wird durch die Kontrabassistin Laurène Durantel ausgetauscht, die ultratiefe Stütze drückt und rückt die Bearbeitungen ins rechte Licht, ein sinnvolles Gegengewicht zur Stimme. Alle fünf Lieder hat Matthias Goerne bereits mit Klavier aufgenommen. Der reife, lichtdurchflutete Klang von „Quatuor Ebène plus x" lässt selbst bei tiefen Passagen Helligkeit hindurchschimmern. Der tropisch-schwüle Streicherklang maximiert das Leid. Das ist eine sehr traurige Neueinspielung, darüber muss man sich freuen.


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Franz Schubert

String Quintet - Lieder

Quatuor Ebène, Gautier Capuçon, Matthias Goerne, Laurène Durantel

Erato



© Julien Mignot


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